Autorin über den Wert des Miteinander: „Das Dorf ist eine Sehnsucht“
Die Schriftstellerin Asal Dardan wuchs nach der Flucht ihrer Eltern aus dem Iran in Köln, Bonn und Aberdeen auf. Ein Gespräch über die Heimatidee.
taz: Frau Dardan, in einem Artikel haben Sie jüngst dafür geworben, dass „wir uns alle einander ein Dorf sein sollten“ Was meinen Sie damit?
Asal Dardan: Als Autorin suche ich Visionen. Ich möchte mich und andere dazu motivieren, dass wir aktiv handeln. Also: Solidarität nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern als tatsächliches Füreinanderdasein.
Was bedeutet das konkret?
Viele Leute fühlen sich gerade in der Pandemie sehr erschöpft. Sie sagen, dass sie nicht mehr können. Man hört das häufig auf Social Media, dort scheint der Raum dafür, um so was zugeben zu dürfen. Wir sind also in der Gesellschaft weiter gekommen.
Inwiefern?
Man darf in der Öffentlichkeit über Probleme und Krisen sprechen. Aber dürfen wir das auch leben, zum Beispiel bei der Arbeit? Wird dir da die Zeit gelassen, um dir Hilfe zu holen? Ich glaube: Du darfst zwar sagen, dass du am Ende bist – aber du musst eben trotzdem weitermachen. In der Realität wird dann doch auf den Einzelnen gesetzt. Du musst dir selber helfen. Auch wenn du es eigentlich nicht mehr kannst. Ich wünsche mir deswegen ein Bewusstsein dafür, dass wir alleine nicht die Lösung finden können – und es auch nicht müssen. Die Lösung muss eine kollektive sein.
44, geboren in Teheran, Iran. Sie wuchs nach der Flucht ihrer Familie in Köln, Bonn und Aberdeen auf. Heute lebt die studierte Kulturwissenschaftlerin in Berlin.
Und was hat das Dorf damit zu tun?
Im Dorf ist man sich der Abhängigkeit voneinander bewusst. Mir geht es um eine Haltung der Zugewandtheit, dass wir auf Augenhöhe miteinander umgehen. Das Dorf ist eine Sehnsucht.
Sie selbst wohnen aber in einer Stadt.
Das stimmt. Aber ich versuche, mit meinen Nachbar:innen und meinem Umfeld im Kontakt zu sein. Und klar, das Dorf ist am Ende eine Metapher, eine idealisierte Vision. Aber ich glaube, dass wir diese Vision dringend brauchen. Ich will kein Deutschland-Bashing betreiben, aber merke doch einen Unterschied im Vergleich zu meinem Leben in Schweden. Ich nehme wahr, wie rau wir hier im Alltag miteinander umgehen, wie abgetrennt wir voneinander leben.
„Zivilisationen, Kulturen, Nationen entstehen nicht getrennt, sie werden nur getrennt voneinander erzählt.“ Das schreiben Sie in dem Buch „Betrachtungen einer Barbarin“. Fehlt uns für unser Dorf eine gemeinsame Erzählung?
Ich frage mich das immer wieder, ob man überhaupt eine gemeinsame Erzählung finden kann. In der alten Bundesrepublik, in der ich groß geworden bin, habe ich mich nirgendwo wiedergefunden. Es ist ja oft eine Mehrheitserzählung, die schnell Menschen ausschließt. Für mich ist deswegen gar nicht so wichtig, dass es nur eine Erzählung gibt, an der wir uns festhalten. Wir müssen doch immer wieder aushandeln, wer wir sind. Wir brauchen den Dialog. Deswegen: Das Prozesshafte ist doch die eigentliche Erzählung.
Di, 11. 1, 19.30 Uhr, Hamburg, Literaturzentrum im Literaturhaus (2G+), Anmeldung erbeten: lit@lit-hamburg.de
Apropos Dialog: In den „Betrachtungen“ nutzen Sie den Heimat-Begriff. Den lehnen viele Menschen als völkisch verklärtes Konzept ab. Warum haben Sie daran festgehalten?
Ich wollte herausfinden, was Heimat für mich bedeutet. Als Begriff und als Gefühl. Meine Antwort lautet: Ich brauche die Heimat im klassischen Sinne nicht. Gemeinschaftlichkeit und Solidarität kann für mich aber so etwas wie Heimat stiften – das meine ich ja mit dem Dorf. Ich möchte mich beheimatet fühlen, bei Menschen und in Beziehungen zu Menschen. Es geht um das Verb. Ich will, dass wir uns gegenseitig erlauben, uns beheimatet zu fühlen.
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