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Ausstellung über FluchtOhne Koffer und ohne Handgepäck

Die Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle zeigt in ihrer internationalen Ausstellung „When There is Hope“ Fotos über Flucht.

In der Hamburger Kunsthalle zu sehen: das Bild „Feuerpause“. Foto: Almut Linde

Hamburg taz | Wie bestellt und nicht abgeholt, wie eingeladen, aber dann vergessen: so stehen sie da, die Männer und Frauen, am Ende einer fahrbaren Gangway auf dem Rollfeld des Flughafens von San Francisco. Doch ohne Koffer, ja ohne jedes Handgepäck. Stehen da, mit dem, was sie am Leibe tragen, während hinter ihnen mal ein Flugzeug entsprechend geräuschvoll landet, mal eines startet.

Es sieht nicht so aus, als würde doch noch ein Flugzeug kommen, langsam heranrollen, auf dass eine seiner Türen aufklappt, so dass die Wartenden einsteigen könnten und die Reise beginnt, wohin auch immer. Andererseits sieht es auf dieser Filminstallation nicht so aus, als würden sie deshalb aufgeben, sich umdrehen und langsam die Treppenstufen der Gangway heruntersteigen.

Stattdessen stehen sie einfach da und schauen uns aus einigermaßen luftiger Höhe an: uns, die Betrachter, die Besucher. „Centro di Permanenza temporanea“ heißt diese Arbeit von Adrian Paci. Der Fotograf, geboren 1969 in Albanien, sah wie so viele Bürger seines Landes zuhause keine Zukunft mehr und emigrierte nach Italien. Dennoch gilt er derzeit als wichtigster albanischer Gegenwartskünstler.

Adrian Pacis so präzise wie symbolische Videoarbeit bildet den Aufakt zur Ausstellung „When There Is Hope“, die derzeit in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle zu sehen ist. Es ist ihr Beitrag zur diesjährigen Hamburger Phototriennale, und die Ausstellungsmacher haben zum einen aus der fotografischen Sammlung der Kunsthalle geschöpft, zum anderen verschiedene Leihgeber aktiviert.

Aus dem eigenen Fundus stammt etwa „Mes Voeux“ (“Meine Wünsche“) von Annette Messager, eine Sammlung von an christliche Dank- bzw. Votivtafeln erinnernden Ausschnitten menschlicher Körper, die vom Begehren erzählen.

Aus der Kunsthallensammlung stammt auch Nan Goldins gelungene, weil immer noch fesselnde Dia-Show „All by myself“, in der sie schnörkellos von ihrem Alltag, ihren Tagen und Nächten mit viel Alkohol und den falschen Männern erzählt. Aber immer sind da auch Momente des Aufbruchs spürbar, des Trotzdems, wenn das blaue Auge abschwillt und sie neue Kraft schöpft und ermutigt in die Kamera schaut.

Mehr aber noch als die Einblicke in ihr damaliges Leben aktiviert sie der Wille, so radikal auf das eigene Leben zu schauen. Was auch zurückführt in die mal geschmähten, mal verehrten 1990er- Jahre, als das eigene Ich zum Zentrum der Weltbetrachtung wurde. Solch eine Arbeit berührt auch heute, in der Ära der Selfies – zum Beispiel dank des metallischen Klickerns, das ertönt, wenn das nächste Dia-Bild vor die Projektionslinse geschoben wird, dann das nächste und nächste.

Hoffnung also – im privaten Bereich wie im gesellschaftlichen – ist die thematische Klammer, die Arbeiten von Roni Horn aus den USA, Xao Fei aus China, von Rivane Neuenschwander aus Brasilien, aber auch des malischen Fotokünstlers Mohamed Camara vereint.

Und auch wenn so aus vielen Ecken der Welt Hoffnungsvolles zusammenkommt, ist doch unübersehbar, dass eigentlich ein anderes Thema diese Schau dominiert: Wege und Schicksale derjenigen, die ihre Heimat verlassen, um anderswo ihr Glück zu suchen.

Womit wir bei der Fotoserie „Autocar – Tangier“ von Yto Barrada wären, die sich den Emblemen der Busse widmet, anhand derer afrikanische Flüchtlinge – oft Analphabeten – erkennen, ob es die richtige Linie ist. Oder wir schauen auf die Serie „Außenlinie“ des Hamburgers André Lützen, der bereits 2006 entlang der Grenzen Europas die Orte aufsuchte, in denen man – legal oder illegal – auf den Übertritt in eine bessere Welt wartete.

Dass der Wechsel von Ost nach West, von Süd nach Nord eine ganz eigene Dramatik entwickeln würde, war vor zehn Jahren noch nicht absehbar: „Otjesd“ ("Weggehen“) heißt eine 2005 entstandene Arbeit des Fotografen und Filmemachers Clemens von Wedemeyer. Es ist ein Theaterfilm, von Filmstils umrahmt.

Dem Künstler waren 2005 die langen Schlangen vor dem deutschen Generalkonsulat in Moskau aufgefallen – und welche Mühe sie hatten, am Wachpersonal vorbei ins Innere vorzudringen. Ein Vorgang mit kafkaeskem Potential, wie ein jeder weiß, der schon mal in einer Botschaft persönlich ein Visum beantragen musste.

Der Künstler zog aus dieser Beobachtung eigene Konsequenzen: Er engagierte russische Immigranten in Berlin, baute irgendwo im waldigen Umland einen Phantasie-Grenzübergang aus weiß-rotem Absperrband samt Absperrgittern auf. Darin ließ er seine Akteure in einem Theaterstück über einen Grenzübertritt auftreten, das der Autor Victor Choulman für sie geschrieben hatte.Ausstellung „When There Is Hope“,

Sehr tricky hat von Wedemeyer dabei die Textbeilage gestaltet, die unbedingt zu der Arbeit gehört: Da er nicht davon ausgeht, dass jeder Russisch versteht, man an der fiktiven russischen-deutschen Grenzstation aber Russisch sprechen muss, liegt der gesprochene Text ins Deutsche übersetzt und ausgedruckt bereit.

Und zwar als eine Art Miniposter, das auf der einen Seite den Theatertext zeigt, auf der anderen Seite ein Foto des jetzt wieder verlassenen Waldstücks, nachdem von Wedemeyer und sein Team wieder abgerückt waren.

Man kann dieses Posterchen ruhig mitnehmen, sollte es vielleicht sorgsam zusammenrollen, um es bei sich zuhause an die Wand zu hängen: das Bild eines Grenzorts, der nun keiner mehr ist, aber eines Tages einer werden könnte. Weiß man denn, ob und wie in den nächsten Jahrzehnten oder Jahrhunderten irgendwo bei Berlin Grenzen neu gezogen werden?

Im Jahr 2006 startete übrigens auch Eva Leitolfs Arbeit mit dem zunächst umständlich wirkenden Titel „Postcards from Europe. Work from the ongoing archive since 2006“. Die normalerweise bei München lebende Fotokünstlerin ist seitdem immer wieder durch Europa gereist. Sie war auf der Suche nach Grenzorten und Grenzlinien, die sie jetzt in ihrer Dominanz wie Banalität abbildet.

Diesen Bildern stellt sie Meldungen über gescheiterte Fluchten gegenüber; aus Zeitungen, Magazinen und Onlinemedien hat sie die destilliert. Da steht zum Beispiel: „Naturschutzgebiet Vendicari, Italien 2010: Am 27. Oktober 2007 finden zwei Spaziergänger mehrere angespülte Schuhe an einem Strand des Naturschutzgebietes Vendicari. In den folgenden Tagen werden dort 17 Leichen angeschwemmt.“

Damals – auch davon erzählt Leitolf – gründete sich vor Ort der Verein „Borderline Sicilia“, der sich um die Bestattung der Ertrunkenen kümmerte und zugleich begann, Hilfsangebote für auf Sizilien strandete Flüchtlinge zu organisieren.

Angesichts dessen bekommt die Aufregung neulich um Sinn und Unsinn der Gräber-Aktion der Berliner Gruppe „Zentrum für politische Schönheit“ eine neue Note: Weit weg vom Geschehen fällt es nämlich leicht, sich für martialische Protestformen zu erwärmen.

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