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Ausstellung über den NSGeheim gehalten

Die Kinder der Widerständler vom 20. Juli 1944 wurden von den Nazis nach Bad Sachsa verschleppt. Jetzt dokumentiert eine neue Dauerausstellung ihr Schicksal

Ludwig und Hanna Gehre mit ihrer Steiftochter Renate Henke Foto: Reimar Paul

Göttingen taz | In den letzten Julitagen des Jahres 1944 wird das Kinderheim „Bremen“ der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ im Harzstädtchen Bad Sachsa auf Weisung des Reichssicherheitshauptamts überstürzt geräumt. 200 Kinder und Jugendliche sowie einige Dutzend Schwesternschülerinnen müssen die auf einer Waldlichtung am Ortsrand gelegenen Gebäude verlassen.

Gestapo-Männer durchsuchen das Gelände nach möglicherweise Versteckten und verpflichten die Kindergärtnerinnen zu absolutem Stillschweigen über den Grund der hastigen Aktion: In dem Heim soll Platz geschaffen werden für die Kinder der Widerständler, die nach dem Scheitern ihres Attentats vom 20. Juli 1944 eingesperrt oder schon hingerichtet worden sind.

Nun dokumentiert eine Ausstellung mit dem Titel „Unsere Identität sollte vernichtet werden“ das Schicksal der nach Bad Sachsa verschleppten Kinder. Die Schau im Obergeschoss der Tourist-Information beginnt mit einem Rückblick.

Ein sofortiges Ende des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Kriegs- und Gewaltverbrechen – das sind die wichtigsten Ziele der zivilen und militärischen Oppositionellen, die seit dem Herbst 1943 einen Anschlag auf Adolf Hitler vorbereiten. Claus Schenk Graf von Stauffenberg gelingt es auch, am 20. Juli 1944 einen Sprengkörper in das „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ einzuschleusen und zur Explosion zu bringen. Aber das Attentat scheitert, Hitler wird nur leicht verletzt.

Stauffenberg und vier andere Offiziere werden noch am selben Abend im Hof des Bendlerblocks in Berlin erschossen. In den Folgetagen nimmt die Gestapo mehr als 600 Personen fest, der „Volksgerichtshof“ verhängt über 100 Todesurteile. Viele Ehefrauen, Geschwister und Eltern der Verschwörer vom 20. Juli sowie von Widerstandskämpfern, die sich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft dem Nationalkomitee „Freies Deutschland“ angeschlossen haben, kommen in „Sippenhaft“.

Für ihre minderjährigen Kinder sucht die „Sonderkommission 20. Juli“ der Gestapo ein Heim mit einer großen Kapazität und in einer geeigneten Gegend: Bad Sachsa liegt nah beim Konzentrationslager Mittelbau-Dora, wo Häftlinge unter der Erde Teile der angeblichen Wunderwaffe V 2 zusammensetzen müssen. Gestapo und SS haben in dem Hochsicherheitsgebiet praktisch unbegrenzte Vollmachten. Ab Mitte August treffen die ersten Kinder in den inzwischen geräumten Häusern ein. Insgesamt werden dort, nach Alter und Geschlecht getrennt, 46 Mädchen und Jungen festgehalten.

Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld war mit damals 15 Jahren das älteste der in den Südharz verschleppten Kinder. Als die Gestapo am 7. August in das Haus seiner Familie kam, habe er höflich gefragt, was die Beamten denn wollten, berichtete er bei der Ausstellungseröffnung. Völlig verdutzt von dieser Frage hätten die Geheimpolizisten etwas von einer Ferienreise gemurmelt. Mit dem Zug habe ihn seine Reise dann zuerst in das Gefängnis in Güstrow in Mecklenburg geführt, von dort sei es dann weiter gegangen nach Bad Sachsa.

Ob die jüngeren Kinder zur Adoption freigegeben werden sollten, lässt die Ausstellung offen

Nach der Ankunft müssen die Kinder alle persönlichen Erinnerungsstücke, Fotos von Eltern und Geschwistern oder Briefe abgeben. Sie erhalten neue Familiennamen, die jüngsten auch neue Vornamen. Die Kindergärtnerinnen sind angehalten, die Identitäten der Jungen und Mädchen und ihre familiären Bindungen zu zerstören. Bei Schwerin scheitert das: „Mein Bruder, der meine alte Lederhose trug, in der mein Name stand, zeigte diese jedem mit dem Hinweis, dass er zwar nicht sagen darf, wer er sei, sie aber ja lesen könnten.“

Ob zumindest die jüngeren Kinder zur Adoption freigegeben werden sollten, lässt die Ausstellung offen. Die älteren waren wohl – mit neuen Namen – für den Besuch nationalsozialistischer Internate vorgesehen.

Die Kinder dürfen das Gelände nicht verlassen oder mit den Einwohnern der Stadt sprechen. „Es war schrecklich, wie geheim wir gehalten wurden, keinen Schritt alleine vor die Tür, ja mit niemandem reden und um Gottes Willen nicht über Namen und Herkunft verlauten lassen“, heißt es in einem Tagebucheintrag der ebenfalls in Bad Sachsa internierten Christa von Hofacker.

Im Oktober 1944 werden viele der „Sippenhäftlinge“ überraschend entlassen. Die Kinder freigelassener Mütter können jetzt zu ihren Familien zurückkehren. Für die übrigen werden die Regeln etwas gelockert. Sie erhalten zu Weihnachten kleine Geschenke, Christa bekommt sogar einen Hund.

Der Krieg liegt in den letzten Zügen, als die Wehrmacht Ende Januar 1945 fast alle Gebäude des Kinderheims beschlagnahmt und zu einem Stabsquartier umfunktioniert. Heimleiterin Elsa Verch erhält den Auftrag, die verbliebenen 14 Kinder ins KZ Buchenwald zu bringen, in dem immer noch mehrere Mütter und Verwandte interniert sind. Gerade als der Lastwagen Bad Sachsa verlässt, starten Flugzeuge der Alliierten einen Großangriff auf das nahe Nordhausen. Auch Straßen und Bahnverbindungen werden bombardiert, der LKW muss umkehren und bringt die verängstigten Kinder nach Bad Sachsa zurück. In Briefen, Aktenvermerken und auf Fotos können Besucher der Ausstellung nachverfolgen, wie der Wehrmachtstab das Gelände wieder an das Kinderheim zurückgab und nach Bayern floh. Die Kinder und einige Betreuerinnen blieben alleine zurück.

Am 12. April 1945 besetzen Einheiten der US-Armee Bad Sachsa. Sie setzen den Sozialdemokraten Willi Müller als kommissarischen Bürgermeister ein, der in seiner ersten Amtshandlung die Kinder unter seinen persönlichen Schutz stellt. Sie erhalten ihre echten Namen zurück und werden offiziell in der Stadt angemeldet.

Doch die meisten können erst im Sommer oder Herbst 1945 zu ihren Müttern zurückkehren. Als letzte werden Hildegard Gehre und Renate Henke, Tochter und Stieftochter des im KZ Flossenburg ermordeten Offiziers Ludwig Gehre, im November zu einem Onkel auf die Nordseeinsel Föhr gebracht. Im Lager hatten die Mädchen die Nachnahmen Georgi und Heine erhalten.

Die meisten Häuser des ehemaligen Kinderheims stehen noch. Einige sind verfallen. „Lange Zeit wollte niemand hier über die Kinder sprechen“, räumt der heutige Bürgermeister Axel Hartmann ein. Nach seinem Amtsantritt vor zwei Jahren organisierte der CDU-Mann bei der Bundesregierung finanzielle Unterstützung für die Ausstellung. 80.000 Euro sind seither in das Projekt geflossen. Die mehr als 300 Fotos und Dokumente sollen mindestens zehn Jahre, vielleicht auch dauerhaft in der Stadt gezeigt werden.

Die neue Dauerausstellung „Unsere Identität sollte vernichtet werden“ wird in der Tourist-Information Bad Sachsa gezeigt.

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