Autor über seine Vatersuche: „Dieses romantische Grundgefühl“

Der Hamburger Autor Alexander Häusser ist nach Norwegen gefahren, wo sein Vater im Zweiten Weltkrieg Soldat war – und hat ihn endlich verstanden.

Alexander Häusser steht vor einem Fenster

Hat die Suche nach dem unbekannten Vater literarisch abgeschlossen: Alexander Häusser Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Häusser, warum haben Sie zwei Norwegen-Reisen gebraucht, um Ihrem Vater auf die Spur zu kommen?

Alexander Häusser: Weil die erste, die ich vor 15 Jahren auf die Insel Herdla gemacht habe, wo mein Vater im Zweiten Weltkrieg bei der Flugabwehr war, Fragen offen ließ. Ich hatte die Orte besucht, die seine Fotos zeigen, hatte das Museum und die erhaltenen militärischen Anlagen besichtigt. Aber das war die materielle Seite. Ich hatte noch nicht verstanden, warum er diese Zeit so genossen, was er dort gefunden hatte. Und fragen konnte ich ihn nicht mehr. Ich war sechs Jahre alt, als er starb.

Warum hat Sie das so bewegt?

Weil das Einzige, das ich von ihm über diese Zeit hörte, war, dass es die schönste Zeit seines Lebens gewesen sei und die Norweger seine Freunde.

Ihm war nicht klar, dass er Besatzungssoldat war?

Ich glaube nicht. Er war mit Sicherheit kein kritischer Soldat. Er glaubte wirklich an die Sache der Nationalsozialisten. Und obwohl ich keine Hinweise darauf habe, dass er der Partei angehörte, war er gesinnungsmäßig wahrscheinlich ein Nazi. Außerdem war die Versetzung auf die norwegische Insel ein Privileg. Wofür mein Vater belohnt wurde, habe ich nicht herausgefunden; das ist alles sehr mysteriös. Alles in allem hatte er jedenfalls kein Unrechtsbewusstsein. Er hat auch immer mal betont, in der ganzen Zeit habe er nur ein einziges Flugzeug abgeschossen.

Hatte er Kontakt zu Einheimischen? Nannte er Namen?

Nein, und ich habe – weil die Wehrmachts-Auskunftsstelle nur direkten Angehörigen Informationen geben darf – keine Ex-Kameraden gefunden. Aber es gab – neben entspannten Fotos am Bootssteg und im Café – das Foto einer jungen Frau. Ich vermute, dass er, wie viele Besatzungssoldaten, eine norwegische Freundin hatte. Das vermute ich auch deshalb, weil er immer gesagt hat, er wolle noch einmal nach Norwegen. Er hat es nicht geschafft.

Jg. 1960, Schriftsteller und Drehbuchautor, schrieb unter anderem den fürs Kino verfilmten Roman „Zeppelin“. Über die Norwegen-Reisen erschien der Roman „Noch alle Zeit“. Die gemeinsam mit Jørgen Norheim verfasste Reise-Collage „Norwegerstraße“ ist bislang nur auf Norwegisch erschienen.

Sie fuhren an seiner statt.

Gewissermaßen. Wobei die Initiative zur zweiten Reise 2017 von meinem norwegischen Schriftstellerkollegen und Freund Jørgen Norheim ausging, der in Berlin lebt. Er fragte mich eines Tages, ob wir gemeinsam durch Norwegen reisen wollten, auf der Suche nach historischen Verbindungen und Mentalitätsunterschieden. Ich war sofort begeistert – auch, um die Vatersuche fortzuführen.

Haben Sie bei Ihren norwegischen Gesprächspartnern noch Bitterkeit gespürt?

Das ist eine Generationenfrage. Vor allem Ältere wollen kein Deutsch, weder hören noch sprechen, obwohl viele es beherrschen. Wobei das ambivalent ist. Nach einer längeren Unterhaltung auf Englisch sagten die Leute manchmal: Wir hätten auch deutsch sprechen können.

War auch die Rede von norwegischen Kollaborateuren?

Ja, und da mochte Jørgen, wie viele Norweger, nicht gern hinsehen, sondern schaute lieber auf den Widerstand. Andererseits war Jørgens Vater als Pastor damals auch für zum Tode verurteilte Kollaborateure zuständig. Er hat sie begleitet und mit ihnen über ihre Schuld gesprochen, was ihn sehr mitnahm. Jørgens Vatergeschichte ist sozusagen der Kontrapunkt zu meiner.

Was auch in Ihrem kürzlich erschienenen, stark autobiographischen Buch „Noch alle Zeit“ aufscheint. Nur, dass der Vater darin wirklich nach Norwegen zurückkehrt. Ist Ihre Vatersuche damit beendet?

Ja, aber nicht nur wegen des Buchs – für das ich übrigens acht Jahre gebraucht habe, während derer ich keinen anderen Roman schreiben konnte, mir literarisch erst die Zähne daran ausbeißen musste. In jedem Fall hat der fiktionale Zugang enorm bei der Verarbeitung geholfen. Wirklich gefunden habe ich meinen Vater aber auf der zweiten Norwegen-Reise. Da erst habe ich emotional verstanden, was er in diesem Land fand und warum es ihn so faszinierte.

Nämlich?

Lesung mit Alexander Häusser: 7.6., 17 Uhr, Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38

Es muss dieses romantische Grundgefühl gewesen sein, das aus der Begegnung mit dieser riesigen, Freiheit suggerierenden Natur resultierte, aus den Mittsommernächten und dem Gefühl, dünn besiedeltes, als unberührt empfundenes Land vorzufinden. Ein Land, das er sich quasi als Pionier zu eigen machen und wo er eigenhändig etwas aufbauen konnte. Es gibt zum Beispiel Fotos, auf denen die Soldaten einen Unterstand bauen oder eine Anlegestelle. Dieses Gefühl von Freiheit war natürlich grotesk, denn das Land gehörte ja nicht ihm.

Gemäß der NS-Ideologie könnte er Norwegen als „germanische Ur-Heimat“ empfunden haben.

Ja, ich habe den Eindruck, dass es in diese Richtung geht. Hitler hatte ja tatsächlich die Vision, ein „großgermanisches Reich“ zu errichten. Ich glaube, mein Vater hat sich den Norwegern gegenüber auch deshalb nicht fremd gefühlt, weil er sie als „dazugehörig“ betrachtete.

Eine gefährliche politische Romantik.

Ja, das Phänomen hat mich auf der Reise sehr beschäftigt. Denn ich hatte noch im Ohr, dass AfD-Chef Gauland mal über Björn Höcke sagte: Das sei eben ein Nationalromantiker. Das klingelt mir die ganze Zeit in den Ohren. Für mich war Romantik immer ein positiver Begriff. Aber wenn man sie politisch instrumentalisiert, wird es richtig gefährlich. Ich glaube, dass auch mein Vater dieser politischen Romantik auf den Leim gegangen ist. Aber ich habe jetzt meinen Frieden mit ihm gemacht.

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