Autor Wali über den Nobelpreisträger: „Respekt für Herrn Grass“

Der irakische Schriftsteller Najem Wali über seine Jemenreise mit dem Nobelpreisträger, dessen SS-Outing und die Schwierigkeit, vor Islamisten übers Onanieren zu sprechen.

Najem Wali mit Günter Grass 2002 im Jemen. Bild: Archiv Wali

taz: Herr Wali, Sie sind 2002 mit dem Schriftsteller Günter Grass in den Jemen gereist. Wie kam es dazu?

Najem Wali: Im Dezember 2002 bekam ich einen Anruf von der Organisatorin der Reise, einer Irakerin aus Berlin. Sie lud mich ein, als offizieller Teilnehmer einer deutschen Delegation, an deren Spitze Günter Grass stand, in den Jemen zum dortigen deutsch-arabischen Dialog zu fahren. Ich zögerte, der Jemen wurde ja diktatorisch regiert, nahm aus Neugier schließlich an.

Kannten Sie Grass bereits zuvor?

Nein, nicht persönlich.

Sie sind studierter Germanist. Was bedeutete Ihnen der Schriftsteller Grass?

Als ich Germanistik studiert habe, begegnete ich seiner Literatur nur sporadisch. Mein Interesse konzentrierte sich in meinem Studium auf Klassiker wie Lenz, Büchner und Kafka und auf Gegenwartsliteraten wie Max Frisch oder Heinrich Böll. Von Grass kannte ich nur die „Blechtrommel“. Wegen unserer Reise las ich dann noch seine Gedichte.

, irakischer Schriftsteller, lebt in Berlin. 2011 erschien sein Roman "Engel des Südens" im Hanser Verlag, München.

Wie lange waren Sie dann zusammen im Jemen unterwegs?

Etwas mehr als zwei Wochen, wenn ich mich richtig erinnere.

Wusste Grass, dass es für Sie als oppositionellen, laizistisch orientierten und im Exil lebenden Iraker 2002 ein Risiko war, in den Jemen zu reisen?

Nein, er war erstaunt, als ich mit ihm darüber sprach. Ich fürchtete, dass die Jemeniten mich geradewegs den irakischen Behörden ausliefern könnten, und erklärte ihm, dass ich deswegen auf der Reise seinen Schutz brauchte.

In Ihrem Text über Ihre Reise mit Grass gibt es eine Szene, in der ein junger Jemenit Grass fragt, ob er als Deutscher je ein Nazi war. Warum hoben Sie dies so hervor?

Ich musste auf diese Begegnung vier Jahre nach unserer Reise kommen. Grass hatte gerade (2006) gestanden, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Warum hat er damals im Jemen nicht gesagt: „Ja, Sie haben recht!“ Es hätte zu den Bedingungen eines „fairen“ Dialogs gehört, den Grass von seinen arabischen Partnern einforderte.

Ist das nicht eine recht harte Kritik, die Sie da äußern? Grass war erst 17, als er sich der Waffen-SS 1944 anschloss, ein Jahr später war der Krieg zu Ende.

Viele Faschisten schlossen sich sehr jung den Nazibanden an. Mich beschäftigte die moralische Frage, von der Grass immer geredet hat. Von einem Prediger wie Grass hätte man doch erwarten können, dass er einen jungen Mann wie diesen Jemeniten nicht enttäuscht und belügt. Er war schließlich dort, in einem anderen Land, um auf einem Kongress den offenen Dialog und Selbstkritik zu propagieren.

Haben Sie mit ihm darüber gesprochen, warum er sich von Diktator Saleh damals auszeichnen und einen Orden umbinden ließ?

Grass wusste von dem Preis schon vor der Reise. Ich habe ihn dann überredet, dass er als Bedingung dafür sich mindestens für einen verfolgten jemenitischen Schriftsteller einsetzt. Eine Sache, die leider in die Hose ging. Der Präsident hat nach einigem Hin und Her zwar eine Begnadigung zugesagt. Doch sprach er sich mit dem syrischen Geheimdienst ab, der den im Exil lebenden Jemeniten daran hinderte, in seine Heimat zurückzukehren.

Sie erwähnen die Situation, als Sie Grass’ Ausführungen übers Onanieren ins Arabische dolmetschen mussten, und die Schwierigkeiten, die Sie deswegen im Jemen bekamen. War ihm das nicht später peinlich, hat er sich bei Ihnen entschuldigt?

Nein. Grass entschuldigt sich nie.

Sie formulierten Ihre Kritik an Grass und der Reise in den Jemen erst 2007, als er sich zu seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS bekannt hatte. Warum erst dann?

Ich habe meine Kritik unmittelbar nach der Reise in der arabischen Presse veröffentlicht. In Deutschland fand ich keine Zeitung, die sich dafür interessierte. Die Welt wollte den Text im Frühjahr 2007 veröffentlichen und dann doch nicht.

Hatten Sie nach dieser Reise noch einmal Kontakt mit Grass?

Wir haben uns einmal in Hamburg auf einer Veranstaltung getroffen. Mehr nicht.

Sie lesen viele arabische Medien: Wie reagiert man dort auf seine jüngste Israelkritik in Versform?

Natürlich haben die Kriegstreiber bei uns das Pamphlet begrüßt. Regimetreue Schriftsteller haben Lobeshymnen in den offiziellen Medien gesungen. Doch was mich positiv überrascht: eine Mehrheit von den jungen Menschen mit Zugang zu Online-Medien hat ganz anders reagiert. Es wimmelt tagtäglich von witzigen Kommentaren. Und viele fragen sich, ob Grass diesen Murks wirklich selber geschrieben hat.

Grass ist 84 Jahre, und da kann man sich in einer wohlgemeinten, wenn auch unzulänglichen moralischen Haltung schon mal starrsinnig einmauern. Was halten Sie von dem Einreiseverbot, das die israelische Regierung gegen ihn verhängt hat?

Es ist eine Dummheit. Die israelische Regierung hätte ihn einladen, ihm eine Reise durch das Land ermöglichen sollen.

Was glauben Sie: Warum hat die Süddeutsche Zeitung seine Israelkritik gerade jetzt abgedruckt?

Auch die italienische La Repubblica hat es gebracht. Der nichtkatholischen New York Times wurde es auch angeboten, die hat es aber nicht gebracht. Einen Tag vor Karfreitag. Damit haben die Amerikaner Respekt für Herrn Grass gezeigt, ihn davor geschützt, sich selbst zu demontieren. Aber es hat nichts geholfen. Am Ende ist der Frieden nicht gerettet. Und die Lyrik hat weltweit gelitten.

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