Ausstellung von Nadira Husain: Opulenz und Zartheit
Warum nicht mal eine positive Utopie postmigrantischer Lebenswelten? Nadira Husains überbordende Bilder sind in Darmstadt zu sehen.
Fast könnte man sich in einem fabelhaften Einrichtungshaus wähnen, derart, wie es das kaum mehr gibt und so vielleicht auch niemals gegeben hat. Einem Ort, an dem Stoffe, Farben und Muster verführerisch illuminiert vom guten Leben zeugten, das natürlich mehr sein musste, als man sich hier tatsächlich erkaufen konnte. Wo das ausgestellte Mobiliar vor allem ein Wohnvorschlag blieb, der ungeahnte Freiheiten und Fantasien beflügeln konnte, Inspirationsquelle für eigene Vorhaben.
Die schlechteste Assoziation wäre dies tatsächlich nicht. „Manzil Monde“ nennt Nadira Husain ihre aktuelle Ausstellung in der Darmstädter Künstlerkolonie Mathildenhöhe. Eine franko-arabische Wortkombination, die sich etwa als „Wohnwelt“ verstehen ließe. Allerdings ist Wohnen bekanntlich eng verknüpft mit dem Leben, so ist es auch mit diesen Wörtern. „Manzil“ wird sowohl im Arabischen als auch in Urdu mit „Wohnen“ oder auch „Zuhause“ übersetzt.
Damit setzt die Künstlerin, die 1980 als Kind einer französischen Mutter und eines indischen Vaters in Frankreich geboren wurde und heute unter anderem in Berlin lebt, selbst den Grundton für eine Schau an diesem historischen Ort, an dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Reformierung des Lebensalltags erprobt wurde.
Die Bildhauerateliers des Darmstädter Weltkulturerbes bringt Nadira Husain visuell zum Überborden. Schon im Flur zum Ausstellungsraum umwerben Mäusehorden, akrobatische Elefanten, Fabelwesen aus Mensch und Tier, Tier und Schlumpf in schwarzen Umrissen die Aufmerksamkeit ihres Publikums. Dazwischen eine ältere Dame, die sich ein Wassereis in den Mund schiebt, rauchende Babys, Liebespaare, unbekannte Gottheiten in einem comichaften Niemandsland, in dem bloß die dann und wann aufkreuzenden Schriftzüge eine merkwürdig universelle Orientierung stiften – UHU, heißt es dort in der berühmten Typologie des Hobbyklebstoffs zum Beispiel. Fühlt man sich jetzt nicht umgehend heimisch?
Nadira Husain: „Manzil Monde“. Museum Künstlerkolonie, Mathildenhöhe Darmstadt, bis 23. Oktober
Hinter der Tür wartet die Fortführung in Farbe. Prächtig gemusterte Stoffe in allen Dessins schimmern hier um die Wette, sie liegen über einem großen Sitzobjekt drapiert und hängen in mannigfaltigen Kombinationen an der Wand, wo sie aus zahlreichen Einzelelementen zusammengenäht mal opulentes Wimmelbild, mal Form- und Materialstudie nachzuahmen scheinen. Manche Stoffarbeiten ragen bis auf den gelbgoldenen Teppich, der den gesamten Raum in Heiterkeit taucht.
Monoblocs im Herzstück der Schau
Eine Etage weiter oben kann man schließlich die Wohnkunst von den Koloniegründern Peter Behrens, Joseph Maria Olbrich und Co sehen, die seinerzeit in die Welt geschickt wurde. Auf große Schauen in Italien, Düsseldorf oder gar im amerikanischen St. Louis, gerichtet an ein bewusst internationales Publikum, die engen Grenzen des regional-kulturellen Geschmacks schienen restlos überholt. Neben großem Mobiliar gehörten hier Wohnaccessoires, aber auch Fliesen und Stoffe selbstverständlich zum Gesamtkunstwerk; Letztere nehmen wiederum auch in Husains Arbeiten eine zentrale Position ein.
Oben also Raumkunst und unten auch, nur in einer ganz eigenen Neuauflage. Die Treppe weiter hinab geht es ins Herzstück der Schau, wo neben Wandarbeiten weitere Objekte mit Wohnbezug zu finden sind. Wie die Monoblocs, für gewöhnlich schmucklose, aber weltweit beliebte weiße Plastikstühle, die es schon zu einer eigenen Ausstellung im Vitra Design Museum gebracht haben. Nadira Husain hat dem globalen Billigsitz-Klassiker ein Kleid aus Sprayfarbe verpasst und eigens entworfene Sticker draufgeklebt, die an Touristensouvenirs erinnern und das „GLOBAL“ sogar wörtlich formulieren.
Geteilt wird der Raum durch mehrere transparente Vorhänge, auf die Fotografien heimischer Interieurs gedruckt sind. Katzen liegen dort auf einer Vitrine herum, in der eine historische Rüstung steht; an der Wand das Bild einer älteren Frau, womöglich die Großmutter der Künstlerin. Doch will man genauer hinschauen, gerät das Motiv schon aus dem Fokus: Man benötigt den richtigen Abstand, um die halbtransparenten Szenerien lesen zu können.
Alles durchdringt sich
Stoffe spielen eine zentrale Rolle in Husains Arbeit. Merkwürdig genug, dies zu erwähnen, auch der Malgrund einer Leinwand besteht ja in aller Regel aus Stoff. Husains Materialien aber sind nicht Untergrund, sie nehmen eine ebenbürtige Position ein. Denn ihre Bilder kennen keinen strengen räumlichen Vorder- oder Hintergrund. Motive werden auf Stoffe gemalt oder gezeichnet und wiederum auf andere Stoffe aufgenäht.
Bei aller farbenprächtigen Opulenz bewahren sich Husains Arbeiten zudem eine ausgesprochene Zartheit. Man könnte es auf die Gleichzeitigkeit ihrer Motive und die oftmals transparenten Materialien schieben: Alles kann sich überlagern oder gegenseitig durchdringen.
Nicht immer tut es das (mal dominieren die einen und mal die anderen Elemente, deutsche Brezeln scheinen immer Trumpf). Aber oft eben doch. Die Künstlerin gibt nicht vor, welche Ebene von höherer Bedeutung ist. Gleichzeitig bleiben die einzelnen Objekte, Menschen und Tiere klar umrissen.
Mikro- und Makrokosmos
Die Zeichen lösen sich nicht auf, sondern formieren sich in unterschiedlichen Kontexten lediglich neu. Wie eine zur Abwechslung mal ganz und gar positive Utopie postmigrantischer Lebenswelten, in der Mikro- und Makrokosmos, Europa und Asien, Vergangenheit und Gegenwart, die eigene Person und die Menschen rund um die Künstlerin sich zu einer konsum- und popkulturell durchwirkten, keineswegs widerspruchsfreien Bildmythologie formieren.
Ein schöner Bastard eben. So nennt die Künstlerin sich und ihre Arbeitsweise jedenfalls selbst, „bâtarde“. Ein Neologismus, die weibliche Form des Bastards – und eine schmunzelnde Namensabwandlung der tschechischen Schuhmarke Bat’a, deren schwungvolle Logo-Schriftzüge Husain gerne auch für ihr bâtarde heranzieht.
Ausgedachte Realitäten gehören für Husain, neben dem ohnehin reichen Formen- und Zeichenschatz ihrer transkulturellen und ja keinesfalls abgeschlossenen Biografie, dazu. Ihre Menschenwesen haben so zum Beispiel oft blaue Haut, wie Kali, die indische Göttin und feministische Symbolfigur. Auch furries, die Fellanzug tragenden Anhänger:innen der gleichnamigen Subkultur, finden Einzug in die Bilder der Künstlerin.
Wir sind an der Oberfläche
Um die korrekte Interpretation muss man sich in dieser Schau allerdings nicht sorgen. Wo es keinen Anfang und kein Ende gibt, ist die Suche nach einer Chronologie müßig. Eher schon regt Husains Kunst an, Schnittstellen und eigene Bildmythologien aufzutun. Da schließt sich der Kreis zu den Wohnausstellungen um die Jahrhundertwende, die von neuen Lebensentwürfen und – Utopien handelten.
Schaut, rufen Nadira Husains Zeichen und Ornamente, die allerdings nicht für schablonenhafte Unfreiheit stehen wollen, sondern gerade die Freiheit des Ausdrucks vom Bildraum behaupten: Wir sind an der Oberfläche. Grabt nicht immer tiefer, auf der Suche nach dem Eigentlichen (der berühmten Eigentlichkeit?). Beschäftigt euch ruhig mit dem, was vor euch steht. Anzuschauen gibt es mehr als reichlich.
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