Ausstellung über Natur und Kunst: Unter Ameisen

Ästhetisierte Bewegungsstudien und symbolträchtiges Kleintiergewusel: Die Ausstellung "Gehen blühen fließen" fragt nach dem Verhältnis von Kunst und Natur. Für die Kieler Stadtgalerie ist sie der Auftakt einer Annäherung an die örtliche Kunsthochschule.

Wildpflanzen in "Immigrantentaschen": Franziska und Lois Weinbergers "Portable Garden". Bild: Paris Tsitsos

KIEL taz | Regelmäßig kommt das "Peace"-Zeichen vorbeigewackelt. Meist von rechts oben vom Bildrand her, getragen von emsigen Blattschneideameisen, die sich zu begrüßen scheinen, wie sie da so aneinander vorbeihasten.

Zwischendurch durchqueren noch andere Symbole diese überaus fleißige, diese entschieden erdnahe Welt: Flaggen wie die von Südkorea und von Israel, die von Kroatien, Osttimor und Indien, die von Kuba und die von den USA.

Vielleicht sind die kleinen verzierten Schnipsel mit nahrhaftem Zuckerwasser getränkt. Vielleicht werden sie auch nur als Baumaterial benutzt werden - mehr aber noch zitiert diese Arbeit von Donna Conlon sehr hübsch das Bild von uns Menschen als wuselnde, kaum zu unterscheidende, aber überaus agile Geschöpfe, betrachtet man das Geschehen auf der Erde nur aus ausreichender Höhe.

"Coexistence" heißt, folgerichtig, Conlons im Urwald von Panama entstandene Videoinstallation, die am Anfang der Ausstellung "Gehen blühen fließen - Naturverhältnisse in der Kunst" steht.

Sehr schön: Der Monitor ist im unmittelbaren Eingangsbereich der Kieler Stadtgalerie drapiert, bei den Heizkörpern, an denen sich der Besucher erst mal aufwärmen kann, um dann beschwingt die überaus komplexe Ausstellung zu durchschreiten.

Es ist die erste des Hauses in diesem Jahr und sie hat durchaus pragmatischen Charakter: Nachdem der Bestand der Stadtgalerie nun, nach langen Verhandlungen, für die nächsten drei Jahre gesichert ist, soll sichtbar gemacht werden, was künftig das Programm mit prägen soll: eine engere Verzahnung mit der Muthesius Kunsthochschule und den dort Studierenden sowie Forschenden.

Entsprechend hielt man im Vorfeld diverse Symposien ab, begleitet von allerlei Wortgeklingel wie in der Wissenschaftswelt nun mal üblich, aber eben nicht immer erklärend.

Im vorderen Ausstellungsbereich findet sich nun, als Intro, viel Material aus den Anfangszeiten der Naturwissenschaften, als so manches zu Dokumentierende den Charakter von Kunstmäßigem bekam - Eadweard Muybridges Bewegungsabläufe galoppierender Pferde, aufgenommen am Ende des 19. Jahrhunderts etwa.

Oder die vergrößerten Pflanzenaufnahmen, die Karl Blossfeldt als "Urformen der Kunst" wahrnahm und entsprechend wiedergab.

Wie ernst - aber auch ein wenig steif - diese Art der Verknüpfung von Protokoll und Imagination zuweilen ist, zeigt eine ältere Filmarbeit von Bruce Nauman aus den späten 1960er Jahren: Darin schreitet der Künstler noch sehr gegeben und in Schwarz-Weiß ein Quadrat ab - um die Erfahrung des Ein-Quadrat-Abschreitens künstlerisch zu verarbeiten.

Man kann aber auch einmal laut "Buh!" rufen und den ganzen wissenschaftlich-diskursiven Slang beiseitepusten: "Sie können hier auch einfach Spaß haben", sagt Stadtgalerie-Direktor Wolfgang Zeigerer und weist etwa auf die Arbeit der Japanerin Nanaé Suzuki hin, die verwelkte Blütenblätter so drapiert und fotografiert hat, das sie beim flüchtigen Betrachten an farbenprächtige Tänzer auf weiter Bühne erinnern.

Die Lust auf eine auch theoretische Anbindung des Gezeigten kommt früher oder später von selbst. Jef Geys Fotografien und Texttafeln von zu heilenden und essbaren Pflanzen aus den Innenstädten von Moskau, Brüssel und New York etwa sind auch gedacht für deren Bewohner, die sich eine Krankenversicherung noch nie leisten konnten oder nicht mehr bezahlen können.

Ob diese Arbeiten aber wirklich eine probate politische Haltung verraten? Darüber ließe sich trefflich streiten.

Beeindruckend ist Mary Luciers Arbeit "Migration": Sie lässt den taubstummen Sudanesen John Lado Keni in einer von ihm selbst entwickelten Gebärdensprache von seiner Flucht bis in die USA erzählen, während nebenher wie unter einem Vergrößerungsglas ein Monarchfalter hin und her krabbelt.

Der bewältigt seine Wanderbewegung auf ganz eigene Weise: Erledigt das Insekt die Reise aus dem Norden der USA runter ins warme Mexiko in einem Rutsch, braucht es für den Rückweg drei, gar vier Generationen.

Vordergründig poetischer, wenn auch ebenso gewitzt in der Aussage ist die Videoinstallation "Stalactite" von Dorothy Cross - mit der die Kieler nun eine Welturaufführung vorweisen können: Die irische Künstlerin lässt einen etwa elf- oder zwölfjährigen Jungen in einer Tropfsteinhöhle sehr hell vor sich hin singen, während über ihm ein gigantischer Stalaktit thront.

Dem schaut und hört man eine Zeit lang recht versunken zu, bis langsam die Gedanken zu kreisen beginnen: Dieser Junge da wird - wenn alles gut geht - heranwachsen und vielleicht eines Tages selbst ein Kind haben.

Welches wiederum heranwächst, um, falls männlich, eines Tages vielleicht seinerseits Vater zu werden - während der Tropfstein in seiner lichtlosen Höhle tief unter der Erde ganz stoisch um ein paar Millimeter gewachsen ist. Nur ein paar Millimeter? Oder immerhin? Das ist jetzt die Frage.

"Gehen blühen fließen - Naturverhältnisse in der Kunst": bis 3. April, Stadtgalerie Kiel

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