Ausstellung „Ist die Wende zu Ende?“: Noch nicht am Wende-Ende

Eine Wanderausstellung zeigt die Vielfalt ostdeutscher Erfahrungen nach 1990. Das ist vor den Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen hochaktuell.

Hungerstreik 1993 gegen die Treuhand: Auch die Kalikumpel aus dem nordthüringischen Bischofferode sind Teil der Wanderausstellung Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Kommunal- und Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier auf dem Spiel steht: Wer steht für die Demokratie ein? Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um ihre Existenz?

SPREMBERG taz | Die Melancholie des Titelsongs aus dem späten DDR-Film „Solo Sunny“ traf den Sound der Veranstaltung: Bis in den September des „Schicksalswahljahres“ 2024 hinein tourt die Ausstellung „Ist die Wende zu Ende?“ durch die drei ostdeutschen Wahlländer Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Am Samstag eröffnete sie in Spremberg unweit von Cottbus.

Die Ausstellung spiegelt authentische und widersprüchliche Erfahrungsberichte der frühen 1990er Jahre aus Ostdeutschland wider. Hinter dem Projekt stecken zwei promovierte Wissenschaftler des dezentralen Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt: der Historiker Felix Ax­ster und der Kulturwissenschafler Matthias Berek.

Beide begannen schon vor der Coronapandemie mit Interviews, sammelten viele Stunden Audiomaterial von 45 Personen. Man weiche vom „Master Narrative“, vom Mainstream der Sie­ger­erzählung der deutschen Wiedervereinigung, ab, so Matthias Berek. Klassische „Oral History“, wie Felix Axster bestätigt. Begonnen haben sie mit den legendären Kalikumpeln von Bischofferode im Eichsfeld, die sich 1993 mit einem Hungerstreik unter Tage gegen die Schließung ihres Schachtes zugunsten der westdeutschen Konkurrenz wehrten.

Ungewöhnlich ist auch die Konzentration auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Die Forscher haben den Akzent auf Engagierte in Sozial- und Arbeitskämpfen, auf das Schicksal ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter vor allem aus Vietnam oder Afrika, auf linke Alternativvorstellungen zum Beitritt und auf die jüdische Perspektive gelegt.

Selbstermächtigung gegen AfD

Optisch mutet die Ausstellung in einem leerstehenden Ladenlokal der Spremberger Altstadt hingegen nicht sensationell an. Klassische Holzaufsteller heben in Blau, Gelb und Grün markante Zitate aus Interviews hervor, die man in gekürzter und geschnittener Form per Kopfhörer nachhören kann. Ausgelegte Postkarten, die die Besucher nach ihren Hoffnungen, Ohnmachtsgefühlen oder erfolgreichen Veränderungserfahrungen fragen, sollen den Inhalt der Ausstellung über die kommenden Monate dynamisch verändern. Die Ergebnisse sammelt die zeitgleich eröffnete Sonderausstellung „VEB Museum“ des Dresdner Hygienemuseums. Ein bunter Kiosk draußen, eingerichtet von den beiden Performern Anna Stiede und Hans Narva, soll die Kommunikation der Besucher zusätzlich befördern.

Viele Kommentare und Äußerungen der Vernissagegäste spiegelten genau die Vielfalt und Widersprüchlichkeiten der gesammelten Erfahrungen wider: Manchen kamen positive Folgen der deutschen Einheit zu kurz, andere zogen eine gerade Linie von den Traumata und gebrochenen Biografien der Neunziger zur heutigen Popularität destruktiver Motz- und Racheparteien. Serviert wurde Bortschtsch.

Auf eine Einmischung in das Wahljahr 2024 hatten es die beiden Ideengeber ursprünglich gar nicht abgesehen. Man könne aber durchaus die Parallele ziehen, dass ein AfD-Erfolg nicht unvermeidlich und schicksalhaft sei, sagen Axster und Berek heute. Vielmehr seien, wie damals auch, Selbstermächtigung und positives Engagement möglich.

Nächste Standorte: Apolda ab 8. 4., Nordhausen ab 2. 5., Bautzen ab 10. 6., Freital ab 7. 8. und Strausberg ab 5. 9.

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