Autobahn bleibt laut: Lärmschutz für Tempo 120
An der A 24 in Marienthal sind Lärmschutzwände gebaut worden. Kaum waren sie fertig, wurde das Geschwindigkeitslimit angehoben. Anwohner fühlen sich betrogen.
HAMBURG taz | 28 Jahre lang hat die "Bürgerinitiative Lärmschutz an der A 24" gegen den Krach der Autobahn gekämpft. Vor ein paar Wochen ist das letzte Stück der Lärmschutzwand fertig geworden. Doch für die Anwohner hört sich die Autobahn genauso laut an wie vorher.
"Man merkt fast nichts", sagt Lieselotte Kutter, die etwa 150 Meter von der Autobahn entfernt wohnt. Ihr Mann Michael meint auch den Grund dafür festgestellt zu haben: Als sich die letzte Lücke schloss, wurde das Tempolimit von 80 auf 120 Stundenkilometer erhöht.
Die A 24 zwischen dem Horner Kreisel und dem Kreuz Hamburg Ost ist eine der großen Einfallstraßen. Hinter dem Autobahnkreuz wurden 62.000 Autos und Lastwagen täglich gezählt, am Horner Kreisel noch 44.000.
Zum Vergleich: Die Ludwig-Erhard-Straße in der City passieren täglich 53.000 Wagen. Allerdings fließt der Verkehr auf der A 24 bedeutend schneller, was sich auf den Lärm auswirkt: Mehr als 70 Dezibel schlagen in der Nachbarschaft auf - deutlich zu viel für eine Gegend, in der Menschen wohnen.
Weil es bei der alten Autobahn keinen Anspruch auf Lärmschutz gibt, hat der Bund diesen freiwillig nachgerüstet. 4,3 Millionen Euro gab er für den Abschnitt zwischen der Rennbahnstraße und dem Geißleinweg aus. Dazu kommen 2,5 Millionen Euro, mit denen die Stadt eine künftige Wohnsiedlung an der Straße Haferblöcken vor dem Verkehrslärm schützen will.
Das Bundesverkehrsministerium sah sich gestern nicht in der Lage die Frage zu beantworten, ob die 4,3 Millionen Euro gut angelegt sind, wenn der bessere Lärmschutz durch eine Heraufsetzung des Tempolimits konterkariert wird.
Das Gleiche gilt für den Senat. Angekündigt hat die Stadtentwicklungsbehörde im September 2009 Lärmminderungen zwischen acht und 15 Dezibel für die Autobahnen A 24, A 1 und A 25. Eine Verringerung um zehn Dezibel empfinden Menschen als Halbierung des Lärms.
Christian Popp von der Beratungsfirma Lärmkontor erkennt auf jeden Fall einen Fortschritt. "Ich bin sicher, dass sich die Situation rein physikalisch deutlich verbessert hat", sagt er, "auch im Vergleich mit Tempo 80."
Die wichtigste Lärmquelle des Straßenverkehrs seien die Lastwagen, die aber ohnehin nicht wesentlich schneller als 80 fahren könnten. Eine Lockerung des Tempolimits wirke sich jenseits davon also nur schwach aus. Popp schätzt, dass der Lärm dadurch um 1,5 Dezibel angeschwollen sei. Per saldo hätten die Anwohner also mindestens 6,5 Dezibel gewonnen.
Dass die Anwohner trotzdem nicht das Gefühl haben, dass es leiser geworden ist, erklärt der Lärmgutachter damit, dass sie während der Bauphase schon eine Verbesserung erlebt hätten: Die Autos mussten langsam fahren und die Lärmschutzwand wurde sukzessive fertig. An die Situation vor dem Bau der Lärmschutzwand dagegen könnten sich die Anwohner nicht mehr erinnern.
"Das ist schlecht gemacht", findet Popp. Denn das Lärmempfinden sei subjektiv. Daher sei es wichtig, Lärmschutz gut zu kommunizieren. Verbesserungen ließen sich am besten an der unwillkürlichen Reaktion der Anwohner ablesen. "Es wird garantiert welche geben, die jetzt bei gekipptem Fenster schlafen", tippt Popp.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“