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Austritt bei den GrünenSeitenwechsel in Berlin-Mitte

Ein bislang engagierter Vorkämpfer der Verkehrswende der Grünen in der BVV Mitte macht rüber zu den CDU-Autofreunden. Die sind restlos begeistert.

CDU-Kreischef Sven Rissmann, Neumitglied Hendrik Böckermann und CDU-Fraktionschef Sebastian Pieper (v.l.n.r.) Foto: CDU-Fraktion Berlin-Mitte

Berlin taz | Die Grünen in Mitte kommen nicht zur Ruhe. Am Montagabend erklärte ihr verkehrspolitischer Sprecher in der BVV-Fraktion, Hendrik Böckermann, mit sofortiger Wirkung die Grünen zu verlassen. Seine neue politische Wunschheimat: die CDU. Die Union hieß ihn umgehend „herzlich willkommen“ in ihrer Fraktion und dankte ihm „für seinen couragierten Schritt“.

Es ist bereits der zweite Abgang bei den Bezirks-Grünen innerhalb weniger Wochen. Erst im Januar war Frak­ti­ons­che­f:in Shirin Kreße nach mutmaßlichen Falschaussagen in der Affäre um den Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar aus der Partei ausgetreten und hatte ihr BVV-Mandat niedergelegt.

Anders als Kreße hat Böckermann bereits deutlich gemacht, dass er sein Mandat behalten will. Und bei der Gelegenheit auch gleich mit seiner Ex-Partei abgerechnet. Nach „langer Überlegung“ sei er zu dem Schluss gekommen, „dass den Grünen zu viel Ideologie und innerparteiliche Kämpfe im Weg stehen“, begründete Böckermann seinen Schritt.

Nicht zuletzt in der Verkehrspolitik erkenne er „im pragmatischen Handeln der CDU“ für sich „richtige Ansätze, die meinen Überzeugungen entsprechen“. Explizit verwies Böckermann darauf, dass „die grüne Haltung“ zur – 2023 vor allem von der CDU wieder abgeräumten – Verkehrsberuhigung der Friedrichstraße „keine Verbesserungen für Fußgänger oder Fahrradfahrer“ gebracht habe.

Vom gemäßigten Realo zum CDU-Mann

Gleiches gelte für die grüne Ablehnung eines Weiterbaus der Stadtautobahn A100 über Treptow hinaus Richtung Prenzlauer Berg oder den Widerstand gegen den Bau der Betonschneise „Tangentiale Verbindung Ost“ durch die Wuhlheide im Osten Berlins. Auch hier helfe Anti-Haltung weder Fuß­gän­ge­r:in­nen noch Radfahrer:innen. Was insofern überraschende Bekenntnisse sind, als Böckermann eigentlich als Verfechter einer konsequenten Verkehrswende galt.

Die als erzkonservativ geltende CDU in Mitte ist dann auch restlos begeistert vom Seitenwechsel des Bezirkspolitikers, der bislang dem gemäßigten Realo-Flügel der Grünen zugerechnet wurde und seinen Übertritt ausgerechnet in der B.Z. zuerst bekanntgab, dem Kampfblatt der Berliner Au­to­fah­re­r:in­nen.

„Seine Entscheidung bekräftigt einmal mehr die Erkenntnis, dass grüne Politik auf allen Ebenen maßgeblich für die Probleme der Menschen verantwortlich ist und diese befeuert – von der ideologischen Verkehrspolitik auf kommunaler Ebene bis hin zur vollkommen fehlgeleiteten Migrationspolitik im Bund“, begrüßte ihn CDU-Kreischef Sven Rissmann.

Umso größer ist das Unverständnis in Böckermanns Ex-Partei. Der Wechsel sei für die Grünen völlig überraschend gekommen, sagte BVV-Fraktionschef Tarek Massalme am Dienstag zur taz. Sicher, Böckermann sei zuletzt nicht mehr sehr aktiv gewesen. „Aber er hat auch leider gar nicht das Gespräch mit uns gesucht.“ Eine Frechheit sei, dass Böckermann nun auch noch „den Wäh­le­r:in­nen­wil­le ignorieren und sein Mandat mitnehmen will zur CDU-Fraktion“.

Genau das wird freilich passieren. Die Grünen-Fraktion schrumpft in der rund 50-köpfigen BVV Mitte damit auf vorerst 15 Sitze, die CDU hat im Gegenzug nun 13 Sitze, gefolgt von der SPD mit 10 Sitzen und der Linken, die nach mehreren Parteiaustritten inzwischen nur noch 7 Verordnete hat.

Die Grünen in Mitte nehmen berlinweit eine besondere Rolle ein. Nicht nur, weil der Kreisverband mit über 2.300 Mitgliedern der größte im Landesverband ist. Auch gibt hier das Netzwerk „Gr@m“ den Ton an. Die, so der volle Name, „Grüne Realos Mitte“ liegen bei Parteitagen regelmäßig über Kreuz mit den in Berlin ansonsten dominierenden Parteilinken und gemäßigten Realos.

Anm. der Red.: In einer früheren Fassung war im Zusammenhang mit der Gelbhaar-Affäre von „vermeintlichen Falschaussagen“ die Rede. Korrekt ist: „mutmaßliche Falschaussagen“.

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1 Kommentar

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  • Guten Tag, Herr Rutz

    Abgesehen von der kaum nachvollziehbaren Entscheidung von Herrn Böckermann.

    Bei Frau Kreße geht es um mutmaßliche Falschaussagen.

    Es geht nicht um vermeintliche Falschaussagen.

    Leider wird das Wort vermeintlich immer häufiger an der Stelle verwendet, wo das Wort mutmaßlich hingehört.

    Mutmaßlich: Wir wissen noch nicht genau, wie es war, haben aber eine Vermutung dazu. Das trifft bisher auf einen Teil der Aussagen von Frau Kreße zu.

    Vermeintlich: Wir haben gemeint, es wäre so wie bis dahin vermutet. Nun wissen wir sicher, dass es anders war.



    In diesem Artikel würde das bedeuten: Frau Kreße hat keine Falschaussagen gemacht.



    Das wissen wir aber jetzt nicht! Im Gegenteil, die Vermutungen zu ihren Falschaussagen nähern sich der Bestätigung, oder wissen Sie mehr?