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Autor über Auswanderer-Bahnhof„Alle heulten wie die Schlosshunde“

Der Columbusbahnhof war in Bremerhaven der emotionale Kristallisationspunkt der Auswanderung. Jetzt scheint der Abriss doch noch abgewendet zu werden.

Typisches Detail aus dem Inneren des Columbusbahnhofs: zweiläufige Freitreppe in großer Halle Foto: Stefan Klink
Lena Kaiser
Interview von Lena Kaiser

taz: Herr Donsbach, wenn von Bremerhaven nur ein Gebäude übrig bleiben könnte, welches wäre das?

Rainer Donsbach: Mein eigenes Haus wäre schön. Das ist immerhin schon 125 Jahre alt. Aber wenn das mit der Umwelt so weitergeht, dann fürchte ich, dass unser Stadtteil bis zum Ende des Jahrhunderts überflutet ist.

taz: Na, dann frage ich lieber: Welches ist das bedeutendste Gebäude Bremerhavens?

Donsbach: Ob der Columbusbahnhof die größte Bedeutung hat? Vielleicht nicht. Aber er ist untrennbar mit Bremerhavens DNA verbunden. Von hier aus haben über sieben Millionen Auswanderer Europa verlassen. Später kam dann die Linienschifffahrt nach New York mit riesigen Transatlantiklinern wie der „United States“ und der „Bremen“ dazu. Von den 1970er Jahren bis zur Jahrhundertwende wurde das Passagierterminal zum Schauplatz für Konzerte und große Bälle mit Tausenden Besuchern.

privat
Im Interview: Rainer Donsbach

ist Journalist in Bremerhaven und war lange Redakteur der Nordsee Zeitung.

taz: Steht der 1962 eröffnete Columbusbahnhof nicht auch dafür, dass damit aufs falsche Pferd gesetzt wurde?

Donsbach: In der Tat, es war ein Prestigeprojekt der Bremer Landesregierung. Als der Fahrgast-Terminal eröffnet wurde, reisten bereits mehr Menschen mit dem Flugzeug nach Nordamerika als mit dem Schiff. Im Grunde genommen war dieses Gebäude völlig überdimensioniert. Es war für 7.000 Passagiere pro Tag ausgelegt, so viele sind da aber nie mehr an einem Tag abgefertigt worden. Dafür beeindruckt der Columbusbahnhof bis heute mit seiner Architektur. Ein ganzheitlich durchdachtes Ensemble, bei dem nichts dem Zufall oder der Willkür der Bauindustrie überlassen wurde.

taz: Darüber haben Sie zusammen mit dem Fotografen Stefan Klink ein Buch veröffentlicht, das den Blick auf die oftmals verkannte Qualität der Nachkriegsmoderne schärft.

Donsbach: Der Mittelbau des Columbusbahnhofs stand lange leer und verursachte hohe Unterhaltungskosten. Die Entscheidung, das Gebäude abzureißen, war eigentlich schon gefallen. Stefan Klink wurde zu jener Zeit von Bremenports beauftragt, das Terminal für die Nachwelt zu dokumentieren. Während seiner Arbeit hat sich der Wind erfreulicherweise gedreht. Ein Architekturwettbewerb, den das renommierte Hamburger Büro Gerkan, Marg und Partner gewonnen hat, brachte Pläne hervor, das Gebäude in wesentlichen Teilen zu erhalten, umzubauen und zu revitalisieren. Aus den Fotos sollte nun ein Buch werden, und da bin ich gefragt worden, ob ich Texte dazu schreiben könnte. Das hat mich natürlich sehr gereizt, doch am Anfang stand die Frage: An wen soll das Buch gerichtet sein?

taz: Gute Frage, was meinen Sie?

Donsbach: Die Fotos sind klassisch komponiert, ohne verrückte Perspektiven, und zeigen die Besonderheiten der Architektur ganz wunderbar. Das spricht ein architektonisch interessiertes Publikum an. Doch es sollte auch Bremerhavener erreichen. Deshalb habe ich angeregt, die vielen tollen Geschichten einzubinden: die prominenten Reisenden, die großen Partys, den Einfluss der Amerikaner auf das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Stadt. Das Buch soll zeigen, warum das Gebäude für Bremerhaven solch eine hoch emotionale Bedeutung hat.

Buch und Präsentation

Buch „Mythos Columbusbahnhof, Sehnsuchtsort und Architekturmaschine“ von Rainer Donsbach und Stefan Klink, Schünemann 2024, 180 S., 30 Euro

Buch­präsentation im Columbusbahnhof, Do, 21.11., und Sa, 23.11., jeweils 15 Uhr

taz: Inwiefern emotional?

Donsbach: Bei den Schiffsabfahrten drängten sich bis zu tausend Schaulustige auf den Besuchergalerien, um mitzuerleben, wie die Kapelle „Muss i denn“ spielte, den Schiffen mit weißen Taschentüchern hinterher gewunken wurde und alle heulten wie die Schlosshunde. Die haben sich an dieser hohen Emotionalität regelrecht berauscht.

taz: Und wie wurde der Wert des Gebäudes nun wiederentdeckt?

Donsbach: Der Architekturwettbewerb zeigte, dass ein Umbau technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. Das Bewusstsein für den Umgang mit Bauten aus den 50ern ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Bauen im Bestand ist heute ein großes Thema – statt Abriss und Neubau wird auf Nachhaltigkeit gesetzt.

taz: Was ist der Plan für das Gebäude?

Donsbach: Es wird darüber nachgedacht, den Hafenbetreiber Bremenports und Betriebe der Hafenwirtschaft dort zu zentralisieren und das Kreuzfahrtterminal zu erweitern. Auch ein Hotelbetrieb ist vorstellbar. Sehr konkret ist das noch nicht, aber das Gebäude bietet viele Möglichkeiten. Es ist wichtig, dass es auch für die Bremerhavener zu einem attraktiven Anziehungspunkt wird – Kultur sollte unbedingt Teil des Konzepts sein.

taz: Sie haben Bremerhaven als Lokalredakteur der Nordsee-Zeitung Jahrzehnte durch dick und dünn begleitet. Was wäre Ihr Wunsch für die Zukunft des Columbusbahnhofs?

Donsbach: Wünschen kann man sich vieles, aber letztendlich muss es sich auch rechnen. Deshalb würde ich sagen, eine wirtschaftliche Nutzung kombiniert mit Angeboten, die Menschen anziehen. Konzerte, Gastronomie – vielleicht als Alternativstandort zur Stadthalle. Konzertveranstalter machen einen Bogen um das Haus, weil die in die Jahre gekommene Stadthalle zu klein und für aufwändige Technik nicht geeignet ist. Der Columbusbahnhof könnte diese Lücke füllen und bietet zudem eine spektakuläre Lage direkt am Wasser.

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