Autorin Poschmann übers Überlandreisen: „Das Fade ist elektrisierend“

Als Stipendiatin ist Marion Poschmann durchs Oldenburger Land geradelt. Jetzt wiederholt sie diesen „Landgang“ und trägt vor, was sie damals notierte.

Kuh auf der Weide

Viel plattes Land: Autorin Marion Poschmann berichtet von ihrer Reise. Foto: dpa

taz: Frau Poschmann, das ist bei Weitem nicht Ihr erstes Stipendium, wenn man einen Blick auf Ihre Vita wirft – war an diesem „Literarischen Landgang“ trotzdem etwas Besonders?

Marion Poschmann: Das war schon besonders. Ich hatte viele Aufenthaltsstipendien, wo man die ganze Zeit an einem Ort blieb. Und in der Regel war es dann auch nicht die Aufgabe, sich literarisch mit dem Ort zu befassen. Das war jetzt hier ganz anders: Einmal bewegte ich mich ja über verschiedene Stationen, und dann gab es diesen Schreibauftrag, einen Text zu verfassen, der in irgendeiner Weise mit dem Oldenburger Land zu tun haben sollte.

Wie war das genau: Wie lange waren Sie damals unterwegs – und wie?

Ich war schon einmal an all den sieben Stationen. Im September letzten Jahres hat diese Recherchetour stattgefunden. Da wurde mir nahegelegt, dass ich einen Mietwagen bekomme und dann immer von einem Ort zum anderen fahre. Ich habe zwar einen Führerschein, aber ich bin seit Ewigkeiten nicht mehr Auto gefahren. Deswegen hatte ich vorgeschlagen, diese Tour mit dem Fahrrad zu machen. Ich fand das auch interessanter, weil man sich ja mit dem Rad etwas anders fortbewegt als mit dem Auto oder mit dem Zug. Das wäre noch die dritte Möglichkeit gewesen.

47, studierte Germanistik und Slawistik. Für ihre Prosa und Lyrik wurde sie vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem Braunschweiger Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2013.

Wie würden Sie dieses „anders“ fassen – die relativ niedrige Geschwindigkeit? Das fehlende Gehäuse um einen herum?

Beides. Einerseits bewegt man sich etwas langsamer als mit dem Auto, aber wiederum ein bisschen schneller als zu Fuß – was aber auch notwendig war, um es überhaupt an einem Tag von einem Ort zum anderen zu schaffen. Und man ist natürlich auch viel ausgesetzter: der Witterung und auch den Eindrücken. Man ist auch mit ganz anderen Dingen konfrontiert. In der Vorbereitung hatte ich von den einzelnen Stationen sehr viel Informationsmaterial bekommen über die Museen, die touristischen Höhepunkte und so weiter. Das habe ich alles durchgearbeitet. Man möchte dann auch selbst noch etwas entdecken, das noch nicht in all diesen Broschüren aufgelistet ist. Ich fand es schön, mit dem Fahrrad auch die Strecke selbst wichtig zu nehmen und durch Landschaften zu fahren, die jetzt erst mal nichts Besonderes an sich haben, um dann aber vielleicht doch zu irgendeiner Einsicht zu kommen.

„Landschaften, die nichts Besonderes haben“: Da sind wir schon recht nahe dran an dem, was Sie 2014 als „fade Orte“ bezeichnet haben, nach denen Sie suchten – nicht durchweg negativ gemeint.

Dieses Fade ist etwas Positives: etwas erkenntnisphilosophisch Elektrisierendes geradezu. Es geht darum, dass man zur Einsicht über das Wesen der Dinge dann kommt, wenn man nicht abgelenkt ist von zu starken Äußerlichkeiten, wie es dann etwa irgendeine Sehenswürdigkeit ist, deren Vorzüge von vornherein feststehen. Sondern dass man in einer eher öden Gegend oder angesichts einer unauffälligen Wiese leichter ans Wesen der Dinge rührt als in anderen Situationen: Das ist die Idee in der ostasiatischen Ästhetik. Und da war das Oldenburger Land in ganz besonderer Weise geeignet, weil es eine ganze Reihe Strecken gab, wo man stundenlang an plattem Feld entlang fuhr. Und tatsächlich hatte ich das Gefühl – auch wenn ich auf dieser Tour nicht zu einem spirituellen Durchbruch gekommen bin –, dass das doch zur inneren Entschleunigung beiträgt und dass man beginnt, die Dinge etwas anders zu sehen. Und das ist für so eine Reise ja schon mal ein Ergebnis.

Was für Distanzen hatten Sie denn da am Tag zurückzulegen?

Im Durchschnitt etwa 50 Kilometer.

Ist die die Reihenfolge der Stationen geändert worden, nachdem Sie sich fürs Fahrrad entschieden hatten?

Ja, schon. Ich habe darum gebeten, dass die Streckenführung möglichst ökonomisch gestaltet wird.

Sie haben die Witterung erwähnt, der man auf dem Rad stärker ausgesetzt ist – hat denn das norddeutsche Wetter seinem schlechten Ruf Ehre gemacht?

Mir war dieser schlechte Ruf, ehrlich gesagt, vorher nicht so präsent, sonst wäre ich vielleicht vorsichtiger gewesen. Aber ich hatte keinen Regen, gar keinen, sondern die ganze Zeit sonniges Herbstwetter.

In Essen geboren und in Berlin lebend, haben Sie mal gesagt, Sie träumen davon, aufs Land zu ziehen – aber wann immer Sie mal da sind, sehnen Sie sich wieder nach Urbanität. Macht dieser Kontrast zwischen Stadt und Land etwas aus – und wenn ja, was?

Ich bin ja in Essen groß geworden, und das stellt man sich gerne vor als graue, dichte Großstadt. Aber da, wo meine Eltern noch leben, im Essener Süden, da ist man ziemlich schnell im Grünen und auch in ländlichen Gegenden. Ich bin in einer Art Grenzregion aufgewachsen, von der aus man schnell in der Innenstadt war, aber auch sehr schnell richtig auf dem Land. Und mein Leben hat sich im Grunde auch so ähnlich entwickelt, dass ich teils in Berlin lebe, aber auch sehr viel verreist bin und da auch an wirklich abgelegenen ländlichen Orten gewohnt habe eine ganze Weile. Und beides hat so seine Vorzüge.

Es gab ja, wie Sie es nannten, einen Schreibauftrag bei diesem „Landgang“ – haben Sie den erfüllt?

Ja, ich habe etwas geschrieben, eine Art Reisetagebuch. Diese Form zu wählen, lag für mich nahe. Ich hatte mich auch vorher oft mit Reiseliteratur beschäftigt, also zum Beispiel die Bücher von Wolfgang Büscher gelesen. Oder, früher, von Ryszard Kapuściński, der sich mit Osteuropa beschäftigt hat. Oder Andrzej Stasiuk. All dem fühlte ich mich auch nahe und dachte: Das ist jetzt mal die Gelegenheit, auf einer Reise konzentriert einen Text zu schreiben. Das war der eine Ansatz. Und dann hatten wir es ja schon mit diesen faden Orten. Ich habe mich in den letzten Jahren viel mit ostasiatischer Literatur beschäftigt, insbesondere mit dem Buch von Matsu Basho, „Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“ … Kennen Sie das?

Kennen wäre zu viel gesagt.

Ja, so geht es irgendwie jedem. Es ist auch noch nicht lange her, dass ich es tatsächlich gelesen habe. Es spielt auch in meinem nächsten Roman, der im Herbst erscheint, eine gewisse Rolle. Deswegen hatte ich das sozusagen als Hintergrund. Jedenfalls geht es um eine Reise, die Basho, 500 Jahre alt ist der Text, in den wilden Norden Japans unternimmt. Dabei schreibt er ein Tagebuch. Jede Station wird in Prosa ein bisschen beschrieben. Und dann gibt es das eine oder andere Haiku, was das Ganze dann noch mal zusammenfasst. Und ich dachte mir: Na ja, in Lohne bin ich gestartet und dann praktisch Richtung Nordsee gefahren – ich fahre nun in den wilden Norden Deutschlands und kann so eine Parallele ziehen – und habe dann eben auch diese Form, das Tagebuch, gewählt.

Werden Sie nun, sagen wir: Im Ort X, vorlesen, was sich im Text darüber findet?

Ja, sinnvollerweise. Der komplette Text wäre jeweils zu viel, da werde ich also eine Auswahl lesen. Vielleicht haben die Zuhörer ja auch bestimmte Wünsche und wollen gerne etwas über den Nachbarort hören.

Wird daraus irgendwann auch noch eine Publikation?

Ich glaube, der Ausrichter, das Literaturbüro, will einige Jahrgänge Stipendiaten zusammenfassen. Aber das wird noch etwas dauern – ich bin ja erst die zweite Landgängerin.

Marion Poschmann liest: heute, 17. 5., Brake, Schifffahrtsmuseum Unterweser; morgen, 18. 5., Cloppenburg, Museumsdorf Dorfkrug; 19. 5., Jever, Schlossmuseum; 20. 5., Westerstede, Güterschuppen; 21. 5., Oldenburg, Wilhelm 13; 1. 6., Delmenhorst, Städtische Galerie

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