Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine: 15.000 Geflüchtete pro Tag

Die meisten Menschen aus der Ukraine kommen erst mal nach Berlin. Die Stadt sei an der Belastungsgrenze, sagt Regierungschefin Giffey.

blick in eine Halle mit Feldbetten

Franziska Giffey am Freitag in einer zur Notunterkunft umgestallteten Messehalle Foto: dpa

BERLIN dpa | Die Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Berliner Messegelände sind ausschließlich für die kurzfristige Unterbringung ukrainischer Kriegsflüchtlinge gedacht. Sie sollen für Menschen zur Verfügung stehen, die keinen Platz in einer regulären Unterkunft bekommen haben, sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Freitag nach einem Besuch der Messehalle 11.1. Dort wurden in der Nacht auf Freitag erstmals 360 Flüchtlinge untergebracht.

Dabei gehe es darum zu verhindern, Menschen gar keinen Schlafplatz anbieten zu können, sagte Giffey. „Wir setzen alles daran, dass die Leute nicht mehrere Nächte hier sind, das ist wirklich nur für den ersten Notfall gedacht.“ In der Halle neben dem Funkturm seien 500 Betten aufgebaut worden. „Wir haben weitere 400 Betten hier. Sollte hier heute Abend wieder eine Extremsituation eintreten, können wir nochmal hochfahren.“

Der Bedarf an regulären Unterbringungsmöglichkeiten kann Giffey zufolge bei Weitem nicht gedeckt werden. „Wir werden schlicht vom Geschehen überholt“, sagte sie. Deswegen sei entscheidend, dass Berlin Unterstützung des Bundes bekomme – sowohl für die Registrierung der ukrainischen Flüchtlinge als auch mit Blick auf die bundesweite Verteilung. Die bisherigen Hilfen reichten noch nicht aus. „Wir gehen davon aus, dass jeden Tag weitere 15.000 Menschen in Berlin ankommen.“ Es habe sich gezeigt, dass die Flüchtlinge versuchten, in die bekanntesten deutschen Städte zu kommen. „Berlin ist das beliebteste Ziel.“

Giffey kündigte an, die Stadt werde deshalb weitere Unterkünfte für Flüchtlinge in Betrieb nehmen. Fünf sind bereits fest geplant. Es werde auch überlegt, einen stillgelegten Terminal am Hauptstadtflughafen BER im brandenburgischen Schönefeld als Notfallunterbringungsmöglichkeit zu nutzen. Auch der ehemalige Flughafen Tempelhof werde in Betracht gezogen.

Berlin hat wie angekündigt ein Amtshilfeersuchen ans Verteidigungsministerium gestellt und die Bundeswehr um Unterstützung bei der Flüchtlingsaufnahme gebeten. Das teilte die Innenverwaltung auf Anfrage am Freitag mit. Der Antrag auf Amtshilfe sei beim Landeskommando Berlin eingegangen, bestätigte ein Sprecher des Kommandos Territoriale Aufgaben. Er werde nun geprüft.

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hatte das offizielle Amtshilfeersuchen bereits am Mittwochabend nach einer Sondersitzung des Senats in Aussicht gestellt. Berlin sei in einer Notlage, hatte Innensenatorin Iris Spranger (beide SPD) erklärt. Sie sprach von etwa 40 Helfenden, die vielleicht benötigt würden.

Das Hilfegesuch stößt teils auf Kritik. So hatte etwa Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, am Donnerstag bei Twitter geschrieben: „Damit muss endlich mal Schluss sein. Die #Bundeswehr ist kein erweitertes Hilfswerk.“ Gerade jetzt werde die Bundeswehr für ihre Kernaufgaben gebraucht. „Nicht nur Berlin muss mal aus der Gemütlichkeit rauskommen. Für sowas gibt es u.a. zivilen Katastrophenschutz.“ (dpa)

Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) wies ebenfalls auf die anhaltend hohe Zahl an Menschen aus der Ukraine hin, die nach Berlin kommen: „Wir sind seit zwei Wochen das Tor zu Europa. Das stellt eine ganz schöne Herausforderung dar.“ Allein am Donnerstag seien am Hauptbahnhof im Lauf des Tages 8.600 Menschen mit Zügen angekommen, darunter 3.000 in fünf Sonderzügen.

„Es ist klar, dass es bei regulären Zügen eine gewisse Hemmung gibt, die umzuleiten“, sagte Kipping mit Blick auf die Forderung des Berliner Senats, Flüchtlinge noch stärker in anderen Bundesländern unterzubringen. „Aber die Sonderzüge, die ausdrücklich für Flüchtlinge aus der Ukraine sind, dort wäre es ein Leichtes, sie um Berlin drumherum zu leiten.“

Am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) seien geschätzt 1.000 Menschen angekommen. „Und es kamen dann zusätzlich 17 Busse à 60 Menschen, die nachts am Hauptbahnhof angekommen sind“, sagte Kipping. „Wir haben im Lauf des Tages 800 Menschen aus Berlin in andere Bundesländer verteilt. Und wir haben rund 900 Menschen mit den Strukturen des Landes untergebracht.“

Seit zwei Wochen im Dauereinsatz

Giffey wies darauf hin, dass die Situation in Berlin an die Belastungsgrenze gehe: „Unsere Kolleginnen und Kollegen vom Landesamt sind seit zwei Wochen im Dauereinsatz. Viele machen die Nacht durch, um das zu gewährleisten, und gehen dann am Tag drei Stunden schlafen, kommen wieder, machen weiter.“

Ohne Hilfe des Bundes gehe es nicht, betonte die SPD-Politikerin. Sie habe schon am Montag eine Liste mit konkreten Bitten um Unterstützung ans Bundesinnenministerium geschickt – und etwa Personal, Duschkabinen oder elektrische Stationen für die Registrierung angefordert.

„Wenn wir Tegel nächste Woche sukzessive hochfahren, dann brauchen wir dort Menschen, die die Registrierung und Verteilung machen“, sagte Giffey. Auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel soll ein neues großes Ankunftszentrum in Betrieb gehen. „Die Verteilung ist der Kernpunkt. Dafür braucht es die Registrierung und Menschen, die es machen, die in Schichten arbeiten, am besten rund um die Uhr“, erklärte die Regierende Bürgermeisterin.

Giffey betonte erneut, es sei aber noch nicht der Zeitpunkt, in Berlin den Katastrophenfall auszurufen. „Es gibt noch einige Schritte, die man gehen kann.“ Zunächst müssten die vorhandenen Möglichkeiten genutzt werden, sagte die SPD-Politikerin – aber auch: „Ich schließe ausdrücklich nichts aus.“

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