Autofachmann über Abgasskandal: „Wir brauchen Straßentests“
Autoexperte Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland kritisiert das Versagen der deutschen Politik. Er fordert eine Reform der Zulassungen.
taz: Herr Lottsiepen, mögliche Manipulationen von Audi bei CO2- und Verbrauchstests, Ermittlungen gegen den VW-Chefaufseher wegen Marktmanipulationen. Hören die Skandale in der deutschen Autoindustrie nicht auf?
Die Industrie kommt nicht zur Ruhe, weil sie über Jahre mit krimineller Energie betrogen hat. Bei VW beispielsweise standen die Ingenieure permanent unter Druck, immer stärkere und komfortablere Autos zu bauen, die kostengünstig produziert werden können. Sie handeln nach dem alten Sponti-Motto: legal, illegal, scheißegal.
Gehört das nun bekannt gewordene Vorgehen von Audi zu den üblichen Tricks der Branche?
Wenn bestimmte Audi-Modelle mithilfe einer sogenannten Lenkwinkelerkennung unterscheiden können, ob sie sich auf einem Rollenprüfstand befinden oder auf der Straße fahren, ist das wohl illegal. Es führt ja dazu, dass eine verbrauchsarme und wenig Kohlendioxid ausstoßende Getriebeeinstellung mit entsprechender Fahrweise nur auf dem Rollenprüfstand, also beim gesetzlich vorgeschriebenen Zulassungstest, vorgenommen wird, im Alltag aber nicht. Oder anders gesagt: Auf dem Prüfstand wurde niedrigtourig gefahren, in der Realität aber höhertourig, was zu höherer Leistung, höherem Verbrauch und höherem CO2-Ausstoß führt.
Warum werden solche Missstände in den USA entdeckt, nicht bei uns?
Die Behörden dort schauen genauer hin, nicht nur bei deutschen Fahrzeugen. Auch sind Strafen und Ermittlungen dort schärfer als bei uns. Verantwortliche packen so eher aus. Strafrechtliche Ermittlungen in Deutschland betreffen im Abgasskandal eher das Aktienrecht. Es geht also vorrangig um Eigentumsdelikte wie Schaden für Anteilseigner, weniger um Schädigung der Umwelt und der Gesundheit der Menschen, letztlich also um Körperverletzung. Bei uns gibt es einen Schulterschluss zwischen Politik und Autokonzernen, zu deren Verbündeten auch die Gewerkschaften gehörten.
Der 63-Jährige ist Autoexperte des alternativen Verkehrsclubs Deutschlands (VCD). Der Club verzichtete wegen der Betrügereien der Branche in diesem Jahr auf die Empfehlung umweltfreundlicher Fahrzeugmodelle.
Audi ist ja kein Einzelfall.
Nein, leider nicht. Die Hersteller nutzen verschiedene Methoden für ihre Modelle, um zu erkennen, ob diese sich noch auf einem Prüfstand befinden. Und im Test wird dann anders gefahren als in der Realität. Der Test muss bei 20 bis 30 Grad Außentemperatur stattfinden, gefahren wird immer bei 30 Grad. Dadurch steigt der Verbrauch hinterher auf der Straße automatisch. Bei niedrigeren Außentemperaturen auf der Straße kann eine entsprechende Motorsoftware so gesteuert werden, dass Abgase gar nicht oder weniger intensiv gereinigt werden. Und die Kommunen in Deutschland wundern sich, wieso sie höhere gesundheitsschädliche Stickoxidkonzentrationen messen, obwohl die Fahrzeuge auf dem Papier sauberer wurden.
Gibt es auch legale Tricks, um Verbrauchs- und Abgaswerte der Fahrzeuge schönzufärben?
Die Schere zwischen dem Verbrauch im Labor und dem auf der Straße ist in den letzten Jahren größer geworden. Im Jahr 2000 lag sie bei acht Prozent, jetzt beträgt sie über 40 Prozent. Die Fahrzeuge für den Test werden extra präpariert. Das ist nicht unbedingt illegal, hat aber mit der Realität wenig zu tun. So sind die Reifen extrem hart aufgepumpt, was den Rollwiderstand verringert. Oder Türschlösser und Fugen werden abgeklebt, um einen besseren Wert für die Einberechnung des Luftwiderstands zu bekommen.
Welche Lehren ziehen Sie?
Wir benötigen eine Verbesserung des Verbraucherschutzes, auch bei uns muss es Möglichkeiten für Sammelklagen geben. Zur Wiedergutmachung sollte die Politik einen Deal mit der Industrie machen, die Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität oder der Gesundheitsvorsorge finanzieren sollte.
Und bei den Fahrzeugen?
Schon im Zulassungsverfahren brauchen wir Tests auf der Straße. Weil man auch diese manipulieren kann, wird eine intensive Feldüberwachung nötig. Das heißt, Fahrzeuge, die sich länger im Betrieb beim Kunden befinden, müssen im Nachhinein überprüft werden, ob sie die Vorgaben einhalten. Da sich das Kraftfahrtbundesamt blamiert hat, sollte sich künftig besser das Umweltbundesamt dieser Aufgabe annehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken