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Authentizität und Selbstironie inklusive

■ Theaterensemble „Station 17“ mit „Vier Jahreszeiten“ auf Kampnagel

Lilo trägt eine Krone. Wenn ihr Regisseurin Adelheid Müther sagt, sie solle eine schöne Frau spielen, stellt sie sich auf die Bühne und wiegt minutenlang die Hüften. Sie tanzt. Unter der Woche lebt Lilo in einer betreuten Wohngruppe der evangelischen Stiftung Alsterdorf, gemeinsam mit anderen geistig Behinderten. Seit zehn Monaten unterbricht sie ihre Tätigkeit dort, um mit acht weiteren Bewohnern im Alter zwischen 24 und 62 Bühnenluft zu schnuppern. Sie ist Mitglied in dem mittlerweile legendären Theaterprojekt „Station 17“.

Vor sechs Jahren feierte die Gruppe mit Barbara Neureiters gelungener Inszenierung von Ein Sommernachtstraum auf Kampnagel große Erfolge. Mit dabei waren damals eine Reihe prominenter Profis, darunter Stefan Kurt als Puck. Die behinderten Darsteller spielten Elfen und Handwerker.

„Station 17“ entstand auf der gleichnamigen Station in Alsterdorf. Der Musiker und Sozialpädagoge Thomas Maier war dort als Kulturreferent tätig und leitete die Theaterarbeit. Gemeinsam mit behinderten und nicht behinderten Musikern gründete er zunächst eine Band, Station 17. Daraus sind mittlerweile vier CD-Produktionen, mehrere Filme, acht Tourneen und die Theaterproduktion entstanden. Nie handelte es sich dabei um ein therapeutisches Projekt. Der Kunstgedanke stand immer im Vordergrund. Alle Schauspieler erhalten während der Proben ihr reguläres Gehalt.

Die neue Produktion, eine Uraufführung von Vier Jahreszeiten, findet am 27. Februar wiederum auf Kampnagel statt. Regie führt Adelheid Müther, die zuletzt Rose in den Kammerspielen inszenierte. Diesmal übernehmen die behinderten Darsteller alle Rollen, entwerfen eine Art Collage aus Körpertheater, Tanz und Perfor-ming. Die selbst verfassten Texte spricht der Theater- und Filmschauspieler Gustav Peter Wöhler, den Müther noch aus gemeinsamen Zeiten am Schauspielhaus unter Niels-Peter Rudolph kennt. Wöhler wird dabei unterstützt von der Band Station 17. Anders als beim Sommernachtstraum spielen außer ihm keine nicht behinderten Profischauspieler mit.

Die Regisseurin nahm sich viel Zeit, die Akteure kennen zul ernen. „Man muss erst mal wissen, wie man mit ihnen spricht, weil sie extrem anders sind als wir. Man muss auch ihre Form von Kunst kennen lernen wollen“, erzählt Müther. Das war nicht immer leicht. „Am Anfang gab es schon verzweifelte Momente“, räumt sie ein. Dann kam sie auf die Idee mit dem Jahreszeitenreigen, ließ die Darsteller eigene Impressionen für den Wechsel entwickeln. Im Sommer liegt man am Strand, im Winter rutscht man auf dem Eis aus. „Die Schauspieler spielen ihre Realität.“ Die Szenen werden alltäglich und teilweise sehr komisch sein.

Für die Darsteller ist das Theaterspiel ein echtes Bedürfnis geworden. Alle haben Begabung und Spielleidenschaft. So entwickeln sie ihren eigenen Stil auf der Bühne, ohne einander zu imitieren. „Hier kann man sich als Regisseurin nicht hinstellen und sagen, ich weiß, wie man Theater macht. Man muss das Eigene, Subjektive aus ihnen herauslocken“, erklärt Müther. Die Faszination, für „Station 17“ ist auch nach den intensiven Probenarbeiten geblieben. Annette Stiekele

Premiere heute, 20 Uhr, Kampnagel, k1

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