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Ausstellung Berliner GemäldegalerieSalziger Tropfen und funkelndes Licht

Weltliche Frömmigkeit: Die Berliner Gemäldegalerie zeigt in der Ausstellung „Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden“ frühe niederländerische Malerei des 15. Jahrhunderts.

Luxuriöse Extravaganz: Werk von „Dem Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden“. Bild: staatliche museen zu berlin

Oh, diese Tränchen! Wie schön sie doch weinen, die heiligen Frauen und Männer! Kostbar, durchsichtig-schillernd, perlt Wassertropfen für Wassertropfen die Wangen herab. Es ist eine Lust. Besser, es ist ein Revolution. Eine Revolution, die Lust macht. Denn nie zuvor kullerten die Tränen so überzeugend und lebensecht die Leinwand hinab, eben, dass eine Lust ist - der man nun in der Gemäldegalerie frönen darf, ja unbedingt frönen muss. Denn dort prunkt seit Freitag die „ars nova“, wie der Kunsthistoriker Erwin Panofsky die Epoche machende, frühe niederländische Kunst des 15. Jahrhunderts auf den Punkt brachte, in einigen ihren schönsten und nie zuvor so repräsentativ zusammengeführten Beispielen. Zwar fehlen Hubert und Jan van Eyk, doch mit „Dem Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden“ sind über 60 Einzeltafeln in einer sensationellen Schau zu bewundern, die in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Städel entstand.

Um 1430 vollzieht sich ein entscheidender Umbruch in der europäischen Malerei. Gleichbedeutend mit der italienischen Frührenaissance stößt die Malerei auf dem Gebiet des Herzogtums Burgund zu völlig neuen Darstellungsweisen vor. Erstmals entstehen vollkommen individuelle Porträts und statt des bisher gültigen Goldgrunds findet sich ein wohldurchdachter Bildraum mit atmosphärischen, weit in die Tiefe sich erstreckenden Landschaften. Es kommen Licht und Schatten in die Malerei, erstmals wird die Materialbeschaffenheit und Stofflichkeit der abgebildeten Gegenstände kenntlich und Oberflächen erstrahlen in ihrem ganzen opaken Glanz. Zwei der unbestritten wichtigsten Maler dieser frühneuzeitlichen Malerei sind nun der sogenannte Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden, obwohl ihr jeweils unsigniertes Oeuvre allein auf der Grundlage stilistischer Vergleiche und einiger weniger historischer Nachrichten zu identifizieren ist. Deswegen kann auch nur eine einzige Tafel in der Ausstellung Rogier van der Weyden sicher zu geschrieben werden - und was den Meister von Flémalle angeht, ist sowieso nur von einem einzigen Durcheinander zu berichten.

Das fängt schon damit an, dass es die Abtei von Flémalle gar nicht gibt, aus der die drei großen Altartafeln des nach ihr benannten Meister stammen sollen, die das Frankfurter Städel 1849 von dem Aachener Kunsthändler Ignaz van Houten erwarb. Und es endet damit, dass die Gemälde, die in der Berliner Gemäldegalerie als Bilder von Robert Campin für die Schau abgehängt wurden, nach der Schau als Bilder des Meisters von Flémalle wieder aufgehängt werden, wie der Stephan Kemperdick, der Berliner Ausstellungskurator auf der Pressekonferenz eingestand. Denn als die moderne Kunstgeschichte um 1900 den sogenannten Meister von Flémalle stilkritisch unbedingt als eine eigenständige Künstlerpersönlichkeit festmachen wollte, geriet der in Tournai ansässige Maler Robert Campin ins Blickfeld der Kunsthistoriker. Immerhin hatten in der offenbar lange Jahre sehr erfolgreichen Werkstatt des als Stadtrat und Zunftmeister arrivierten Künstlers sowohl Jacques Daret und Rogier van der Weyden gearbeitet. Was also sprach dagegen, die Bilder, die weder zu Daret noch Rogier van der Weyden passten, Robert Campin zuzuschreiben?

Inzwischen wohl einiges, wie der Katalog, der als stattliche Monographie daher kommt, berichtet. Aber auch die Bezeichnung „Meister von Flémalle“ steht heute nicht länger als Platzhalter für den Namen einer historischen Figur ein, sondern als eine Sammelbezeichnung für Werke, die in einem mehr oder weniger engen Kontext, nicht jedoch von einer Hand geschaffen worden sind. Die Bezeichnung „Werkstatt des Robert Campin“ wäre nicht weniger angemessen. Doch die Kunstwissenschaft des frühen 21. Jahrhunderts - nicht weniger in ihren idées fixes befangen als die des frühen 20. Jahrhunderts – mag auf den Begriff des Meisters nicht verzichten. Darauf stützt sich schließlich ihr Kult des Künstlers, der nun statt einem akademischen Stil-, ein betriebswirtschaftliches Marketingkonzept meint.

Dabei - hätte unvorstellbarerweise ein Mägdlein einen der herrlichen Fliesenfußböden des Berliner Miraflores-Altars gemalt - wäre dies genauso wenig dringlich zu wissen, wie zu unterscheiden, welchen genauen Anteil an dem prachtvollen dreiteiligen Porträt der Beziehung von Mutter und Sohn, von Maria und Jesus, nun Rogier van der Weyden selbst und seine Werkstatt hat. Aktueller als derlei Debatten scheinen heute Überlegungen nach dem modernen, modularen Aufbau der frommen Szenerien. Denn wie die Hängung der Ausstellung es bewusst hervorhebt, wandern die immer wieder gleichen Figuren in ihrer immer wieder gleichen Haltung in identischer Präzision durch ganz verschiedene Bilder, geradeso als geschähe es per Photoshop und copy and paste. Diese Kunst der Reproduktion aus ökonomischen Kalkül macht wirklich staunen. Und staunen macht auch die Erfindung der paradigmatischen Haltungen der Figuren selbst, die für lange Zeit ikonografisch gültig bleiben. Spontan stellt sich dafür der Begriff der Pop-Ikone ein.

Und damit kommt der Begriff des Glamours ins Spiel, den der ausgesuchte Luxus beglaubigt, den sich „Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden“ gar nicht genug tun können, ihn ins Bild zu bringen: edles Holz, kostbares Glas und aufwändiges Mobiliar, dazu teure Woll-, Brokat- und Seidenstoffe. Ja, selbst die Tränchen, die wie Diamanten glänzen, wirken wie eine luxuriöse Extravaganz - und doch weinen die Heilige Agathe oder der Hl. Nikodemus bitterlich. Und ihre Augen, denen die Tränen entquillen sind so sehr ein Spiegel des Interieurs wie ihrer Seele. Die offenkundige Freude an der Kunst, daran, das Leben in all der plötzlich verfügbaren malerischen Eleganz zu packen, führt über die selbstgenügsame, bloße Beschwörung von Reichtum und Schönheit weit hinaus und resultiert in einer besonderen, weltlichen Frömmigkeit die der Figur Christi und den Geschichten des Neuen Testaments ganz unversehens eine ungeheuer neue Lebendigkeit und Attraktivität geben.

Bis 21. Juni, Gemäldegalerie Berlin, Katalog (Hatje Cantz) 49,80 EURO

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