: Authentisch konservieren
Im Berliner Nachtleben wird wieder tief in die Ideenkiste gegriffen. Auf die Retro- folgt die Prollwelle. Die Zukunft liegt jedoch auf dem Wohnzimmerteppich: die Fortsetzung der Party mit anderen Mitteln
von TANJA DÜCKERS
Nichts bleibt, wie es ist. Eine Binsenweisheit, aber schlicht die richtige Diagnose für den Berliner Tanzdschungel. Berlins Club-Szene lebte schon immer stark vom Improvisierten, aus dem Augenblick Entstandenen, um nicht zu sagen: Illegalen, und da liegt es in der Natur der Sache, dass die Lokalitäten, das Publikum und die Trends schnellen Änderungen unterworfen sind. Die Grundstimmung in der Berliner Ausgehszene ist jedoch stets nostalgisch-melancholisch: Früher war alles besser, das erste WMF war noch viel toller als das zweite oder dritte, die illegale brasilianische Caipirinha-Bar kurz nach der Wende unvergesslich, das „Maria“ sowieso ein Unicum … Man schwärmt fürs Unprofessionelle, Authentische, will es aber gleichzeitig konservieren. Was passiert, wenn ein Club oder gar eine ganze Szene die Füße auf den Boden kriegt und sich etabliert weiß jeder. Das Love-Parade-Syndrom tritt ein. Es gibt sogar Clubs in Berlin, in denen künstliche Spinnweben aufgehängt wurden, um den Besuchern das vermisste Rumpelkeller-Flair nachzuliefern.
In den letzten Monaten war wieder einmal Phantasie von den Berliner Clubbetreibern gefragt: Das „Maria“, machte zum Jahreswechsel dicht. Mit seiner retro-ostigen Ästhetik und seinem vielseitigen Programm ein echter Verlust im Berliner Nachtkalender. Daneben wird jetzt auch noch der Pfefferberg samt Pfefferbank wegen aufwändiger Renovierung lahmgelegt und das WMF zieht wieder mal um. Doch – und das muss den notorischen Jammerern eindringlich gesagt werden – so übel es im Moment um die Clubszene bestellt ist: Es hat schon immer Schließungswellen, Mieterhöhungen und Modernisierungen gegeben. Und bisher ist in Berlin noch immer aus der Not eine Tugend gemacht worden. Wunderbare Clubs wie das „Sexyland“ Mitte der Neunziger in einem ehemaligen Pissoir am Rosenthaler Platz hätte es nie gegeben, wenn es genügend adäquaten Tanzraum gegeben hätte. In namenlosen Bars hat man sich den Kopf an niedrigen Kellertüren wundgestoßen: unvergessliche Jugend-Erlebnisse, die einem in Clubs mit richtiger Gewerbekontrolle nie widerfahren wären. Not macht erfinderisch. Und im Moment wird wieder tief in die Ideenkiste gegriffen: Illegale Bars mit Zwanziger-Jahre-Flair und geschwungenem Schriftzug über der goldgestrichenen Theke „A Bohemian Storm is Brewing“ , russische Nächte im „Haus der Sinne“ mit ausgedientem Akkordeon und „Mäusewetten“, Plastikpistolen an den Wänden des „Waffengalerie“, seltsame Videos und Tee für 50 Cent im „Club der polnischen Versager“, Cowgirl-Nächte im „Kaffee Burger“, ach, man könnte noch viel mehr an zunehmend individualisierten Beispielen der wendigen Berliner Nischenkultur aufzählen.
Die Tendenz ist eindeutig: Weg vom Monopol eines Musikstils, wie Tekkno es Anfang der Neunziger innehielt, hin zu einer immer größeren Ausdifferenzierung. Die Massenbewegungen haben sich größtenteils totgelaufen. Innerhalb von drei Bars finden in einem Häuserblock spielend 70 Jahre simultan statt: Hier Leute beim illegalen Roulette-Spiel im Weltwirtschaftskrisenoutfit, eine Tür weiter Vierziger Jahre Chansons und junge Frauen aus der Theaterszene mit Lippen so dunkel wie der Saum der Nacht, gegenüber wird zeitlos Tango getanzt und über „das Sinnliche“ in Borges Werk geschwätzt, und noch ein paar Schritte weiter trifft Technolectro auf Punk und Glatze auf Spikes.
Allen gemeinsam bei allen Unterschiedlichkeiten ist das mangelnde Vertrauen auf etwas „Neues“ in Musik, Style oder Habitus – „Retro“ ist das verbindende Element. Ein blondierter Stiernacken mit Tattoo und weißem T- Shirt wird spätestens in zwei Jahren auf „Nineties-Partys“ auch sein Comeback feiern.
Doch in diesen Tagen werden absolut unszenige Orte in Ermangelung wirklich schöner Clubs plötzlich zu Hip-Faktoren erklärt. Der erste Unort dieser Art ist die Bordsteinkante. An einem milden Abend benimmt sich der Berliner auf der Straße wie am Strand: eindeutig Urlauberverhalten. Keine Galerie, keine Bar ohne Bordsteinkantenhocker. Kaum ein Spielplatz, auf dem nicht nächtens 30-Jährige knutschen, Geburtstag feiern, kiffen, schaukeln, wippen was das Zeug hält. Und last but not least, die Nische des Jahres 2001: Proll-Reservate. Überrascht stieß ich im Wedding und in Lichtenberg, als ich jeweils Privatpartys suchte, auf Freunde in Läden, in denen ich höchstens meine fernsehsüchtigen Schultheiss-Nachbarn erwartet hätte. Sie kickerten und flipperten, kicherten und becherten, erfreuten sich an quirliger Diskomucke und hatten einen Heidenspaß. Es gibt ganze Divisionen unerforschter, wirklich vergnüglicher Proll-Ressorts, wo man nicht nur billigen Fusel bekommt, sondern darüberhinaus auch noch das leidliche „Sehen und Gesehen werden“ endlich los wird.
Die Zukunft liegt im „Music Pub“ (Wedding) oder in der „Hellen Panke“ (Prenzlauer Berg) oder – und das ist meine letzte Prognose: zuhause auf dem Wohnzimmerteppich: kein „Cocooning“, sondern die Privatparty erhält wieder Einzug in die Altbauten. Spinnweben garantiert echt.
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