Ausstellung: Alles ist Zeichnung

Mit der beim Ökonomen Adam Smith geliehenen Metapher von der "unsichtbaren Hand" ergründet die Städtische Galerie Delmenhorst derzeit die Rolle der Zeichnung in der zeitgenössischen Kunst. Sie darf alles, so die These.

Und am Ende ist alles Zeichnung: Marcel Eeden, ohne Titel, 2004. Bild: Städtische Galerie Delmenhorst

Delmenhorst. Nicht der Ort, an dem man eine Antwort auf die großen Fragen erwartet. Oder überhaupt eine Antwort. Schon gar nicht, wenn es um Kunst geht. Um die Frage: "Was ist zeitgenössische Zeichnung?"

Ein Vorurteil, natürlich. Barbara Alms - seit 20 Jahren Direktorin der Städtischen Galerie zu Delmenhorst - hat lange schon gezeigt, dass man auch im kulturellen Ödland relevante Kunstfragen beantworten kann. Einige ihrer früheren Ausstellungen fanden internationale Beachtung. Weil Alms schon früh auf die Rückkehr des Gegenständlichen in der Kunst hinwies. Um die "Wirklichkeit" ging es ihr da, beispielsweise.

Jetzt also: die Zeichnung. Sie darf alles. "Alles ist möglich." Das ist Alms anarchische These. "Sie ist ein Vagant, der sich mit anderen Medien zusammentut und sie wieder verlässt."

Eine These auf schwacher empirischer Basis, könnte man einwenden. Sicher, es sind gut 130 Positionen, die da unter dem vielsagenden Titel "Unsichtbare Hand" präsentiert werden. Darunter Künstler, die es auch in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit geschafft haben, allen voran Neo Rauch, aber auch Norbert Schwontkowski, Marcel van Eeden oder Nanne Meyer. Sie entstammen allesamt der eigenen Sammlung der Städtischen Galerie Delmenhorst. Und sind das Ergebnis aus zwei Dekaden Alms'scher Aktivität, entstanden mit ewig dürftigen finanziellen Mitteln und doch in dem steten Bemühen um die dauerhafte Sicherung des Hauses jenseits seiner Direktorin Barbara Alms. Das Ergebnis: Die Sammlung umfasst 200 zeitgenössische Zeichnungen und Fotografien. Fast durchweg stammen sie von jenen, die in 20 Jahren selbst dort ausgestellt haben, darunter viele Schenkungen, manches, was auf dem freien Markt für fünfstellige Beträge gehandelt wird.

Die Zeichnung ist - so sah es jedenfalls die Renaissance - "der Vater aller Künste". Mehr noch: In ihr, so hieß es, liege die "Wahrheit". Kein Wunder, denn schon in der Antike galt die Zeichnung als das einfachste und doch vollkommenste aller Medien, gar die "Geistigste" aller Künste.

Und sie ist eine "mehr oder minder notwendige Randerscheinung im Betrieb zeitgenössischer Kunst", schrieb die Städtische Galerie vor fünf Jahren in einem Katalog. Um jetzt gleichwohl die Vaterschaftsthese wiederzubeleben, bedient sich die Städtische Galerie Delmenhorst ausgerechnet bei Adam Smith. Also dem schottischen Moralphilosophen, dem Begründer der Nationalökonomie überhaupt. Seine Rede von der "unsichtbaren Hand" im "Wohlstand der Nationen" von 1776 gilt als das Sinnbild des Wirtschaftsliberalismus, des Kapitalismus überhaupt. Wenn jeder sich an seinen ganz eigenen Interessen orientiert, so Smith, fördert er am Ende, gleichsam unbewusst, das Gemeinwohl. Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.

Zugleich ist die "unsichtbare Hand" (des Marktes) das Symbol einer Fortschrittsgarantie. Auf jeden Fall aber ist sie ein geheimnisvolles Prinzip, das ordnet, was scheinbar nicht zusammenpasst. Also Zeichnung und Videoinstallation, Zeichnung und Malerei, Zeichnung und Fotografie, Spontanität und Intention, Zufall und Notwendigkeit, Kunstdiskurs und Delmenhorst.

Am Ende ist hier fast alles Zeichnung, irgendwie. Keine Rede von Handzeichnung oder Grafik. Das Wesen der Zeichnung, sagt die Ausstellung, das ist nicht die Linie. Sondern ein Gegensatz aus Hell und Dunkel. Darunter fallen dann natürlich auch die zufälligen Fehlerausdrucke eines alten Atari ST, wie sie Marikke Heinz-Hoek verwendet und dabei Ordnung suggeriert, wo doch in erster Linie Chaos ist. Oder die Monotypien eines Norbert Schwontkowski, die ein Abklatsch, im Grunde also ein Abfallprodukt seiner Malerei sind. Oder der ebenso dicke wie nichtssagenden Ölklecks auf gelben Grund, wie Daniel Bernedt ihn offeriert. Wo keine einschränkende Definition ist, da droht am Ende die Vielfalt der Beliebigkeit.

Eindringlich wird die Ausstellung dort, wo ihre Bilder erzählen. So wie bei Wolf Hamm, dessen dreiteiliges Bild "Das Nervenkostüm" hinter Acrylglas zugleich Malerei und Zeichnung, Comic und Altarbild so untrennbar wie selbstverständlich miteinander verschmilzt. Hamm ist dabei ähnlich narrativ wie etwa Marcel van Eeden, der gerade in New York und auch der Hamburger Kunsthalle ausgestellt war. Der so reale wie fiktive Geschichten zeichnet und dabei stringent auf selbst nie Erlebtes zurückgreift. Es ist das trügerische Angebot einer Story, deren Zeichnung zugleich die Mechanismen des Erzählens entblößt. Am eindringlichsten ist immer die unsichtbare Geschichte im eigenen Kopf. So wie auch bei der Fotografie von Timm Ulrichs, der sich das Filmzitat "The End" aufs Augenlid tätowieren ließ. Eine Zeichnung, die schmerzt. Aber wie gesagt: Zeichnung darf alles.

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