Autor Carsten Klook über prekäres Leben: "Des Rumhängens verdächtigt"
Der Hamburger Autor Carsten Klook hat sich gegen den festen Job und für seine Bücher entschieden. Er erzählt, warum er ein Leben mit Geldmangel vorzieht und wie in einem Oststeinbeker Supermarkt über Männer geredet wird.
taz: Herr Klook, haben Sie von der Neuseeländerin gehört, die gerade einen Platz auf ihrem Po im Netz versteigert? Der Meistbietende darf ein Tattoo auf ihren Hintern stechen lassen.
Carsten Klook: Das ist doch mal eine schöne Möglichkeit, an Geld zu kommen, und mir fällt auch schon ein Motiv ein. Aber was, sage ich lieber nicht.
Ach, kommen Sie! Sie haben doch kürzlich das kleine Buch "Tattoovorschläge" veröffentlicht, und nun zieren Sie sich.
Mein erster Gedanke war irgendwie daneben. Außerdem ist das Buch nur eine Fibel, die in einer sehr kleinen Auflage erschien.
Sie haben schon auf unterschiedlichsten Wegen Geld verdient, zum Beispiel als Karton-Zertrümmerer.
Das ist ewig lange her! Ich habe neben meinem Studium in einem Riesensupermarkt in Oststeinbek unter anderem an der Kartonpresse gearbeitet. Nichts Aufregendes, aber ich habe Geld verdient und Menschen kennengelernt, die ich sonst nie kennenlernen würde.
Zum Beispiel?
Es gab viele ganz derbe Frauen, die in diesem Supermarkt Dosen ausgepackt haben. Wie die über Männer geredet haben - das hatte ich vorher noch nie gehört. Extrem auf das Sexuelle ausgerichtet, in einer Sprache, die Bukowski noch übertraf. Und solche Einblicke kann man natürlich später verwenden.
Da spricht der Schriftsteller, der sich die Realität anschaut und dann Fiktion daraus macht?
Im Rückblick sieht das dann so aus. Während man das macht, sieht es gar nicht so aus. Man weiß ja nicht, ob einen das Leben da noch mal wieder herausführt.
Sie sind in Billstedt aufgewachsen. Wie war das?
Zum Teil ziemlich hart. Es gab schon damals viel Gewalt. Etwas merkwürdig war es auch, in Billstedt zu wohnen und dort aufs Gymnasium zu gehen. Da war ich schon Outsider, sowohl in der Schule als auch auf den Billstedter Spielplätzen. Mein Vater war Korrektor und hat immer viele Bücher mit nach Hause gebracht. Ich habe viel gelesen, und das alles war in der Gegend natürlich überhaupt nicht üblich.
Ebenso wenig wie Verwandtschaft in der DDR, oder?
Meine Eltern kamen beide von Rügen und sind 1953 in den Westen geflohen. Weil wir immer noch Verwandte auf der Insel hatten, konnten wir weiter hinfahren, und ich war ab Mitte der 60er oft in den Ferien dort.
Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Ach, das war eigentlich eine tolle Sache. Rügen ist superschön. Ich kann mich erinnern, dass wir in dem Wald, in dem der Rasende Roland fährt, mit gewehrartigen Geräten, die mein Opa aus Holz geschnitzt hat, Russen gegen Amerikaner gespielt haben statt Cowboy und Indianer.
Und Sie mussten immer der Amerikaner sein?
Ich war schon in der Gruppe der Amerikaner, aber Rüganer waren auch dabei. Natürlich bleibt neben den schönen Erinnerungen auch das Gefühl der extremen Enge hängen. Aber es war dennoch ganz anders, als es uns im Westen erzählt wurde. Es gab in der DDR trotz der Stasi einen Zusammenhalt. Das habe ich natürlich als Kind nicht verstanden, und es ist für mich immer noch schwer nachzuvollziehen, aber so war es.
1959 in Hamburg geboren, studierte Germanistik, arbeitete als freier Kulturjournalist (unter anderem für die taz), bekam zweimal den Literaturförderpreis der Stadt Hamburg und 2007 das Literaturstipendium des Künstlerhauses in Lauenburg an der Elbe. 2005 erschien sein erster Roman "Korrektor".
Sie sind also schon früh mit politischen Fragen in Berührung gekommen. Was haben Sie als Jugendlicher gelesen?
Was man als Jugendlicher eben so liest. Mit 13 oder 14 Jahren ist das Hermann Hesse, und mit 16 Rolf Dieter Brinkmann oder Arno Schmidt. Und ich habe sehr früh von meinem Vater das Buch "Kitsch, Konvention und Kunst" von Karlheinz Deschner in die Hände bekommen, in dem es darum geht, was Kunst und was Kitsch ist. Ich denke, daher rührt auch meine Freude daran, mit Grenzen des guten oder schlechten Geschmacks zu spielen.
Wie meinen Sie das?
Es geht mir in meinen Texten immer darum, Störer einzubauen. Also Worte, die einen vor den Kopf stoßen, bei denen man denkt, was ist denn das für eine komische Formulierung, das ist ja ein total schiefes Bild. Ich habe einen Spaß daran, weil es mich von Konventionen und Normen befreit. Mir geht es immer darum, Erwartungshaltungen zu brechen, und das merkt man ja auch in "Stadt unter".
Das ist Ihr neues Buch, in dem Drehbuchautor Marc in Lauenburg an einem Skript für einen "Tatort" arbeitet.
Ich wollte etwas machen, das sich nicht in einem Genre festbeißt. Es ist eben kein Kriminalroman, sondern ein Roman aus einer Arbeitswelt, der meines Wissens so noch nicht geschrieben wurde.
Sie haben, anders als Ihr Protagonist Marc, wirklich ein "Tatort"-Drehbuch geschrieben.
Ich habe mit einer Kollegin, Anita Guthe, einen "Tatort" geschrieben, der nie realisiert wurde. Er sollte in Berlin spielen. Frank Göhre sagte, das funktioniert. Und Dominic Raacke fand es gut, aber die verantwortliche Redakteurin hat gesagt: Das ist nicht unser Milieu.
Die böse Redakteurin also. Die findet sich in Ihrem Buch ja auch. In welchem Milieu sollte der "Tatort" spielen?
In so ziemlich allen! Es war schon etwas sumpfig, naja, es wurde auf jeden Fall nicht realisiert. Gelernt habe ich, dass beim "Tatort" sehr limitiert ist, was geht und was nicht und so bin ich überhaupt dazu gekommen, Krimi-Drehbuchautoren-Zustände zu beschreiben.
Sie haben lange Jahre als freier Musik-Journalist gearbeitet, um dann einen Job als Fernsehzeitschriftenredakteur anzunehmen. Wieso das?
Ich hatte einfach die Nase voll vom ewigen Geldmangel und der Ungewissheit. Es ist nie klar, ob und wann ein Text gedruckt wird, und dazu wird man als Autor auch noch des permanenten Herumhängens verdächtigt. Ende der 80er Jahre reichte es mir, und ich dachte: Jetzt ist mal Schluss mit Subkultur, jetzt wird Geld verdient.
Das war der einzige Grund?
Naja, der Fall der Mauer bedeutete eine Öffnung, von der wir dachten, man könnte dort irgendwas Musikalisches oder Kreatives initiieren. Aber das ging gar nicht so gut, die hatten ihren eigenen Underground, der zum Teil noch viel verschrobener war, als wir das hier im Westen und in Hamburg so kannten. Dann kam bald diese ganze Nirvana-Geschichte, was dann an so schweren Gitarrenrock anknüpfte. Da hatte sich für mich der Kreis einmal geschlossen, und ich habe mich nicht mehr als Pop-Journalisten gesehen.
Aber Sie haben sich später ohne Not gegen den sicheren Job entschieden.
Ich hatte keine Lust mehr auf die ganze Geldnummer und wollte lieber wieder die Dinge machen, zu denen ich nicht gekommen bin. Ich habe dann zwei Bücher zu Ende geschrieben, die ich noch herausbringen will. Das dauert bei mir gern etwas länger, weil ich nie erst ein Exposé schreibe, das an einen Verlag schicke und dann auf eine Zusage warte. Ich habe meine Texte immer so gemacht, wie ich es mir vorstellte und mir dann einen Verlag gesucht. Bei meinem ersten Roman "Korrektor" hat das allerdings 14 Jahre gedauert.
Sie müssen ein geduldiger Mensch sein.
Wir werden sehen, was passiert. Geld verdiene ich mit meinen Büchern sowieso fast nicht, und so mache ich nebenher unattraktive Dinge, um Geld zu verdienen. Ich habe aber bestimmte Projekte im Kopf, und für mich ist es ok, wenn ich die realisieren kann. Natürlich brauche ich auch Geld, aber die Erwartungen, die ich mal hatte: zu denken, es sei eine tolle Sache, einen Sportwagen und eine schöne Wohnung zu haben, haben sich nicht als Nonplusultra erwiesen. Das kann man mal ausprobieren, aber ich habe mit dieser Art von Karriere abgeschlossen.
Klingt entspannt.
Nein, ist es nicht! Weil man natürlich ständig Geldprobleme hat und zusehen muss, wie man alles geregelt bekommt. Entspannter war es schon mit einem festen Job, weil man gar nicht mehr überlegen muss, was man so tut. Aber das höhlt einen so aus, das ich jedem davon nur abrate.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?