Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin: Jüdisches Leben in der DDR
Jüdische Linke waren in der DDR willkommen. Obwohl sie ab 1933 vor den Nazis geflüchtet waren, wurden sie in der DDR bald antisemitisch diskriminiert.
Die Nazis trieben ab 1933 viele Jüdinnen und Juden ins Exil. Einige von ihnen gingen nach Kriegsende 1945 bewusst in die Sowjetische Besatzungszone, um sich beim Aufbau des „besseren Deutschlands“ zu beteiligen, das man sich damals erhoffte. Eine Sonderausstellung im Jüdischen Museum Berlin widmet sich dem jüdischen Leben in der DDR. Auch hier geht es um die Geschichte jüdischer Kommunisten in der DDR – und deren Kindern.
Exemplarisch dafür stehen die Zadeks. Die Eheleute Alice und Gerhard Zadek wurden 1919 bzw. 1921 in Berlin geboren. Sie galten als die letzten überlebenden Angehörigen der jüdisch-kommunistischen Widerstandsgruppe um Herbert Baum.
„Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR.“ Jüdisches Museum, Berlin. Bis 14. Januar 2024
Die überwiegend aus jüdischen Jugendlichen bestehende Gruppe erstellte während des Nationalsozialismus Flugblätter und Untergrundzeitungen und unterstützte jüdische Zwangsarbeiter. 1942 beging sie sogar einen Brandanschlag auf eine antisowjetische Propaganda-Schau der Nazis in Berlin. Fast alle Mitglieder der Gruppe wurden daraufhin von den Nazis gefasst und ermordet.
FDJ in England gegründet
Zu dem Zeitpunkt waren die Zadeks bereits nach England geflüchtet. Dort waren sie Gründungsmitglieder der Freien Deutschen Jugend, die in der Emigration während des Zweiten Weltkriegs entstand. Auch in Frankreich, der Tschechoslowakei und in Schottland gründeten sich Ortsverbände der Gruppierung, die später zur größten Jugendorganisation der DDR aufsteigen sollte.
Im britischen Exil bestand die Hauptaufgabe der FDJ in der Unterstützung der oftmals jungen jüdischen Emigranten. Ein weiteres bekanntes Gründungsmitglied war Horst Brasch, Vater des Schriftstellers und Regisseurs Thomas Brasch und der Künstlerin und Journalistin Marion Brasch.
Nach ihrer Rückkehr konnten die jungen Kommunist:innen in der Sowjetischen Besatzungszone oft schnell aufsteigen. Gerhard Zadek wurde 1947 für ein Jahr außenpolitischer Redakteur der Jungen Welt, 1949 übernahm er die Leitung der Zeitschrift Junge Generation, ein Organ für FDJ-Funktionäre.
Kaderleiterin Glas und Keramik
Danach berief ihn Albert Norden, ein anderer jüdischer Kommunist und Remigrant, zum Leiter der Abteilung Presseberichterstattung des Amts für Information, dem vorläufigen Presseamt der DDR. Alice Zadek wurde Kaderleiterin für die zwei großen Handelsunternehmen „Glas und Keramik“ und „Druck und Papier“.
Die Geschichte der Zadeks war kein Einzelfall. Gemessen an der geringen Zahl der in Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR lebenden Jüdinnen und Juden waren diese überproportional oft in Führungspositionen vertreten. Das änderte sich, als man 1948 damit begann, massive Kontrollen aller Parteimitglieder und Funktionsträger durchzuführen.
Hierfür wurde noch vor Gründung der DDR die Zentrale Parteikontrollkommission (kurz ZPKK) ins Leben gerufen. Die ZPKK hatte laut Hermann Matern, der diese von 1949 bis 1971 leitete, die Aufgabe, die „innere Festigung der Partei“ zu garantieren und „feindliche Kräfte und Elemente auszuscheiden“.
Sündenböcke identifizieren
Damit übernahm die ZPKK die Funktion, im Rahmen von Selbstreinigungsritualen Sündenböcke zu identifizieren. Matern erklärte: „Das ist, was wir am wenigsten verstehen, dem einfachen Menschen den Feind zu zeigen. Wir müssen den Feind in der Partei personifiziert zeigen.“ Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges wollte man den eigenen Leuten und womöglich auch sich selbst suggerieren, dass man die Lage unter Kontrolle habe.
Vor allem die „Westemigranten“ gerieten so ins Visier der Partei. Als Westemigranten bezeichnete man diejenigen, die vor dem Nationalsozialismus zunächst in den Westen geflohen oder in westliche Kriegsgefangenschaft geraten waren. Allein der Umstand der Westemigration genügte, um in Verdacht zu geraten, ein „imperialistischer“ oder „amerikanischer Agent“ zu sein. Reichte das zur Stützung einer Anklage nicht aus, warf man den Personen auch noch „Trotzkismus“ oder „Zionismus“ vor.
Als Vorbild für die Parteikontrollverfahren der SED fungierten die Säuberungen der KPdSU unter Stalin. In den Kontrollen kulminierten stalinistischer Antisemitismus, Antizionismus, Antitrotzkismus, eine antiwestliche Haltung und ein Sündenbockdiskurs.
Bizarre Reinigungsrituale
Ohne Jüdinnen und Juden explizit als Feinde zu benennen, wurden diese de facto oftmals zu den Opfern der bizarren Reinigungsrituale, die wegen ihrer Eigenlogik im Grunde unabschließbar waren. Jede weitere Problemlage und jeder öffentliche Fall konnte zum Anlass für erneute Nachforschungen werden. Während dies in der Sowjetunion mit willkürlichen Todesurteilen einherging, kam es in der DDR zu Degradierungen und vereinzelt zu Haftstrafen.
Auch Gerhard Zadek wurde 1952 nach der Auflösung des Amts für Information nach Mecklenburg versetzt. Zu diesem Zeitpunkt lebte er gerade erst fünf Jahre wieder in Deutschland. In Mecklenburg sollte er von nun an stellvertretend das SED-Bezirksorgan Freie Erde leiten – eine Degradierung. Als er 1953 trotz seines Studiums auch noch Gießereiarbeiter werden sollte, verweigerte er sich. Er sattelte um, studierte Patentingenieurwesen und wurde anschließend Direktor des VEB Schwermaschinenbaus. Alice Zadek wurde zur Schulungsleiterin für die Nationale Front herabgesetzt.
Offiziell begründete die Partei ihre Versetzungen nicht. „Es war jedoch klar, was dahinterstand“, sagt Tochter Ruth Zadek gegenüber der taz. „Dieses tiefe Misstrauen gegen allen und jeden hat diesen Staat kaputt gemacht“, erklärt sie. Ihre Eltern erzählten ihr von ihren Degradierungen erst nach der Wende. Bis dahin hielten sie ihre Verletzungen unter Verschluss: „Denn sie haben immer an die Partei und ihre Aufgabe geglaubt“, sagt Zadek.
Groteske Parteidisziplin
Die ausgeprägte Parteidisziplin vieler Kommunist:innen nahm mitunter groteske Züge an. In einigen Fällen bezichtigten sich Personen in vorauseilendem Gehorsam selbst, noch bevor sie vom ZPKK vorgeladen wurden. Auch waren nicht ausschließlich Jüdinnen und Juden von den Säuberungen betroffen, jedoch häufig. Ostemigranten blieben dagegen in der Regel verschont, auch wenn sie jüdisch waren.
In der Ausstellung im Jüdischen Museum kommen Parteikontrollverfahren und ihre Eigenlogik leider zu kurz. Dabei wäre es sinnvoll gewesen, gerade hier genauer hinzusehen, um ein Bild von der Vielgestaltigkeit des Antisemitismus zu vermitteln. Auch hätte das Thema die Möglichkeit geboten, diese in dieser Form spezifische historische Verbindung von Kommunismus und Antisemitismus aufzuzeigen.
Obwohl die Eltern über ihre, durch die Partei erlittenen Verletzungen schwiegen, merkten die Kinder, dass in diesem Staat etwas nicht stimmte. In ihrer Jugend war Ruth Zadek stellvertretende Leiterin eines Jugendclubhauses in Weißensee. In einer dort stattfindenden Veranstaltungsreihe mit dem Namen „Kramladen“ wollte man den künstlerischen Möglichkeitsraum der DDR erweitern. Deshalb lud man die Jazz-, Künstler- und Intellektuellenszene ein.
Die Tochter wird zum Klassenfeind
Doch die Veranstaltungen wurden verboten. „Dabei ging es uns gar nicht darum, die DDR fertigzumachen, sondern wir wollten die Strukturen im Land verändern“, sagt Zadek. 1979 stellte sie einen Ausreiseantrag, 1981 verließ sie die DDR in Richtung Westen. Für ihren Vater wurde sie damit zum „Klassenfeind“. Der Kontakt war abgerissen. Auch die Frage, wie man Antisemitismus zu begreifen habe, trennte die Generationen.
Der Künstler Peter Kahane, dessen Vater, der Journalist Max Kahane, ebenso Opfer der Säuberungen wurde, spricht in einem Podcast im Deutschlandfunk davon, dass der Antisemitismus in der DDR seine Eltern nicht sonderlich interessierte hätte – obwohl sie selbst davon betroffen waren. „Was wussten sie schon vom Alltag in der DDR?“, fragt er, „was wussten sie von fremdenfeindlichen und antisemitischen Andeutungen?“
Und antwortet selbst: „Nicht viel.“ Damit spielt Kahane auch darauf an, dass antisemitische Äußerungen für seine Elterngeneration zum Alltag gehörten, während erst den Kindern deren feindseliger Charakter richtig bewusst wurde.
Was sich trotz des Generationenkonflikts gehalten habe, sagt Ruth Zadek, sei die „Verpflichtung für die Familiengeschichte“. Nach der Wende habe sie sich ihrem Vater wieder angenähert. Zu diesem Zeitpunkt sei er endlich offen dafür gewesen, seine Rolle in der DDR und auch die DDR selbst zu hinterfragen. Jüdischsein bedeutet für Ruth Zadek gerade diese Weitergabe und Verständigung über Antisemitismus – den jede Generation unterschiedlich erlebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau