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Ausstellung zum UkrainekriegSubtil von Gewalt erzählen

Alevtina Kakhidze und Renata Rara Kaminska formulieren in der St.-Matthäus-Kirche künstlerischen Widerstand gegen den Ukrainekrieg.

Elegant-bedrohlich: Die Mahagoni-Skulptur von Renata Rara Kaminska schlängelt sich von der Decke der St.-Matthäus-Kirche Foto: Leo Seidel

Wenn sich eine Lehre aus den vergangenen Multikrisenjahren ziehen lässt, dann, dass der Aufmerksamkeitsökonomie und ihren Konjunkturen nicht zu trauen ist. Was im medialen Diskurs, der Bedeutung in Klickzahlen misst, nach oben gespült oder untergebuttert wird, unterliegt durchaus perfiden Logiken. Mit Relevanz hat das oft wenig zu tun, eher mit Lautstärke, Reiz oder einer sukzessiven Sättigung. Längst hat der Kampf um Deutungshoheit, etwa in den sozialen Netzwerken, bizarre Ausmaße erreicht.

Irrsinnigerweise droht das Interesse am Krieg in der Ukraine derzeit selbst in Europa zu schwinden. Also dort, wo er nun seit mehr als tausend Tagen tobt (die knapp elf Jahre, seit Russland die Annexion der Halbinsel Krim völkerrechtswidrig erzwang, nicht mitgerechnet).

Eine Entwicklung, die sie mit Sorge wahrnehme, erzählt die umtriebige, zwischen Deutschland und der Schweiz pendelnde polnische Künstlerin Renata Rara Kaminska. Vor dem Hintergrund einer allmählichen Verdrängung des Ukrainekriegs aus der öffentlichen Wahrnehmung sei ihre Ausstellung ein Versuch, dem entgegenzuwirken. Aktuell bespielt sie gemeinsam mit der ukrainischen Künstlerin Alevtina Kakhidze die St.-Matthäus-Kirche unweit des Berliner Kulturforums. Anlässlich des dritten Jahrestages des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wollen sie künstlerisch ein Zeichen des Widerstands setzen.

„24-2=2022“ steht auf dem schlichten Banner, das neben dem Kircheneingang im eisigen Wind flattert. Bereits der Titel der Schau, im ersten Moment eher als mathematische Gleichung entzifferbar, denn als Datum, deutet die Krux mit der einen richtigen Lesart an.

Über ihre Freundschaft hinaus verbindet die Künstlerinnen ein Aufwachsen in Grenzregionen

Sie buchstabiere nichts aus, erklärt Kaminska, die an der Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin und an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert hat, sondern arbeite intuitiv. Wie eine Freihandzeichnung oder einen „Schnörkel“ habe sie ihre winkellose Skulptur im Raum platziert, ergänzend, nicht konträr zur vertikalen Schönheit der Kirchenarchitektur.

Wie im Schwebezustand wirkt die sich bis zur Kuppel hinaufschlängelnde Figur. Von der Kanzel aus sind die durchsichtigen Fäden zu erkennen, an denen das Gebilde aus Mahagoni gehalten wird. Ein Naturmaterial, das die Künstlerin gebraucht erwarb; einst wurde das Edelholz aus den afrikanischen Kolonien hierher verschifft. Jahrhunderte des Raubbaus, dem massig Tropenwälder zum Opfer fielen, sind ihm eingeschrieben.

Wie Kaminska weiß auch Alevtina Kakhidze, Absolventin der Nationalen Akademie der bildenden Künste in Kiew wie der Jan-van-Eyck-Akademie in Maastricht und Toleranzbeauftragte der Vereinten Nationen, subtil von Gewalt zu erzählen. An der Wand der Chorapsis im Altarbereich hat sie einen getrockneten Bärenklau „gekreuzigt“, der einen bizarren langen Schatten wirft. Bis heute richtet die Pflanze, die zu Sowjet-Zeiten in die Ukraine eingeschleppt wurde, im dortigem Ökosystem als invasive Art, als „Aggressor“, enormen Schaden an.

Demarkationslinien, innen und außen, und ihr Überschreiten – über ihre langjährige Freundschaft hinaus verbindet die Künstlerinnen ein Aufwachsen in Grenzregionen. Während Alevtina Kakhidze im ukrainischen Dorf Muzychi lebt und arbeitet, aber in der Region des Donezbeckens aufwuchs, stammt Kaminska aus Zamość, einer polnischen Stadt nahe der ukrainischen Grenze, Geburtsort Rosa Luxemburgs.

Die Ausstellung

Alevtina Kakhidze, Renata Rara Kaminska: „24-2=2022“, Ausstellung St.-Matthäus-Kirche, bis 24. Februar

Hinter den rotbraunen Mahagonibahnen lugt grüne Farbe auf weißem Papier hervor. Links und rechts an den Wänden des Mittelgangs hat Kakhidze ihre Papierbögen drapiert. Da wachsen etwa einer Frau Büschel anstelle von Gliedmaßen. Kein Albtraum-Szenario, sondern Wunschdenken, wie der Schriftzug verrät: „I wish I could regenerate the way plants do. If I am wounded.“

Für andere ihrer Zeichnungen dienten Vorurteile als Ausgangspunkt, mit denen sich Kakhidze während eines Stipendienaufenthalts in der deutschen Hauptstadt konfrontiert sah. „Let me tell you about what Russia is doing to us“, sagt der Ukrainer, der die Hand nach dem Berliner Bären ausstreckt, die Antwort fällt knapp aus: „Yes, but the U.S. is still the worst.“

Dass Unbekannte in der Ausstellung vandalierten und eine von Kakhidzes Zeichnungen beschädigten, diese unter anderem mit Opferzahlen des Gazakrieges beschrieben, darauf verweist ein kleines Schild. Ein Vorfall, der beim abschließenden, interessant besetzten Diskussions-Panel thematisiert werden soll.

Allen Widrigkeiten zum Trotz wollen die Künstlerinnen die St.-Matthäus-Kirche, in der Paul Tillich, bevor er von Max Horkheimer überredet wurde, ins Exil zu gehen, und der von den Nazis ermordete Dietrich Bonhoeffer ordiniert wurden, als „Resonanzraum der Hoffnung“ verstanden wissen. „Kriege enden“, so Kaminska, gebraucht würden Visionen für die Zeit danach. Positives Denken kann jedenfalls gegenwärtig nicht schaden.

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