Autor Hakan Savaș Mican über Berlin: „Eine ängstliche Generation“
Mit „Berlin Kleistpark“ schließt Hakan Savaș Mican eine Trilogie über das Leben in Berlin ab. Ein Gespräch über Identität, Klasse und Aufstieg.
Der Autor und Theaterregisseur Hakan Savaș Mican hat eine Trilogie über das Leben in Berlin geschrieben. Nach „Berlin Oranienplatz“, am Gorki Theater aufgeführt und im Stream zu sehen, und „Berlin Karl-Marx-Platz“ in der Neuköllner Oper kam am 11. Dezember am Gorki „Berlin Kleistpark“ heraus. Hakan Savaș Mican inszeniert seine Stücke selbst.
taz: Hakan Savaș Mican, am 11. Dezember kam am Gorki Theater „Berlin Kleistpark“ heraus, Teil einer Trilogie. Alle drei Stücke haben einen Berliner Platz im Titel. Was mögen Sie an diesen Plätzen?
Hakan Savaș Mican: Ich habe zu ihnen sehr persönliche Bezüge. Ich wohne seit zwölf, dreizehn Jahren am Oranienplatz. Am Kleistpark wohnten meine Eltern, als sie aus der Türkei nach Berlin kamen. Dort habe ich in den ersten zehn Jahren, in denen ich in Deutschland war, viel Zeit verbracht. Und am Karl-Marx-Platz in Neukölln wohnten während des Studiums Freunde von mir.
wurde 1978 in Berlin geboren und ist in der Türkei aufgewachsen. 1997 zog er zurück nach Berlin und machte dort 2004 sein Diplom in Architektur und studierte danach Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Seit 2008 arbeitet Mican am Theater, unter anderem am Ballhaus Naunynstraße, Staatstheater Mainz, Volkstheater München und hat dabei immer wieder eigene Stücke inszeniert. Seit 2013 ist er als Hausregisseur am Maxim Gorki Theater.
Wir sitzen jetzt am Oranienplatz. Das Fenster Ihres Büros geht genau auf den Platz. Muss man sich das so vorstellen, dass Sie beim Schreiben einfach herausgeschaut und notiert haben, was sich da zutrug?
Meine Geschichten hatte ich vorher im Kopf, aus Interviews, aus eigenen Erlebnissen. Sie sind zwar inspiriert von wahren Begebenheiten, wurden von mir aber auch stark fiktional bearbeitet. Dass sich die Geschichte des Fälschers aus „Oranienplatz“ hier abspielt, ist meine Wahl. Ich kannte tatsächlich jemanden, der ins Gefängnis gegangen ist wegen Fälschungen. Aber der ist aus Spandau. Am Tag bevor er für fünf Jahre ins Gefängnis muss, besucht er in meinem Stück die Stationen seines Lebens und tritt in eine Auseinandersetzung ein mit dem, was er sein wollte. Ich habe mir dann Orte ausgesucht, die zu der Geschichte passen. Das ist auch bei „Kleistpark“ so. Hier bringe ich einiges aus meiner eigenen Vergangenheit hinein, es ist das autobiografisch durchlässigste Stück der drei. Es taucht darin eine Videoarbeit auf, die ich früher gemacht habe. Und auf der dokumentarischen Ebene kommt meine eigene Mutter vor.
Auffällig ist, dass sich die Hauptfiguren dieser Trilogie in einer Art Transitraum befinden. Sie bewegen sich von etwas weg, heraus aus ihrem Milieu, weg von der Heimat. Vor allem aber sind sie vom Willen zum sozialen Aufstieg geprägt. Wie wichtig war Ihnen dieser Aspekt?
Diese emotionale Welt, in der sie sich bewegen, und die Fragen, die sie beschäftigen, all das hat sehr viel mit mir und meiner Familie zu tun. Ich bin ein Arbeiterkind, aufgewachsen in der Türkei. Ich war dort in einer Privatschule, für die meine Eltern, die in Deutschland arbeiteten und die mir die beste Bildung ermöglichen wollten, sehr viel Geld aufgebracht haben. Ich war dort zusammen mit den Kindern von Richtern und Professoren. Die hatten dann zum Beispiel ein Klavier zu Hause, an dem die Tochter, die zwölf oder dreizehn Jahre alt war, erst einmal ein kleines Stück vorgespielt hat, am besten etwas Westliches. Da hat man gesehen, welche Möglichkeiten manche hatten und andere nicht.
Als ich nach Deutschland kam mit neunzehn Jahren, kam noch diese Fremdheit in der neuen Umgebung hinzu. Deshalb spielt die Frage der Klasse in den Stücken eine große Rolle. Es geht um die türkische Arbeitsmigration und deren Einfluss auf die familiäre Situation und die familiären Strukturen. Wie bricht man daraus aus? Das ist die Grundfrage bei „Kleistpark“. Adem ist Akademiker. Er ist eigentlich schon fast woanders angekommen. Aber es gibt weiterhin etwas aus der Vergangenheit, das noch geklärt werden muss. Das bringt dann die Mutter herein.
Dieser Konflikt zwischen den Generationen taucht immer wieder auf und zeigt, wie Migration auch die nachfolgenden Generationen prägt. Wie groß sind die Distanzen zwischen den Generationen?
Sie unterscheiden sich sehr in ihren Zielen und Ansprüchen. In meiner Generation beobachte ich eine Art verlängerte Pubertät. Wir sind 40 oder 50, wir sind viel in Projekten unterwegs und haben es gelernt, uns viele Optionen offenzuhalten. Das führt aber auch dazu, dass man sich noch nicht entschieden hat, noch nichts richtig gemacht hat. Da fehlt es auch an Vertrauen. Denn wenn man loslegt, ist auch die Gefahr zu scheitern da.
Ich glaube, wir sind eine unglaublich ängstliche Generation, die das Scheitern vermeiden will und deshalb den Schritt nicht macht. Eine gemeinsame Wohnung zu beziehen wie bei dem Paar in „Kleistpark“ ist ja bereits so ein erster Schritt, und in diesem Moment kommt die Vergangenheit wieder herein mit der Mutter, die nach vielen Jahren den Sohn besucht. Sie gehört der ersten Generation der türkischen Arbeitsmigration an. Sie lebt mittlerweile wieder in der Türkei. Weil sie erfahren hat, dass sie bald sterben wird, will sie jetzt alles wiedergutmachen.
Was will sie gutmachen?
Dass sie ihren Sohn in der Kindheit zurückgelassen hat in der Türkei. Sie bringt jetzt viel Geld. Das wiederum ist der Katalysator dafür, dass alle damit konfrontiert werden, was für eine Zukunft man sich vorstellt. Das ist ein spannungsgeladener Mutter-Sohn-Konflikt. Da kommt man an einen Punkt, an dem man einfach nicht mehr miteinander sprechen oder eine Lösung finden kann.
Aber läge die Lösung nicht vielleicht darin, sich in diesem Zwischenbereich, in dem es einiges an Neuem und einiges an Altem gibt, einfach einzurichten? Die Zielmilieus, in die der Einzelne aufsteigen will, sind ja auch nicht mehr so, wie sie früher erschienen sein mochten, sind viel brüchiger, fragiler, fragwürdiger.
Das macht es den postmodernen Auf- oder Aussteiger:innen natürlich nicht leichter. Wenn ich die Lösung wüsste, hätte ich diese Stücke wohl nicht geschrieben. Diese innere Reibung habe ich ja in mir selbst, und mich „einrichten“ zwischen Gestern und Heute fällt mir noch immens schwer. Vielleicht ändert sich das ja irgendwann. Aber Stand jetzt heißt „einrichten“ für mich, wie für die Protagonist:innen der Stücke, ein Ankommen im Glück des Stillstands, und das macht eher Angst.
Aber vielleicht sind wir ja längst angekommen und tun nur so, als ob nicht. Ich glaube auch, in dem Moment, in dem ein Lösungsansatz, ob einrichten, akzeptieren oder wegrennen sichtbar wird, geht die Langeweile sofort los. Vielleicht ist ja die Unruhe, der Zustand der Latenz, der einzig lebbare.
Wie sehr sind diese drei Stücke dem jetzigen Berlin verhaftet? Welchen Bestand könnten sie in 20 oder 50 Jahren haben?
Diese Fragen haben mich beim Schreiben tatsächlich beschäftigt. Ich habe immer wieder überprüft, kann das auch für einen jungen Mann in Los Angeles gelten, jemanden mit einem mexikanischen Migrationshintergrund zum Beispiel? Deswegen ist die Frage der Klasse so wichtig. Sie ist universell und wird weiter Relevanz haben.
Sie inszenieren Ihre eigenen Stücke selbst. Sehen Sie sich mehr als Autor oder als Regisseur, oder, weil Sie ja Film studiert haben und Videoelemente auch in Ihren Theaterinszenierungen vorkommen, immer noch als Filmemacher?
Damals, als ich Film studiert hatte, haben wir uns als Autorenfilmer gesehen, als die angehenden Bergmans und Antonionis. Dann mussten wir aber erleben, wie der Film als Kunstform immer mehr starb. Jetzt sehe ich auch, wie schwer meine Kollegen kämpfen müssen, um ein Drehbuch zu verfilmen, sie müssen da über fünf Jahre warten. Ich bin sehr ungeduldig. Theater ermöglicht es mir, das, was mich innerlich beschäftigt, zu produzieren. Ich inszeniere auch andere Stücke. Vom Herausbringen der eigenen Stücke kann ich nicht allein leben. Am meisten würde ich mir wünschen, ein Autorentheatermacher zu sein.
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