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AusstellungKiezgeschichte im Vorbeigehen

Die Ausstellung "Geschichte von Orten im Wrangelkiez" soll zur Identifikation der Bewohner mit ihrem Stadtviertel beitragen.

Vor einem Schaufenster in der Schlesischen Straße bleibt eine junge Frau stehen. Trotz der Kälte studiert sie aufmerksam eine Tafel hinter der Scheibe. Die Tafel ist Teil der Ausstellung "Geschichte von Orten im Wrangelkiez" des örtlichen Quartiersmanagements. Der Text erzählt von einem Bademeister in einer Spreebadeanstalt um die Ecke. Vor mehr als 100 Jahren lernten die Kinder an seiner Angel schwimmen. Die erste öffentliche Badeanstalt in der Cuvrystraße war ständig überfüllt.

Schwimmen kann man in der Spree heute höchstens auf dem Badeschiff der Arena. Von den öffentlichen Flussbadeanstalten weiß kaum ein Bewohner des Wrangelkiezes. Auch an das Kaufhaus Kato im U-Bahnhof Schlesisches Tor oder an das alte Kino Lido erinnern sich nur wenige. Die Ausstellung des Quartiersmanagements will die Vergangenheit des Kreuzberger Kiezes für die Bewohner jetzt wieder hervorholen. Die Menschen im Wrangelkiez sollen sich mit ihrem Wohnort identifizieren. "Die Ausstellung zeigt den Bewohnern, dass ihr Kiez geschichtsträchtig ist", sagt Emine Basaran vom Quartiersmanagement. Ein Bewusstsein für die Geschichte könne zur Identifikation mit dem eigenen Kiez beitragen. Basarans Anliegen richtet sich vor allem an die Kiezbewohner mit Migrationshintergrund - mehr als 30 Prozent. Doch auch immer mehr Studenten und Kreative strömen in den Szenekiez. "Täglich ziehen Menschen weg oder zu," sagt Emine Basaran. Die meisten verbinden nichts mit den historischen Orten im Viertel.

Zehn fiktive und historische Personen erzählen deshalb auf zehn Tafeln jeweils die Geschichte eines Ortes im Kiez. Einer von ihnen ist Bethel Henry Strousberg, der Erbauer des Görlitzer Bahnhofs. "Man nennt mich den Eisenbahnkönig", beginnt Strousberg und erzählt, wie er die Industrialisierung 1865 auch in Deutschland vorantreiben wollte. Nach seiner Fertigstellung verband der Görlitzer Bahnhof Berlin mit Schlesien. Strousberg lieferte so die Initialzündung für den ersten Boom des heutigen Wrangelkiezes. Mietshäuser und Industrieunternehmen entstanden. Schließlich mussten nach dem Ersten Weltkrieg die Badeanstalten an der Spree der chemischen Industrie, den Färbereien und Lederfabriken weichen.

"Wir haben immer eine direkte Ansprache an den Betrachter versucht", sagt Andrea Gerischer vom Büro Stadträumliches Lernen Zschunke + Gerischer + Jablonka, das die Realisierung des Projekts übernommen hat. Strousberg plaudert deshalb noch ein wenig aus seinem Leben. Bezahlt habe er den Bau des Bahnhofs hauptsächlich mit Aktien des eigenen Unternehmens. "Später warf man mir schamlose Bereicherung vor. Das hat mich sehr getroffen", sagt Strousberg. Ergänzt werden seine Ausführungen durch einen erklärenden Text und Fotos des Görlitzer Bahnhofs in verschiedenen Jahrzehnten.

Um den Kiezbewohnern die Geschichte ihres Ortes vermitteln zu können, hat das Quartiersmanagement auf eine Ausstellung im geschlossenen Raum verzichtet. "Viele Bewohner haben Hemmungen, die Türschwelle zu einer Ausstellung zu überschreiten", sagt Basaran. "Die Tafeln können im Vorbeigehen betrachtet werden." Angestoßen wurde das Projekt von Bewohnerinnen, von denen viele nicht in Deutschland aufgewachsen sind. Sie wollten mehr über ihren Wohnort erfahren.

Bis zum 4. Mai werden die Tafeln im Wrangelkiez sichtbar sein. "Uns war es wichtig, dass die Ausstellung danach nicht in irgendeinem Kämmerchen landet", sagt Basaran. Für die Nachhaltigkeit sorgt nach dem Ende der Ausstellung die Eberhard-Klein-Hauptschule. Schüler der achten und neunten Klasse belegen dort das Unterrichtsfach "Stadtteilorientiertes Lernen". Unter anderem lernen sie, eigene Stadtführungen zu veranstalten. Dazu werden sie die Tafeln der Ausstellung verwenden.

Seit dem Bau des Görlitzer Bahnhofs im 19. Jahrhundert hat sich im Wrangelkiez viel verändert. In den letzten Jahren hat das Viertel häufig durch Armut und Gewalt von sich Reden gemacht. Neuerdings ändert sich das. Das Viertel ist im Aufschwung. Und ab 2011 soll es an der Spree auch wieder Bademeister geben. Ein Pilotprojekt will zumindest am Osthafen mit Unterwasserspeichern für sauberes Wasser im Fluss sorgen.

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