Australien Open: Kalkuliert kaltschnäuzig
Naomi Osaka gewinnt bei den Australian Open ihren vierten Grand-Slam-Titel. Verbesserungspotenzial sieht sie auf Sand und Rasen.
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Es gibt immer wieder Gelegenheiten, herzhaft über Naomi Osaka zu lachen. Da stand sie also nun auf dem Podium nach ihrem Sieg bei den Australian Open und startete mit ihrer kleinen Siegerrede. Zuerst lobt man in solchen Fällen üblicherweise die Gegnerin, und genau das wollte sie tun, als sie sich an die im Hintergrund stehende US-Amerikanerin Jennifer Brady wandte und fragte: „Möchtest du eigentlich Jennifer oder Jenny genannt werden?“ „Jenny“, sagte Brady, leicht verwirrt, doch Osaka machte weiter und sprach von „Jennifer“. Allgemeine Erheiterung in der Rod Laver Arena, ein federleichter Moment.
Andere Dinge hatten fraglos mehr Gewicht. Der Titel, den die Japanerin trotz einiger Zittermomente mit einem überzeugenden Sieg gegen Brady gewann (6:4, 6:3), war der siebte ihrer Karriere und schon der vierte bei einem Grand-Slam-Turnier. Vier Endspiele, vier Treffer zum Start – in der Profizeit gab es nur eine, der das im Frauentennis gelungen war, Monica Seles; die gewann Anfang der 90er Jahre sogar die ersten sechs. Osaka schnappte sich den ersten im denkwürdigen Finale der US Open 2018 unter schwierigsten Umständen gegen die vor Wut schäumende Serena Williams, den zweiten mit harmonischerer Begleitmusik vor zwei Jahren in Melbourne und den dritten vor fünf Monaten wieder in New York.
Bei den ersten beiden wurde sie vom Münchner Sascha Bajin trainiert, bei Nummer drei und vier saß der Belgier Wim Fissette in der Box, dessen Erfolgsliste immer länger wird. Den ersten großen Titel gewann er mit Kim Clijsters im Jahr 2009, den vierten mit Angelique Kerber 2018, jetzt ist er bei sechs angekommen. Und dabei dürfte es vermutlich nicht bleiben, denn Naomi Osakas Zukunft liegt sonnenbeschienen und grün bewachsen im großen Reich des Frauentennis. Die mächtigen Schläge hatte sie schon immer, doch inzwischen sind ihre Gedanken so gut geordnet – und da ist eine Menge zu ordnen –, dass selbst ein kleiner Exkurs keinen Schaden anrichten kann.
„Sie zögert nicht“
Warum sie so gut ist? In einem Interview mit dem niederländischen Tennis Magazine meinte Fissette kürzlich, mit ihrer Physis spiele Naomi Osaka auf einem ganz anderen Niveau als 90 Prozent aller Gegnerinnen; vieles sei das Ergebnis harter Arbeit, vieles von der Natur mitgegeben. Dazu komme ihre Kaltblütigkeit in Verbindung mit Zuversicht. „Sie zögert nicht. Wenn sie das Ziel vor Augen hat, dann beschleunigt sie und spielt ihr bestes Tennis. Das ist eine große Qualität und macht einen Riesenunterschied.“
Und die Zuversicht wächst. Vor einem Jahr hatte Osaka in Melbourne in der dritten Runde gegen die junge Amerikanerin Cori Gauff verloren – gefesselt vom Gefühl, den Leuten etwas beweisen zu müssen. So denkt sie jetzt nicht mehr. „Ich sehe Erwartungen nicht mehr als Last, sondern als etwas, wofür ich hart gearbeitet habe.“ Was nicht heißt, wie Fissette ergänzt, eine gute Einstellung käme ohne schwarze Momente aus. Es sei ja menschlich und normal, manchmal frustriert zu sein, sagt er, aber sofort wieder auf null zu schalten, darauf komme es an.
Auf Hartplätzen wie in Melbourne und in New York hat Osaka ihre Claims abgesteckt, und mit ihren vier Titeln steht sie auf einer Plattform in den wechselnden Gezeiten des Frauentennis. Der nächste Schritt, das nächste Ziel? Ganz klar, ein Turnier im 16. Pariser Bezirk, Roland Garros. Auf Sand kam sie auf der Ebene der Grand-Slam-Turniere bisher nie weiter als in Runde drei, desgleichen auf dem Rasen von Wimbledon. Fissette sagt, mit ihren natürlichen Bewegungen und der Art, Punkte aufzubauen, sehe er nicht, warum das nicht klappen sollte.
Das sieht sie ähnlich, doch Grand-Slam-Titel Nummer fünf oder sechs stehen offenbar nicht ganz oben auf der Liste der Prioritäten. Die Antwort darauf, wonach sie am meisten strebe, ist so gut und romantisch, dass man sie in großen Lettern auf eine Wand pinseln möchte. „Also“, sagte Naomi Osaka, geboren in Osaka, Tochter einer Japanerin und eines Vaters aus Haiti und damit die Erbin vieler Kulturen, „das größte Ding für mich wäre – ich weiß, das hört sich jetzt merkwürdig an –, dass ich hoffentlich lang genug dabei bin, um gegen ein Mädchen spielen zu können, dessen Lieblingsspielerin ich mal war.“ In den Jahren bis dahin wird sie vermutlich noch diverse Reden halten und garantiert ein paar Leute verwirren.
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