Literatur & Leben

„Der Goldene Handschuh“ ist ein Roman, der zutiefst verstört. In der Kneipe gleichen Namens fand Fritz Honka einst seine Opfer

„Ich habe mir auch Humor erlaubt“

Roman Er habe sich selbst gewundert, wie sehr er sich in den Hamburger Frauenmörder Honka und das grässliche Leben seiner Opfer hineinversetzen konnte, sagt Heinz Strunk. Auf der Leipziger Buchmesse gehört er zu den Favoriten für den Literaturpreis

Juli 1975, Sicherung von Beweismaterial im Fall Fritz Honka: Schuhe der Opfer Foto: Jaffé/ullstein bild

Interview Jenni Zylka

taz: Herr Strunk, Ihre Hauptfigur Fritz Honka wurde in den 70er Jahren von der Boulevardpresse als „Monster“ bezeichnet. Woher kommt Ihr Interesse an so einem Menschen?

Heinz Strunk: Ich habe einmal eine Reportage über Jürgen Bartsch gesehen, dessen Geschichte ja psychologisch sogar eigentlich noch interessanter als die von Honka ist, noch monströser.

Bartsch war ein pädosexueller Serienmörder.

Ja. Aber in einer Erzählung über Bartsch würde sich jedweder Humor verbieten, außerdem ist der Fall für mich zu weit entfernt. Die Grundproblematik zwischen Täter und Opfer blieb jedoch seit damals ein Faszinosum für mich, und als ich Gast im „Goldenen Handschuh“ wurde, entstand die Idee, die Honka-Story zu erzählen.

Der „Goldene Handschuh“ ist eine Gaststätte auf St. Pauli, die immer noch existiert. Dort fand Fritz Honka damals seine Opfer. Verstehen Sie Honka?

Na ja, hoffentlich merkt man in meinem Buch, dass ich versucht habe, mich nicht nur in Honka, sondern vor allem auch in die Frauen einzufühlen, die seine Opfer wurden. Vielleicht ist falsch, was ich geschrieben habe, aber ich denke, dass es so hätte sein können. Es hat mich selbst gewundert, dass dieses Einfühlen funktioniert – für mich ist es authentisch.

Wie versetzt man sich als heutiger Mann in Figuren wie Honkas Opfer hinein – in mittellose Frauen, die in den frühen 70ern um die 50 Jahre alt waren?

Für die Frauen dieser Generation, die um die Jahrhundertwende und kurz danach geboren sind, hatte ich zum Beispiel meine Großmütter vor Augen. Das waren einfache Frauen, zum Teil aus der Zone geflohen – was die mitgemacht haben, Vergewaltigungen, Hunger, Entwurzelung, Vertreibung, solche Schicksale sind wirklich kaum zu fassen. Dann stirbt der Mann, und die Frauen haben nichts – keinen Beruf, kein Geld, keine Perspektive. So habe ich mir die Gerda vorgestellt, Honkas erstes Opfer: Sie versucht ihr grässliches Leben auszuhalten, bis sie endlich das Rentenalter erreicht hat und der Staat sich um sie kümmert, sie eine winzige Wohnung mit Bett, Stuhl und Heizung bekommt. Sie hat nicht einmal mehr Erinnerungen!

Und wie lassen sich Honkas unfassbar grausame Taten beschreiben, damit also auch ein Stück weit erklären?

Es gibt einen Satz von Rolf Bossi, dem damaligen Staranwalt, der Honkas Anwalt wurde: Honka sei nicht nur das ärmste aller Würstchen gewesen, sondern habe auch noch das Pech gehabt, zum Mörder zu werden. Das trifft es für mich sehr gut. Diese ganzen Bezeichnungen, Serienmörder, Massenmörder, sind alle irgendwie unpassend. Bei ihm waren das vor allem Situations- und Milieutaten, die im Alkoholwahnsinn passiert sind. Honka hat nicht die undurchschaubare Psyche eines Naziverbrechers wie Dr. Mengele. Es gab bei ihm keine Vorsätze. Honka hat meiner Ansicht nach ein besonders furchtbares Schicksal gehabt – Missbrauch, Zementkrätze, diese Versklavung in den 50ern auf Bauernhöfen. Er ist immer wieder zusammengeschlagen worden, so dass der Kiefer noch dreimal gebrochen wird, ein Albtraum. So erkläre ich mir das.

„Die Figur der ­Gisela aus der Heils­armee zum Beispiel habe ich erst später hineingeschrieben, um mal eine andere Stimme zu haben. Reine Apokalypse wäre einfach zu viel“

Wie historisch genau sind Ihre Beschreibungen?

Ich habe im Staatsarchiv neben vielen anderen Akten ungefähr eine Seite über jeden Mord gefunden und habe daraus konstruiert, wie es abgelaufen sein könnte, in all seiner Mons­trosität. Über den ersten Mord wusste ich am meisten, habe aber am wenigsten darüber geschrieben, um erst mal nur eine Fährte zu legen. Sehr umfangreich in der Recherche war die Reedergeschichte.

Sie erzählen sie im zweiten Strang Ihres Romans.

Ja. Und zur Containerrevolution, die viele Hamburger Reeder in eine Krise stürzte, und der Gelben Flotte, die nach dem Sechstagekrieg jahrelang im Suezkanal festsaß, habe ich viel gelesen und nachgeprüft. Ich hatte einen Informanten, der jede Menge Details aus dieser Zeit wusste.

Wieso haben Sie die Parallelgeschichte mit der Reederfamilie mit ins Buch genommen?

Mir war von Anfang an klar, dass 250 Seiten purer Honka-Horror einfach zu massiv gewesen wären. Und außerdem ist – in aller Bescheidenheit – ein Qualitätsmerkmal des Buches, dass ich versucht habe, diese unterschiedlichen Milieus auch sprachlich abzubilden. Meine eigenen sprachlichen Möglichkeiten als Autor wären sehr begrenzt gewesen, wenn ich nur in Honkas Sprache geschrieben hätte.

Die gewalthaltigen Stellen sind so gut geschrieben, dass die Situationen mich bedrücken. Sie nicht?

Nee, gar nicht. Meine Aufgabe war, dem Ganzen so nahe wie möglich zu kommen und es mit den passendsten Worten zu beschreiben. Über den Roman „Kaltblütig“ wurde ja immer kolportiert, dass sein Autor Truman Capote an dem Buch zerbrochen ist, weil es ihn so mitgenommen hat. Bei mir war das nicht so.

Gemein haben die Storys aus beiden Milieus, Honka und die Reeder, dass es um verzweifelte, komplett gescheiterte Männer geht.

„Der goldene Handschuh“ ist der Überraschungserfolg dieses Frühjahrs, ein Buch, das gleichzeitig fasziniert und nachhaltig verstört. Es transportiert den Leser ins Hamburg der frühen Siebziger Jahre, in das Milieu der billigen Absturzkneipen nahe der Reeperbahn.

Der Roman erzählt die Geschichte des Frauenmörders Fritz Honka, dessen Fall für Aufsehen sorgte. Zugleich handelt er von Alkoholismus und emotionaler Verwahrlosung in einer Gesellschaft, die nach außen hin hell und hoffnungsfroh wirkte, tatsächlich aber vom Krieg nachhaltig traumatisiert war. Insofern ist der Roman auch ein Blick zurück auf die düstere Seite der alten Bundesrepublik, in der Gewalt alltäglich war.

Heinz Strunk war bislang für autobiografisch geprägte, humorvolle Romane bekannt („Fleisch ist mein Gemüse“). Mit seinem Werk „Der goldene Handschuh“ gilt er als Geheimfavorit für den Leipziger Buchpreis, der heute verliehen wird. (jz)

Genau. Die Aufgabe in der Überarbeitung während des Lektorats war es darum auch, ein paar Figuren ein wenig zu entschärfen. Die Figur der Gisela aus der Heilsarmee zum Beispiel habe ich erst später hineingeschrieben, um mal eine andere Stimme zu haben. Reine Apokalypse wäre einfach zu viel.

Haben Sie je überlegt, ob man die historische Figur Honka, die Sie an Fakten entlangerzählen und die das Leben von realen Personen beeinflusst hat, überhaupt mit rein fiktiven Figuren vermischen darf?

Ob das legitim ist oder nicht, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht – es steht ja schließlich Roman drunter. Ich hätte gern noch lebende Personen befragt, habe aber keine gefunden. Nur der jetzige Besitzer des „Goldenen Handschuhs“, der Enkel des damaligen Wirts, hat mir einige Dinge erzählt – er hatte Honka aber natürlich auch nicht mehr kennengelernt. Viele Figuren sind ausgedacht – Gerdas Tochter Rosi zum Beispiel. Auch Honkas Bruder – es gab einen, aber über den weiß ich kaum etwas.

Sie haben die unterschiedlichen Slangs schon angesprochen – zum Beispiel der sabbelnde Hamburger Kapitän bei der Hafenrundfahrt.

Da habe ich natürlich selbst einige mitgemacht und dabei viel gelauscht. Und diese bizarren Monologe in den Bars mitanzuhören war ein großer Teil der Recherche. In diesen Sequenzen habe ich mir auch erlaubt, Humor mit einzubringen – ich persönlich fand es jedenfalls irre komisch. Die Hafenrundfahrt ist ein klassischer comic relief, damit man mal ein paar Seiten Entlastung hat. Honka war ja damals wirklich kurz auf dem aufsteigenden Ast.

Er fand eine Stelle als Nachtwächter. Und stürzte dann wieder schlimm ab. Können Sie den Vorwurf verstehen, dass man solche Schicksale nicht zu seinem eigenen kreativen Vorteil nutzen darf?

Heinz Strunk

Foto: dpa

wurde 1962 in Hamburg geboren. Sein Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ verkaufte sich 500.000-mal. Andere Werke u. a.: „Das Strunk-Prinzip“, „Junge rettet Freund aus Teich“. In den „Goldenen Handschuh“ auf St. Pauli geht er immer noch gern.

Nee – was sollte das heißen? Dass ich mich am Leid von anderen Menschen bereichere? Das ist Schwachsinn. Ich verstehe nicht, wie man so denken kann. Aber ist doch klar, dass bei diesem Buch auch manche Leute aussteigen. Eine Zeitung wollte eigentlich einen Vorabdruck machen, hat dann in den Text reingelesen und ist zurückgetreten, weil man es dem Leser nicht zumuten wollte. Jetzt, wo ich für den Leipziger Buchpreis nominiert bin, sieht das plötzlich anders aus.

Wieso – und ich nehme mich da nicht aus – lesen so viele Menschen gerne solche Geschichten?

Die Menschen lesen ja auch gern Krimis, in denen es die abstrakte Superbestie gibt, die man gar nicht mehr nachvollziehen kann – das finden sie faszinierend. Aber genau das ist Honka nicht. Ich versuche im Buch eher nachvollziehbar zu machen, wie jemand zum Mörder wird. Das ist in der Wirkung anscheinend genauso interessant.

Gehen Sie nach den ganzen Bildern, die Sie erschaffen haben, eigentlich immer noch in den „Goldenen Handschuh“?

Ja, ich bin da gern.