Ausstellung „International Dealmaker“: Der verminte Obstkorb
Der Münchner Kunstverein Positive-Propaganda holt internationale Street-Art Künstler in die Stadt. Jetzt zeigt er, was in ihrem Atelier entsteht.
Hat jemals jemand im Angesicht eines gesellschaftskritischen Kunstwerks sein Leben geändert? Hat sich erkundigt, in welche Märkte er mit seinem Super-Duper-Rendite-Fonds da eigentlich investiert? Hat auch nur einen Moment gezögert, die schönen roten Spitzpaprika aus der Wüste zu kaufen? Ist gar politisch aktiv geworden? Eher nicht. Aber man kann es ja trotzdem weiter versuchen …
Weintrauben, Pfirsiche, ein paar Feigen … köstlich! Ein Aquarell zum Anbeißen, ganz in der Tradition barocker Stillleben, die die Schönheiten des irdischen Lebens sinnlich in Szene zu setzen wussten. Doch leider: Der Obstkorb ist vermint. Zwischen den prallen Früchte liegen mehrere Handgranaten.
"International Dealmaker" läuft noch bis zum 4. März. Im POSITIVE-PROPAGANDA Artspace, Dachauer Straße 149 (Zugang via Loristraße), 80335 München
Der spanische Künstler „ESCIF“ hat dem alten barocken Motiv damit eine ganz besondere Note hinzugefügt: Viele traditionelle Stillleben zeigen die Kostbarkeiten der Welt, um damit an die Vergänglichkeit des irdischen Lebens zu erinnern und den Menschen auf seinen Tod vorzubereiten. Den natürlichen Tod muss der Mensch schließlich annehmen. Den gewaltsamen aber nicht.
Das Aquarell ist eine von rund 50 Arbeiten, die der Münchner Kunstverein „Positive-Propaganda e.V.“ derzeit in einer großen Ausstellung zeigt. Der gemeinnützige und vom Kulturreferat der Stadt geförderte Kunstverein hat es sich zur Aufgabe gemacht, internationale Street-Art Künstler nach München zu holen. Tatsächlich sind so in den letzten fünf Jahren ein gutes Dutzend herausragender Murals in der Stadt entstanden, darunter etwa von Shepard Fairey alias „OBEY GIANT“, der mit seinem Hope-Plakat für Obamas Wahlkampf weltberühmt wurde.
Street-Art Künstler arbeiten auch im Atelier
Wie dieses Plakat schon andeutet: Street-Art Künstler nutzen für ihre sozialkritischen Werke eben nicht nur Hauswände, sondern sie arbeiten auch im Atelier. Und eine ganze Reihe solcher „Indoor-Street-Art“ – Siebdrucke, Handzeichnungen und Aquarelle von insgesamt vier internationalen Künstlern – zeigt „Positive-Propaganda“ aktuell in seinem Artspace.
So wie eben den Obstkorb von ESCIF. Auf den ersten Blick wirken viele seiner Aquarelle mit ihren erdigen Pastelltönen harmonisch, doch das dient nur der Fallhöhe für bitterböse Pointen. Eigens für die Ausstellung entstanden ist etwa eine Keramik-Vase mit dem Titel „Made in Munich“. Klassisch geschwungen ist diese Vase, mit rundem Bauch und schmalem Hals, selbst das Muster ist in traditionellem Delfter Blau gehalten.
Doch bei näherer Betrachtung erweisen sich die abgebildeten Motive alles anderes als Blumenvasen-typisch: Es sind Panzer, Maschinengewehre und Militärflugzeuge „Made in Germany“, die da unter dem Duft weißer Lilien ihren Charme entfalten. Das ursprüngliche Motiv hat ESCIF bereits 2016 bei einem Besuch in der Nähe des Münchener Hauptbahnhofs in Form eines 20 Meter hohen Wandbilds verwirklicht.
„Wir sind durch die Innenstadt geschlendert, dabei viel ihm eine überwältigende Pracht an Blumenan jeder Ecke auf. Zugleich hat er sich aber auch gewundert und gefragt, wo denn die ganzen Flüchtlinge eigentlich sind, die hier ein Jahr zuvor alle angekommen waren.“ Erinnert sich Sebastian Pohl, Künstlerischer Leiter des Kunstvereins Positiv-Propaganda, der die ausstellenden Künstler bereits seit vielen Jahren bei ihrer Arbeit begleitet.
Krauss-Maffei-Wegmann ist leider kein Museum
„Er hat mich gefragt, ob wir uns die Gedenkstätte Dachau ansehen könnten, als er dann allerdings am S-Bahnhof Allach aus dem Fenster geschaut hat, sah er einen Leopard Panzer neben dem anderen. Darauf fragte er mich „That’s a museum, right?“ Leider nein. Das war „Made in Germany“ auf dem Werksgelände von Krauss-Maffei-Wegmann.“
Panzer zeigt auch eine Arbeit des italienischen Künstlers BLU. Panzer und Bagger, einer hinter dem anderen, den Weg einer Endlosschleife / Möbius Band beschreibend. Es handelt sich um Raupenbagger mit Tieflöffeln und großer Schaufel, also nichts womit man mal eben Glasfaserkabel verlegt, sondern schweres Gerät, mit dem man Brachland erschließt, Häuser und Straßen baut und Siedlungen eben.
Es geht dem Künstler um die israelische Siedlungspolitik und das, was sie der Struktur nach ist: Eine Achterbahn, eine Kanonade, ein nie enden wollender Teufelskreis. Auf die Bagger folgen Panzer folgen Bagger folgen Panzer.
„Der Titel der Ausstellung „International Dealmaker“ bezieht sich auf Deals in Politik und Wirtschaft, die selten zum Wohl der Gemeinschaft, sondern immer skrupelloser der Durchsetzung eigener Interessen dienen“ erklärt Sebastian Pohl der seit mehr als einem Jahrzehnt mit einigen der bedeutendsten Protagonisten der Street-Art Bewegung in engem Kontakt steht.
Künstler haben gesellschaftliche Verantwortung
„Vieles läuft schief heutzutage, aber das schöne ist, dass alles was schief läuft immer noch mit einem coolen Werbeslogan gerechtfertigt wird, wie „Geiz ist geil“ oder „Unter'm Strich zähl' ich“. Da ist doch die Frage, wie Künstler auf so was reagieren wollen. Künstler haben gesellschaftliche Verantwortung, gerade wenn sie im öffentlichen Raum arbeiten.“
Der Star unter den teilnehmenden Künstlern ist die amerikanische Street-Art Legende Shepard Fairey. Eines seiner großen Themen ist der Lobbyismus in der Politik, egal ob es dabei um die Abhängigkeit vom Ölfirmen oder den Einfluss der Waffenlobby geht.
„Viele Leute, die in die Politik gehen, wollen eigentlich einen höher bezahlten Job, wenn sie dann später in die Privatwirtschaft wechseln und als Lobbyist arbeiten. In dem Moment, in dem man Lobbyismus verbietet, würden nur noch Leute in die Politik gehen, die wirklich dem Allgemeinwohl dienen wollen. Aber Amerikaner verstehen nicht wie wichtig diese Sache ist.“
Faireys unverwechselbarer Stil aus reduzierter Farbpalette, stark stilisierten Motiven und wiederkehrenden Elementen wie Blumenranken oder Strahlenkranz erinnert an historische Werbeplakate. Doch statt für ein Produkt zu werben, kritisieren die Arbeiten verschiedenste gesellschaftliche Fehlentwicklungen.
Kapitaler Gewinn im Kapitol
Da ist etwa das Empire State Building, DAS Symbol des amerikanischen Optimismus: Shepard Fairey hat die Antenne des Gebäudes zu einem Bohrturm umgestaltet; statt einer Flagge im Wind lodert an der Spitze nun eine Flamme.
„Capital Gain“ ist ein Beispiel für Faireys spielerischen Umgang mit Sprache, „Capital“ steht hier nicht nur für Hauptstadt, sondern auch für „groß“, „umfangreich“. Abgebildet ist das Kapitol in Washington, also der Sitz des gesetzgebenden Kongresses. Denn es sind die Gesetze, die solch „kapitale Gewinne“ überhaupt erst ermöglichen.
Besonders deutlich prangert der Street-Art Aktivist NoNÅME den Zynismus der Wirtschaftssysteme an: „Saving Jobs & World Peace“ steht da rund um einen startenden Eurofighter. Oder die Arbeit „WAR is OVER-RATED“: Zwei Hände in Anzugärmeln prosten sich nach einem ganz offensichtlich gelungenen Deal mit einem intensiv aperol-farbigen Getränk zu.
John Lennons und Yoko Onos Song „War is Over“
Der Maschendrahtzaun im Hintergrund verheißt nichts Gutes. Und tatsächlich ist der Slogan „War is over“, der sich auf John Lennons und Yoko Onos bekanntes Protestlied gegen den Vietnamkrieg bezieht, um eine entscheidende Silber erweitert: over-rated.
Der Krieg wird überbewertet, solange der Umsatz stimmt. Die charakteristische Schrift aus Groß- und Kleinbuchstaben inunterschiedlichen Schrifttypen, die wie aus einer Zeitung herausgerissen wirken, sind eine Hommage an die „Sex Pistols“ und ihre von Jamie Reid in ebendieser Schriftstil gestalteten Plattencover „Pretty Vacant“.
Ganz dem Krimi-Genre entsprungen scheint hingegen die mysteriöse Hand, die sich im Dunkeln an einem Maschendrahtzaun zu schaffen macht. Auf dem Handschuh prangt ein Dollarzeichen. Man hört es geradezu knistert vor Anspannung. Was geht da vor sich? Man sieht nichts weiter als einen Zaun, einen Handschuh und ein Dollarzeichen und denkt dabei gleich an was Kriminelles. Seltsam, oder?
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