Autorin über Hexen: „Vor Hexen haben selbst Männer Angst“
Zwischen Feministin und Feindbild – das Bild der Hexe hat viele Farben. Podcasterin Diana Ringelsiep über Popkultur, Widerstände und Hexenverfolgung.
taz: Frau Ringelsiep, ist die Hexe heute eine Metapher für Frauen, die sich gegen das Patriarchat stellen?
Diana Ringelsiep: Interessanterweise schon. Die Hexe spielt als Symbol eine wichtige Rolle in der feministischen Bewegung. Es gibt viele Beispiele protestierender Frauen, die als Hexen verkleidet auf die Straßen gingen, um zum Beispiel gegen das Abtreibungsverbot zu demonstrieren. „Erzittert, erzittert, die Hexen sind zurück“, haben sie in den 1970ern gerufen. So ist die Hexe zu einem mächtigen Bild geworden.
taz: Greifen deshalb gerade junge Frauen und queere Menschen auf die Hexe zurück?
Ringelsiep: Da spielt auch die Popkultur mit rein. Als ich aufgewachsen bin, gab es nicht viele Vorbilder, mit denen ich mich identifizieren konnte, die coolen Figuren waren immer männlich. Die einzige Ausnahme war die Hexe – die war mächtig und hatte Zauberkräfte, mit denen sie sich zur Wehr setzte. Solche Vorbilder sind bis heute von großer Bedeutung, da muss man sich nur die aktuellen Netflix-Produktionen anschauen – Figuren wie Eleven aus „Stranger Things“ oder Wednesday Addams ermöglichen Mädchen und queeren Personen die Flucht aus einem Alltag voller Diskriminierungen. Vor Hexen haben selbst Männer Angst.
taz: Auf Tiktok teilen Millionen Menschen unter #WitchTok Rituale, Manifestationen und Zaubersprüche. Ist das auch eine Form von Empowerment?
Ringelsiep: Man kann die Hexen bei Tiktok nicht alle in einen Topf werfen. Es gibt zwar die, denen es um Selbstbestimmung und feministische Werte geht. Doch es gibt auch welche, die das Magische kommerzialisieren. Unter deren Videos findet sich meist ein Link, der zu einem Shop mit Heilsteinen und Zubehör führt. Die gefährlichsten Social-Media-Hexen sind aber die, die das Ganze mit völkischen Inhalten verbinden.
taz: Was kann man sich darunter vorstellen?
Ringelsiep: Das sind unter anderem die Esoteriker:innen, die in der Pandemie gemeinsam mit Nazis auf die Straße gegangen sind. In ihren Videos sind oft Rituale mit altgermanischen Runen zu sehen. Schaut man genauer hin, handelt es sich dabei oft um Symbole aus dem rechten Spektrum. In diesen Kreisen wird auch ein rückständiges Frauenbild zelebriert – die naturverbundene Mutter, die sich in der patriarchalen Rollenordnung hinterm Herd befindet.
taz: Das hat also wenig mit der modernen Hexe zu tun.
über das Thema „Hexen: Vom misogynen Feindbild zum empowernden Vorbild“, vom Podcast „Krawalle & Liebe“, in dem über Alltagssexismus, toxische Rolemodels und patriarchale Gesellschaftsstrukturen gesprochen wird, 31.10., 20 Uhr, im Semtex, Hopfenstraße 34, Hamburg. Eintritt auf Spendenbasis
Ringelsiep: Sie wird aber wieder öfter aufgegriffen – besonders medial findet eine Umdeutung statt. Zum Beispiel im Zusammenhang mit prominenten Männern, denen sexistische Übergriffe vorgeworfen werden. Dabei ist häufig von einer „Hexenjagd“ auf die kontrovers diskutierten Männer die Rede. Es geht aber weniger darum, diese Männer mit den einst gejagten „Hexen“ zu vergleichen, als zu implizieren, dass diese von Hexen gejagt werden. Daran sieht man, dass das damalige Feindbild der Hexe heute am ehesten einer Feministin entspricht: Einer selbstbestimmten Frau, die sich nicht alles gefallen lässt. Vor allem mächtige Frauen werden oft mit Hexen verglichen. Vermutlich, weil sie dem Patriarchat durch ihren politischen Einfluss, ihre Reichweite oder ihr Finanzvolumen gefährlich werden.
taz: Ist das Bild der Hexe weltweit so?
Ringelsiep: In den letzten Jahren sind weltweit mehr Menschen aufgrund von Hexerei-Anschuldigungen hingerichtet worden als in der gesamten frühen Neuzeit in Europa. In Teilen Afrikas, Asiens, Indiens und auch Südamerikas greifen noch genau die gleichen Prinzipien wie damals. Opfer sind meist alleinstehende Frauen, die sich keinem Mann unterordnen – vor allem im ländlichen Raum.
taz: Wieso passiert das auch heute noch?
Ringelsiep: Wann immer etwas Schlimmes passiert, suchen Menschen in ihrer Angst nach einem Sündenbock, um ins Handeln zu kommen und sich der Lage nicht mehr so ausgeliefert zu fühlen. Das ist gefährlich, weil es immer die Schwächsten trifft.
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