Ausstellungsempfehlung für Berlin: Wettlauf zwischen Licht und Schall
In der König Galerie untersucht die Konzeptkünstlerin Alicja Kwade Bewegung in Raum und Zeit. Die taz sprach mit der Künstlerin.
Dass sich nichts so schnell ausbreitet wie das Licht, ist seit Einstein bekannt. 300.000.000 Meter legen Lichtwellen pro Sekunde zurück, wohingegen es beim Schall im Vergleich nur 343 Meter in derselben Zeit sind. Bei jedem Gewitter lässt sich das anhand der zeitlichen Verzögerung zwischen Blitzeinschlag und Donnergrollen beobachten, aber kann es sich irgendwer wirklich vorstellen?
In ihrer Einzelausstellung „Phase“ in der König Galerie versucht sich Alicja Kwade an einer Veranschaulichung.
Zwölf Lautsprecher hat sie kreisförmig wie die Ziffern einer Uhr aufgestellt, in der Mitte zwischen ihnen einen Messingring auf den Boden gelegt. Ganz ruhig, jetzt. Wie Kwade hörbar suggeriert, kommen wir schlicht zu spät: Zu sehen ist nichts mehr, wahrzunehmen ist aber noch das Geräusch des Rings, wie er sich um die eigene Achse dreht und schließlich zu Boden geht.
Man lauscht dem erst gleichmäßigen, dann immer lauter scheppernden und schließlich abebbenden Klang, dem akustischen Bild der Bewegung.
„NachBild“, so der Titel, nimmt Bezug auf die Installation, die Kwade bereits 2013 in der St.-Agnes-Kirche zeigte. Für „Nach Osten“ (2011/2013) ließ sie einem foucaultschen Pendel gleich eine Glühbirne durchs Schiff schwingen und leuchtende Bögen in die Luft zeichnen.
Damals das Licht und die Bewegung der Erde, jetzt der Schall und der Lauf der Zeit – Kwade lässt einen wieder staunen über die komplexen Phänomene der Physik, noch viel mehr aber über die poetischen Bilder, in die sie ihr Erkenntnisinteresse verpackt.
Einblick (698): Alicja Kwade, Künstlerin
taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?
Alicja Kwade: Robert Schmitt bei Grzegorzki Shows. Der Künstler ist im Hauptberuf Mathematiker und akribischer Informationssammler. Er hat seit zehn Jahren Zeitungen gesammelt, die jetzt im kleinen Wärterhäuschen zu sehen sind.
Es stellen sich Fragen nach Medien, Speicherung, Ding-Welt, der Abstraktion von Information, Wissensgenerierung und -archivierung. Die Grzegorzki Shows nehmen die etwas zurückgegangene Tradition von Künstler-Projekträumen auf, aber mit besonderen Positionen. Außerdem liebe ich das pinkfarbene Neonschild am Eingang; die Eröffnung mit goldenen Sardinendosen und pink Rosé-Wein war ein Highlight.
Alicja Kwade (*1979 in Katowice, Polen) hat an der Universität der Künste in Berlin bei Dieter Hacker und Christiane Möbus studiert. Ihre Skulpturen und Installationen waren in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen, u. a. 2017 bei der 57. Biennale di Venezia, bei Deutschland 8 – German Art in Beijing, im ARoS Art Museum in Aarhus, im Eli and Edythe Broad Art Museum Michigan (S), im Museum Frieder Burda – Salon Berlin (S) sowie 2016 bei der Kochi-Muziris-Biennale, in der Whitechapel Gallery London (S) und im De Appel Arts Centre Amsterdam (S). In Berlin wird Kwade von der König Galerie vertreten. Dort ist aktuell ihre Einzelausstellung „Phase“ in der Kapelle zu sehen.
Welches Konzert oder welchen Klub kannst du empfehlen?
Ich gehe am 6. Dezember zu Cigarettes After Sex. Das höre ich gerade rauf und runter. Ansonsten ist eine großartige Nacht im 131, in der Chausseestraße quasi garantiert, inklusive wahnsinniger Live Acts wie Chrysta Bell.
Im April darf man sich auf Friendly Butter freuen, ein Geheimtipp aus Karlsruhe. Ein gutes Gespräch mit einem exzellenten Bier bekommt man in der Bar 3 und weiß danach Bescheid, was in der Stadt so los ist!
Welche Zeitung/welches Magazin und welches Buch begleitet dich durch den Alltag?
Ich habe immer Bücher in der Handtasche, im Moment eines von René Descartes und Leofranc Holford-Strevens, „A Brief History of Time“.
Was ist dein nächstes Projekt?
Ich habe eine Einzelausstellung im YUZ Museum Shanghai und bereite parallel eine Einzelausstellung im Haus Konstruktiv in Zürich vor.
Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?
Nachts alleine im Atelier mit lauter Musik, Wintersonne in Berlin, skurrile schillernde Persönlichkeiten auf den Straße, wie der Percussionist am Rosenthaler Platz, der auf der Mülltonne spielt, aus dem Straßenpflaster wachsende Blumen, Momente urbaner Poesie eben.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer donnerstags in der Printausgabe der taz.