Autor über Flucht aus Afghanistan: „Überall lauern Gefahren“
Der Dolmetscher Zaher Habib hat Geschichten von Geflüchteten aus Afghanistan zu einem Buch verarbeitet. Es heißt „Träume vergangener Tage“.
![Geflüchtete halten Gefäße, während sie bei einer Essenausgabe für eine warme Mahlzeit in einer Reihe anstehen. Geflüchtete halten Gefäße, während sie bei einer Essenausgabe für eine warme Mahlzeit in einer Reihe anstehen.](https://taz.de/picture/5201981/14/260564392-1.jpeg)
taz: Herr Habib, in Ihrem Buch geht es um die Geschichte von Ali, der aus Afghanistan kommt und im Sterbebett seine Geschichte erzählt. Diese Geschichte fußt auf wahren Begebenheiten. Sind Sie Ali selbst begegnet?
Zaher Habib: Ja, ich habe Ali dreimal getroffen, allerdings an einem anderen Ort als im Buch. Bei diesen Besuchen hat er mir seine Geschichte erzählt, die ich mit anderen Recherchen ergänzt habe. Dort, wo Ali nicht mehr erzählen konnte, habe ich umgeschrieben und Verbindungen hergestellt. Außerdem habe ich ihm ein Diktiergerät gegeben. Wenn er in der Lage war, hatte er damit die Möglichkeit, seine Geschichte zu erzählen.
Was für Verbindungen haben Sie hergestellt?
Durch meine jahrelange Tätigkeit als Dolmetscher beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe ich von vielen Schicksalen erfahren, die dem von Ali sehr ähnlich sind. All diese Menschen mussten Afghanistan aus ähnlichen Gründen verlassen.
Welchen?
Oft hatte das mit den Taliban zu tun, oft aber auch mit anderen Dingen, bei denen es um Land, Frauen, oder Erbschaften geht. Die Strecke ist dabei für viele gleich: Iran, Türkei, Griechenland, und dann über die südlichen Balkanländer nach Deutschland. Die schlimmen Erlebnisse auf der Flucht sind ebenfalls bei vielen ähnlich – überall lauern Gefahren, besonders für Frauen und Jugendliche.
All diese schlimmen Dinge müssen Sie als Dolmetscher weitertragen.
Ja, diese Arbeit hinterlässt Spuren. Das Gehörte am Tag muss abends zu Hause verarbeitet werden und das geht nicht immer gut. Auch Dolmetscher und Sprachmittler sind verwundbar und können Schäden davontragen. Mein Anliegen ist, dass Menschen mitbekommen, was abseits ihrer warmen Stuben auf dieser Welt passiert. Gerade in Deutschland, wo viele ältere Menschen die Flucht und Vertreibung erlebt haben und sich gut vorstellen können, wie schwierig es ist ihre Heimat zu verlassen. Bei den Jüngeren ist das zum Glück anders, aber gerade deshalb sollten wir solidarisch mit Flüchtlingen sein und versuchen ihre Geschichten zu verstehen. Ich schreibe sie auf, um zu zeigen, warum Menschen zu Flüchtlingen werden.
Neben der Lesung wird es auch eine Diskussionsveranstaltung über die aktuelle Situation in Afghanistan geben. Wie hängen diese Ereignisse mit Alis Geschichte zusammen?
Zaher Habib: Träume vergangener Tage, Kellner, Bremen 2021, 208 S., 14,90 Euro
Lesung und Diskussion im Rahmen der Siebten Bremer und Bremerhavener Integrationswoche, Überseemuseum Bremen, Donnerstag, 4. November, 19 Uhr
Der Bezug ist natürlich vor allem, dass die Taliban wieder an der Macht sind. Wir müssen darüber sprechen, was das bedeutet, gerade jetzt.
Warum?
Afghanistan ist gerade medial in den Hintergrund geraten. Unsere Befürchtung ist, dass viele Länder sich aus wirtschaftlichen und politischen Gründen mit den Taliban arrangieren und das Schicksal der Menschen vergessen – vor allem das der 15 Millionen Frauen und anderer bedrohter Gruppen wie Menschenrechtsaktivisten und Künstler.
Ihr zweites Buch heißt „Zeit, Träume wahr zu machen“. Sind die Träume vieler Afghan:innen nicht gerade auf unabsehbare Zeit zerplatzt?
Ja, das stimmt. Als ich das Buch geschrieben habe, waren die Taliban allerdings noch nicht an der Macht. Träume stehen in diesem Fall aber auch für Dinge wie Schule, Studium und Beruf. Diese Träume kann man sich erfüllen, obwohl man woanders ist.
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