Ausstellung im KZ Ebensee: Damit nichts den Boden berührt
In einem Bergstollen, unweit von Bad Ischl, betrieben die Nazis das KZ Ebensee. Die Künstlerin Chiharu Shiota ruft die Abgründe des Ortes wach.
![Eine Kunstinstallation mit Kleidern, rotem Licht und einem transparenten Vorhang Eine Kunstinstallation mit Kleidern, rotem Licht und einem transparenten Vorhang](https://taz.de/picture/7266460/14/stoll-1.jpeg)
Richtig versteckt liegt Chiharu Shiotas monumentale Installation in der Gedenkstätte Ebensee. Aber das ist keine künstlerische Laune der Japanerin, die viele vielleicht von der Venedig-Biennale 2015 kennen, als sie Tausende Schlüssel mit roten Fäden von der Decke des japanischen Pavillons hängen ließ.
Dass der Ort von Shiotas Kunstinstallation so schwer zu finden ist, war genau der Plan der einstigen Betreiber des Konzentrationslagers Ebensee, einer Außenstelle des KZs Mauthausen: Inmitten der Bergidylle, nahe dem oberösterreichischen Kurort Bad Ischl, sollten Zwangsarbeit und tausendfacher Mord möglichst unauffällig abgewickelt werden.
Der Weg zum Stollen führt durch eine unauffällige Siedlung, auf dem Gebiet des ehemaligen Konzentrationslagers wurde in der Nachkriegszeit sorglos gebaut, man passiert einigermaßen befremdet das ehemalige Eingangstor des KZs, daneben Vorgärten mit Kinderschaukeln, Terrassen mit Grillstationen.
„Chiharu Shiota – Wo sind wir jetzt?“ KZ-Gedenkstätte Ebensee, Österreich, bis 27. Oktober 2024
Die Schilder zur Gedenkstätte sind nicht eben prominent, fast widerwillig angebracht, nach verschlungenen Wegen steht man schließlich vor dem KZ-Friedhof, eine lange Glaswand dokumentiert die Namen der Opfer. Weiter geht’s zu einem Waldweg, der endlich zum schmalen Eingang des Gedenkstollens führt.
Feuchte Kälte
Selbst im Hochsommer schockiert die feuchte Kälte im Halbdunkel des Stollens, in dessen vorderen Teil ist eine Dauerausstellung über die Geschichte der Anlage zu sehen, hinten leuchtet bereits unübersehbar Shiotas blutrote Installation.
Das NS-Regime plante in Ebensee ein unterirdisches Rüstungsprojekt, zwischen dem 18. November 1943 und dem 6. Mai 1945 starben dort 8.412 KZ-Häftlinge bei der mörderischen Arbeit an den Anlagen in den feucht-kalten Stollen. Der heute einzige zugängliche Stolleneingang beherbergt seit 1997 die dokumentarische Ausstellung, hinter der nun Shiotas Installation sich geschätzte vierzig Meter und mit 300 Kilometer Schnüren immer weiter tief in den schrecklichen Stollen vorarbeitet.
Der Eindruck ist bestürzend: Auf dem Boden stehen Pfützen, es tropft vom Gestein, das Feuchtigkeit ausdünstet. Wassertropfen zittern schwer an den abertausenden von roten Schnüren, aus denen Shiota ihre Arbeit gewirkt hat. Im kalkulierten Gewirr der Fäden hat sie einen Reigen von 25 schwebenden roten, überlebensgroßen Kleidern hintereinander aufgehängt.
Es sind feierlich schlichte, bodenlange Gewänder, die für religiöse Rituale taugen würden. Die Kleider haben ihre leeren Ärmel leicht ausgebreitet, die langen Schleppen sind von unsichtbarer Hand wie die Brautschleier bei royalen Hochzeiten leicht angehoben, damit nichts den schmutzigen Boden berührt.
Farbe der Trauer
Schwerelos scheinen diese Gewänder von den Schnüren – sind es die Schicksalsfäden der Nornen? – wie durch einen Nebel leicht verschleiert. Hintereinander wie eine feierliche Prozession, geben sie der Installation einen schreitenden Rhythmus. An dem Reigen vorbeilaufend mischt sich bald fast unmerklich die Farbe Weiß in die Prozession der Kleider.
Ganz am Ende des Reigens hängt dann ein blütenweißes Kleid, das unwillkürlich erschreckt: Ein Brautkleid, ein Messgewand? In Japan ist weiß die Farbe der Trauer, aber jede der Assoziationen verstört in diesem unbarmherzigen Umfeld.
Chiharu Shiota definiert Konzepte von Erinnerung und Bewusstsein, indem sie Alltagsgegenstände in ihre riesigen Fadenstrukturen einbettet und „Präsenz in der Abwesenheit“ evoziert. In Ebensee werden durch Shiotas Arbeit nicht nur die Opfer präsent. Der Kontrast zwischen der ruhigen, dabei abgründigen Ästhetik ihrer Installation und dem eisigen Stollen verweist viel stärker auf eine große Leerstelle: die Täter.
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