Ausstellung in Basel: Besticktes Erbe

Widad Kamel Kawar suchte fand ihre Identität in Kleidern und Schmuck aus Palästina. Ihre Sammlung zeigt arabische Traditionen, die fast ausgestorben wären.

Jedes Kleid sagt etwas über die Herkunft und den sozialen Status der Trägerin aus. Bild: Historisches Museum Basel

Vor vielen Jahren erhielt Widad Kamel Kawar zwei traditionelle palästinensische Kleider als Geschenk. Sie lebte bereits in der jordanischen Hauptstadt Amman, wohin sie 1956 geheiratet hatte. Die handgearbeiteten und bestickten Gewänder beschworen Bilder ihrer Kindheit in Palästina herauf. 1932 in Tulkarem im Westjordanland geboren, wuchs sie in Bethlehem und Ramallah auf, um danach an der Amerikanischen Universität in Beirut zu studieren.

In den Regionen um Bethlehem und Ramallah wurden die textilen Traditionen besonders gepflegt. Kawar erinnerte sich an die Markttage von einst, zu denen die Frauen der umliegenden Dörfer in Gruppen erschienen, gekleidet in ihre besten Sachen, die sie selbst genäht und verziert hatten. Wer sich mit der Kleidung auskannte, konnte an den Stickmotiven, -farben und -techniken, ja schon am Zuschnitt der Kleider den Herkunftsort und sozialen Status der Trägerin erkennen. Die Grundmuster variierten von Ort zu Ort und gaben einen Rahmen vor, innerhalb dessen sich die Kreativität der Handarbeiterin entfalten durfte.

So war das auch bei den Trachten in Deutschland und anderen Gegenden Europas. Die Ethnologin Ingeborg Weber-Kellermann hat den Zusammenhang zwischen sozialem Umfeld und Kleidermoden in ihrem Buch „Frauenleben im 19. Jahrhundert“ gut herausgearbeitet. Das Verschwinden aus dem Alltag vollzog sich hier jedoch als langsamer Prozess, umgekehrt proportional zur Industrialisierung aller Lebensbereiche.

läuft bis zum 7. April im Historischen Museum in Base.

In Palästina dagegen wurden die Traditionen abrupt gestoppt, zuerst durch den Krieg von 1948 und endgültig durch den von 1967, nach dem alle Gebiete von Israel besetzt wurden. Viele Dörfer existierten überhaupt nicht mehr und viele Familien lebten in Flüchtlingscamps unter veränderten und armen Bedingungen.

Kultur für künftige Generationen

Die durch das Geschenk evozierten Bilder ihrer Jugendzeit stießen Kawar auf die schreckliche Tatsache, dass die traditionelle Kultur Palästinas dabei war, endgültig verloren zu gehen.

Seit 50 Jahren sammelt sie nun Kleider, Accessoires und Schmuck, um das reiche kulturelle Erbe für künftige Generationen zu bewahren. Heute umfasst ihre Sammlung an die 3.000 Objekte, die bis zu 120 Jahre alt sind. Auch Kleidertraditionen aus jordanischen Gegenden gehören dazu, seitdem diese ebenfalls zu verschwinden drohen.

Nach Ausstellungen in namhaften Museen der Welt sind im Historischen Museum in Basel jetzt etwa 100 der schönsten Stücke ihrer weltweit einmaligen Sammlung zu sehen. Den Reigen eröffnet ein 2,70 Meter langes Kleid aus dunklem Baumwoll-Atlas mit kleinen blauen Einsätzen und einer Saumbordüre. Mit einem bestickten Gürtel schürzten es die Frauen in der jordanischen Stadt As-Salt mehrfach, um es vor nahezu 100 Jahren auf Festen herzuzeigen.

Die Stofffülle des mächtigen Kleids im Vestibül des Stadtpalais zeugt vom einstigen Reichtum As-Salts, das Sultaninen exportierte, und zeigt, dass in Galiläa viel Baumwolle angebaut, verwebt und mit Naturfarben gefärbt wurde.

Reise durchs kulturelle Erbe

Die Exponate in der Zimmerflucht der ehemaligen Beletage prunken mit einer überwältigenden Farbenfülle. Unter den Männerkleidern in kostbaren Stoffen sind nur wenige, die Stickereien am Gürtel aufweisen. Desto reicher sind die Festkleider und Hauben der Frauen mit Kreuzstich, Schnurstich und anderen Sticktechniken bedeckt.

„Die Sammlung ist meine persönliche Suche nach Identität als Palästinenserin und Araberin, eine Entdeckungsreise durch das reiche arabische Erbe“, so wird Kawar in der Baseler Ausstellung zitiert. Spätestens vor dem im Boudoir der einstigen Hausherrin des Palais ausgestellten Festkleid versteht man die Obsession der Sammlerin.

Das prächtige Hochzeitskleid von 1930 aus Beit Dajan im heutigen Israel hat Ärmel aus dünnem Material, weil auf Hochzeiten lange und ermüdend geklatscht wurde. Neben der Verwendung üblicher geometrischer Muster schwelgte die Stickerin in Rosenmotiven, die man bisher nur aus der orientalischen Dichtkunst kannte.

Mit Rosen ausgemalt wurde um 1780 auch die Originaltapete des Boudoirs. Hier wie in den anderen Sälen bildet die Dauerausstellung der Baseler Wohnkultur mit Tapisserien, Fayenceöfen und Barockschränken den Hintergrund der morgenländischen Farborgie. Die Melange badet die Augen doppelt in opulenter Schönheit.

Dokumentation der Volkskunst

Sogar das Gebäude selbst bietet Bezüge zum Thema der Sonderausstellung. Es wurde um 1780 von einem reichen Textilfabrikanten errichtet, dem Vater des Orientreisenden Jakob Ludwig Burckhardt. Letzterer hielt sich länger in Palästina auf und entdeckte vor 200 Jahren die Felsenstadt Petra neu. Er pflegte sich als Scheich Ibrahim zu kostümieren. Der Ausstellungstitel „Scheich Ibrahims Traum“ verwirrt allerdings, denn Burckhardt starb bereits 1817 in Kairo, während die ältesten Sammlungsstücke erst Jahrzehnte später datieren. Begleitet wird die Sonderausstellung von einer etwas zu allgemein gehaltenen Broschüre.

Kawar interessiert sich auch für Leben und Alltag der Trägerinnen ihrer Sammlungsstücke, die sie in den Städten, auf dem Land oder im Beduinenzelt interviewt hat. Ihrer Sammlung in Amman sind eine umfangreiche Dokumentation und eine Bibliothek über Volkskunst angegliedert.

In Basel kann man nur spekulieren, was die einstigen Besitzerinnen empfanden, wenn sie, zuerst unter mütterlicher Anleitung, in jeder freien Minute an ihrer Aussteuer stickten. Wahrscheinlich fügten sie sich mit Stolz in ihre von der patriarchalen Gesellschaft vorgegebene Rolle, beäugten doch sogar die Eltern eines potenziellen Bräutigams ihre Handarbeitskunst.

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