Auswirkungen des Atomausstiegs: Ein paar Cent mehr
Das Geschehen am Strommarkt ist komplex. Wie wird sich der Atomausstieg auf den Strompreis niederschlagen? Eine Rechnung mit Unbekannten.
FREIBURG taz | Es wird viel gerechnet in diesen Tagen: Wird der Strom durch den Atomausstieg teurer und, wenn ja, um wie viel? Gestern veröffentlichte das Bundeswirtschaftsministerium eine Studie zu diesem Thema, verfasst unter anderem vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln. Deren Fazit: Bis 2030 kostet der Ausstieg die deutschen Stromkunden - privat und gewerblich - in der Summe 32 Milliarden Euro. Das wären keine 0,3 Cent je Kilowattstunde. Aber die Studie lässt Themen wie den Netzausbau außen vor.
Um die Auswirkungen des Atomausstiegs auf den Haushaltsstrompreis zu analysieren, muss man drei verschiedene Aspekte betrachten: erstens den Einkaufspreis des Stroms, wie er sich an der Börse ergibt; zweitens die Kosten des Stromnetzes, die auf die Verbraucher umgelegt werden; und drittens die Umlage auf Basis des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), mit der die Förderung des Ökostroms finanziert wird.
Am einfachsten zu bewerten ist der Preis am Strommarkt; in ihn gehen Angebot und Nachfrage ein. Bei Vertragsabschlüssen mit späteren Lieferterminen bewertet der Markt entsprechend die Zukunftserwartungen.
Werfen wir daher einen Blick auf die Stromkontingente, die mit Liefertermin 2014 an der Leipziger Energiebörse gehandelt werden, da die meisten Händler bis zu drei Jahre vorausblicken: Am Tag vor dem Erdbeben in Japan wurde die Megawattstunde für 54,40 Euro gehandelt. Mit dem Atomausstieg nach der Katastrophe von Fukushima sinkt nun das Stromangebot, was sich naturgemäß in einem höheren Preis niederschlägt. Doch die Marktakteure sehen die Verknappung gelassen, der Aufschlag hat sich bei nur etwa 4 Euro je Megawattstunde (0,4 Cent pro Kilowattstunde) eingependelt.
Die Kosten des Netzausbaus und die Folgen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sind schwer zu bewerten
Schwieriger sind hingegen die Kosten des Netzausbaus zu bewerten. Unstrittig ist, dass das Stromnetz umgebaut werden muss. Grundsätzlich war das aber auch schon vor Fukushima in Planung, weil der Anteil erneuerbarer Energien stetig zunimmt. Die Deutsche Energieagentur errechnete bereits vor einigen Jahren einen Anstieg der Netzentgelte durch die Erneuerbaren um 0,39 bis 0,49 Cent je Kilowattstunde. Aktuell geht die Bundesnetzagentur von einem Anstieg um 1 bis 1,5 Cent je Kilowattstunde aus, das wäre ein Aufschlag gegenüber früheren Rechnungen von einem Cent.
Bleibt als dritter Aspekt die Umlage nach dem EEG. Für das Jahr 2012 rechnen Branchenkenner damit, dass sie sich kaum ändern wird. Das liegt daran, dass die Umlage immer im Oktober für das Folgejahr geschätzt wird. Da die Schätzung für 2011 aber wohl zu hoch lag, wird der Überschuss im nächsten Jahr gutgeschrieben.
Die Höhe der Umlage für die Jahre 2013 und danach wird vom Tempo des Ausbaus der erneuerbaren Energien und einigen weiteren Rahmenbedingungen abhängen. Konkrete Prognosen aus der Branche gibt es dazu derzeit noch nicht, da sie das novellierte EEG erst noch genau analysieren muss. Unsicherheiten bestehen zum Beispiel, weil Betriebe stärker noch als bisher von der EEG-Umlage entlastet werden sollen - was dann zwangsläufig zu Mehrkosten für die Haushalte führen wird. Mit neuen Prognosen zur EEG-Umlage ist erst im Herbst zu rechnen.
Eine Unbekannte in der Rechnung ist außerdem der Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem der Offshore-Windkraft. Die Photovoltaik, die bisher immer die höchste Vergütung erhielt, rückt hingegen langsam in den Hintergrund, weil sie rapide billiger wird. Die Vergütung für Strom aus neuen Solaranlagen wird im kommenden Jahr zum Teil schon niedriger sein als die Vergütung für Strom aus Offshore-Windkraft.
Weil die Photovoltaik dank ihrer Fortschritte zugleich die Netzparität erreichen wird - Strom vom Dach ist dann nicht mehr teurer als Strom aus der Steckdose -, wird außerdem der direkte Eigenverbrauch des Solarstroms immer attraktiver, was die EEG-Umlage künftig entlasten wird.
Diese liegt im Jahr 2011 bei rund 3,5 Cent je Kilowattstunde. Das allerdings heißt nicht, dass sie in gleicher Höhe auf den Strompreis durchschlägt. Denn über den sogenannten Merrit-Order-Effekt senken die erneuerbaren Energien im Gegenzug den Strompreis an der Börse. Das heißt: Einerseits geht die Mehrvergütung des Ökostroms in die EEG-Umlage ein, andererseits erhöht der Ökostrom das Angebot an der Strombörse, was dort die Preise senkt. So wird der Anstieg der EEG-Umlage im Jahr 2011 nach Schätzungen der Bundesnetzagentur zu rund einem Drittel kompensiert.
Privatkunden müssen mit leicht steigenden Preisen rechnen - Strom sparen zahlt sich doppelt aus
Was bedeutet dieses komplexe Marktgeschehen am Ende für den Stromkunden? Für Haushaltskunden dürfte sich ein Anstieg des Strompreises ergeben, der irgendwo zwischen den Prognosen der Bundesregierung und den Prognosen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) liegt: Die Regierung rechnet mit nur einem Cent Aufschlag, das RWI hingegen mit fünf Cent. Das RWI vertritt allerdings immer wieder Extrempositionen, und dabei ist eine Personalie interessant: Der Finanzvorstand des Atomkonzerns RWE, Rolf Pohlig, ist Präsident der Gesellschaft der Freunde und Förderer des RWI. Und die Nähe von RWE und RWI ist nicht nur personell, sondern auch räumlich gegeben - beide sind in Essen ansässig.
Realistisch erscheint aus heutiger Sicht ein Anstieg des Haushaltsstrompreises infolge des Atomausstiegs um zwei bis drei Cent. Bei dieser Kalkulation bleibt als große Unsicherheit der künftige Stromverbrauch. Denn der Preis des Stroms an der Börse hängt massiv von der Nachfrage ab. Da sich nach Börsenlogik der Preis immer am teuersten Kraftwerk bemisst, das zur Deckung des Bedarfs nötig ist, können bereits geringe Einsparungen zu deutlichen Preisabschlägen führen. Das zeigte sich übrigens drastisch, als im Jahr 2009 der Stromverbrauch gegenüber dem Vorjahr rezessionsbedingt um sechs Prozent sank: Der Strompreis am Terminmarkt fiel in dieser Phase um über 40 Prozent.
Ein ähnliches Phänomen betrifft den Ausbau der Netze. Die Investitionen nämlich orientieren sich an der erwarteten Höchstlast. Wird auf einer Leitungstrasse nur einmal im Jahr eine höhere Transportkapazität erwartet, so muss das Netz auch dafür ausgebaut werden. So gilt auch hier: Eine nur um wenige Prozent reduzierte Netzlast kann teure Netzausbauten vermeiden.
Somit lohnt sich am Ende für die Haushalte das Stromsparen gleich doppelt: Erstens reduziert der Verbraucher mit jeder eingesparten Kilowattstunde seine eigene Stromrechnung - zugleich aber trägt er auch durch die geringere Nachfrage dazu bei, dass der Strompreis für alle weniger stark ansteigt.
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