Aussteiger-Banker nach der Krise: Senf statt Swaps
Mit der Krise kommen auch Finanzhaie ins Zweifeln und sehnen sich nach dem echten Leben. Fünf Geläuterte über ihr neues Leben als Galeristen, Holzhacker oder Wurstverkäufer.
Früher, da wäre das unmöglich gewesen. Drei Stunden hat Marc Sommer heute erst gearbeitet, und jetzt, am Nachmittag, sitzt er beim Cappuccino, das Hemd aus der Jeans, den obersten Knopf lässig aufgeknöpft. Vielleicht wird er sich später noch ein bisschen um seine Galerie kümmern. Vielleicht aber auch erst morgen. Der einzige, der das entscheidet, ist: er.
Früher, da hat Marc Sommer bis zu 17 Stunden am Tag gearbeitet, in seiner Zeit in der Londoner City habe er manchmal sogar im Büro übernachtet, erzählt er. Jeans gingen natürlich nicht, Anzüge von Armani sollten es mindestens sein, habe einer seiner Chefs einmal gesagt. Zehn Jahre lang war Sommer Investmentbanker bei großen deutschen und ausländischen Banken, seine Kunden: Versicherungen, Fonds und Banken auf der ganzen Welt.
Als er in die Branche einstieg, mit Anfang 20, hat ihm die harte Arbeit nichts ausgemacht, sagt Sommer. Er habe sich am Puls der Weltwirtschaft gefühlt, gut verdient, 60.000 Euro schon als Trainee, später seien es im besten Jahr in der "Sales"-Abteilung dank Bonus mehr als 300.000 Euro gewesen. Er hatte es geschafft, als Kind aus einer Arbeiterfamilie, sogar eine Eigentumswohnung in Frankfurt konnte er sich leisten. "Geld kann sehr motivieren", sagt Sommer. "Und solange man glaubt, dass es ehrlich verdient wird, ist das auch kein Problem."
Geschäft: Mittlerweile fast schon ein eigenes Genre - und es lohnt sich: Die Beichten der Finanzweltaussteiger. Große Literatur ist das nicht, zum Teil aber trotzdem aufschlussreich. Der Leser lernt etwas über Futures, Optionen, CDS und CDOs, und bekommt gleichzeitig seine finstersten Vorahnungen und Vorurteile über die Finanzwelt bestätigt - auch die über Koks und Stripperinnen. Wo die Facts enden und die Fiction anfängt, ist manchmal schwer zu sagen.
Anne T.: "Die Gier war grenzenlos. Eine deutsche Börsenhändlerin packt aus". Econ Verlag, 18 Euro.
Rudolf Wötzel: "Über die Berge zu mir selbst. Ein Banker steigt aus und wagt ein neues Leben." Integral, 19,95 Euro.
Geraint Anderson: "City Boy. Beer and Loathing in the Square Mile." RRP, 36,90 Euro (taz)
Doch irgendwann kam ihm dieser Glaube abhanden. Die Bedenken ob der Produkte, mit denen sie handelten, wurden immer größer. "Finanzinnovationen" nannte die Branche sie, die Banker verstanden sie zum Teil selbst nicht mehr, aber sie versprachen ihnen horrende Gewinne. Swaps, Derivate, hochkomplexe Produkte. In die eigenen Portfolios hätten die Investmentbanker sich solche Risiken nie gelegt, aber es war ja nicht ihr Geld, das sie aufs Spiel setzten. "Es war eine Mentalität wie bei Drogendealern: Wenn ichs nicht mache, machts ein anderer", sagt Sommer. "Dabei wusste doch jeder, mit was für einem Schrott sie da zum Teil handelten."
Was mache ich hier eigentlich, fragte er sich? Es war nicht mehr seine Welt, vielleicht war es sie nie gewesen. Auf Partys in Edelclubs hatte er sich schon beim zweiten Mal gelangweilt, egal wie viel Champagner auch floss. Wenige Monate vor dem großen Crash im September 2008 steigt Sommer aus, mit Anfang 30.
Marc Sommer ist nicht der einzige, der in der Krise mit seiner alten Branche gebrochen hat. Zahlreiche Banker und Broker haben die Finanzwelt verlassen, um ein neues Leben zu beginnen - manche freiwillig, manche weniger freiwillig. Und wer mit ihnen redet und ihre Aussteigerberichte liest, wird immer wieder dieselbe Sehnsucht entdecken: eine Sehnsucht nach Echtheit. Nach echten Produkten. Nach echten Menschen. Nach echtem Leben. Ein Leben, in dem lachende Kinder vorkommen, Gartenarbeit, Schweiß und fettige Currywürste.
Da ist zum Beispiel Hans-Hermann Lotter, zuletzt war er Managing Director bei der Investmentbank Rothschild, ein ganz hohes Tier also. Nach fast zwanzig Jahren in der Branche hatte er genug und stieg vor wenigen Wochen aus. Offenbar hatte er keine Lust mehr, auch an Wochenenden und im Familienurlaub ständig über den Blackberry Deals abschließen zu müssen. Warum tue ich mir das an, fragte sich Lotter irgendwann. "Was will man denn eigentlich im Leben?"
Da ist Rudolf Wötzel. Er war bei der US-Bank Lehman Brothers für das deutsche Geschäft mit Fusionen und Firmenübernahmen zuständig, in guten Jahren verdiente er mehr als eine Million Euro. Im Frühjahr 2007 stieg er aus, eineinhalb Jahre vor der Pleite - und wanderte fünf Monate lang von Salzburg nach Nizza durch die Alpen. "Über die Berge zu mir selbst" heißt sein Buch über die Abkehr von der Welt des "make money, make more money". Es ist eine etwas esoterische Erzählung über die eigene Menschwerdung. Heute lebt Wötzel in den Graubündner Alpen, schwärmt von "erdigen, produktiven, manuellen Tätigkeiten", hackt Holz und betreibt ein Bergrestaurant.
Und da ist die deutsche Investmentbankerin Anne T., die ihre Abrechnung unter Pseudonym veröffentlicht hat. Die "Queen of Money" wollte sie mit Anfang Zwanzig werden, hungrig häufte sie als Händlerin Hunderttausende von Euros an. Irgendwann aber erschrickt Anne T. über ihre Abgestumpftheit. "Wir prostituierten uns für Geld", schreibt sie. "Ich bin so oberflächlich geworden, dass ich es kaum mehr aushalte."
Auch ihr Buch ist keine große Literatur - und dennoch applaudiert das Publikum Aussteigern wie ihr, von "Beckmann" bis Bild sind sie begeistert. Bekennen die Geläuterten doch stellvertretend für die Finanzbranche: Wir haben Fehler gemacht, und wir haben daraus gelernt. "Die Gier war grenzenlos", heißt das Buch von Anne T. Ein Titel, der impliziert: Gier war gestern, heute ist Demut. Die Beichten beruhigen das eigene Gewissen - und die Bevölkerung.
Dabei bezweifeln wenige Tage vor dem Weltfinanzgipfel in Pittsburgh viele, dass sich an der Zockermentalität in den Bankentürmen viel geändert hat. "Vielleicht ist die Gier ein bisschen geringer geworden", sagt Ex-Investmentbanker Marc Sommer beim Gespräch in einer Gaststätte. "Aber am Ende bleibt es eine Maschinerie, um Geld zu verdienen, und was zählt, ist der Gewinn." Auch Sommer heißt in Wirklichkeit anders, seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Er macht sich Sorgen um die Anwälte seines alten Arbeitgebers. Über den darf er eigentlich nichts sagen, das sei Bestandteil seines Abfindungsvertrags.
Sommer will sich nun um das kümmern, was ihm wirklich Spaß macht: den Aufbau seiner Galerie in Süddeutschland. Er malte früher selbst Porträts, und die wenigen freien Stunden, die er als Investmentbanker hatte, verbrachte er in Museen. Nun kann er seine Leidenschaft leben - bezahlt mit dem Geld aus Geschäften, die er irgendwann nicht mehr ertragen hat. "Man sieht ja noch nicht mal die Opfer. Wenn ein Wirt seinen Kunden das Essen auf den Tisch stellt, muss er ihnen in die Augen schauen. Der traut sich nicht, Schrott zu servieren."
Das sind Sätze, die auch von Thomas Brauße stammen könnten. Er ist der zurzeit bekannteste Finanzwelt-Aussteiger Deutschlands. Er ist der mit den Würstchen. Echter wird es nicht.
Braußes neuer Arbeitsplatz ist nur wenige hundert Meter entfernt von seinem alten. "Da oben war mein Büro, im 20. Stock", sagt Brauße und zeigt auf den Frankfurter Messeturm, ein 257 Meter hoher Koloss, die Fassade aus rotem Granit glänzt in der Septembersonne. Gleich dahinter sind die anderen Türme zu sehen: Deutsche Bank, Dresdner, Deka, Commerzbank. Mainhattan.
Wurst raus, Geld rein
Einen alten Linienbus hat sich Thomas Brauße bei Ebay ersteigert und ihn zum Imbiss umgebaut, davor stehen Holzbänke und blaue Sonnenschirme. "Jetzt neu: Frankfurter Worschtbörse" ist in bunter Kreide auf einer Tafel zu lesen. Die Currywurst mit Brot kostet 2,70 Euro, der hausgemachte Pflaumenkuchen 1,50 Euro.
Brauße steht am Grill, ein breitschultriger Typ mit Glatzkopf, Jeans, weißem Shirt und schwarzer Schürze. Er packt einem Kunden eine Rostbratwurst auf den Teller, klatscht Senf dazu. "Gudde Abbo", ruft er. Guten Appetit. "Das ist viel realer als mein früherer Job, nicht so abstrakt", sagt Brauße. "Die Wurst geht raus, und das Geld kommt rein."
Zwölf Jahre lang arbeitete Brauße für einen US-Wertpapierbroker. Er war Abteilungsleiter und musste dafür sorgen, dass die Geschäfte termingerecht abgewickelt wurden, täglich ging es um mehrere Millionen, er selbst habe sechsstellig verdient, sagt Brauße. Als vor einem Jahr die Meldung über die Pleite der Lehman Brothers über den Ticker lief, ahnte Brauße schon: Da kommt was. Im Dezember schloss sein Arbeitgeber das Frankfurter Büro.
Zurück in die Wirklichkeit
Brauße hätte wieder einen Job in der Finanzbranche bekommen, sagt er, wenn euch für deutlich weniger Gehalt. Dann lieber ganz raus. Zurück in die Wirklichkeit.
Innerhalb weniger Wochen hat es der Wurstbroker so zu einiger Berühmtheit gebracht. Neulich war er in der ARD-Talkshow "Anne Will" und beklagte das kurzfristige Denken der Manager. Denen sei "die Menschlichkeit komplett abhanden gekommen". Die Moderatorin nickte. Genau das wollte sie hören. Genau das wollten die Zuschauer hören.
Thomas Braußes Kunden kommen aus der Welt, die er verlassen hat. Viele Banker haben an diesem Mittag den Weg aus ihren Türmen zum Imbiss gefunden. Sie tragen Anzughose, Hemd und Lederschuhe, manche auch Krawatten und Manschettenknöpfe, andere zurückgegelte Haare und dicke Armbanduhren, auf den Tischen liegen Blackberrys. Bald könnten noch mehr Kunden kommen, neben dem Imbiss wird noch ein Hochhaus gebaut: Der Tower 185, "das neue Headquarter für zukunftsorientierte Unternehmen", wie auf einem Schild steht.
Die Schlange vor Braußes Bus reicht inzwischen bis zur Straße. Die Banker sind jung. Und sie sind hungrig. Hastig schlingen sie ihre Würste in sich hinein. Ganz hinten steht einer mit einer Ray-Ban-Sonnenbrille. Ein Kollege erzählt ihm, dass Budenbetreiber Brauße vorher Broker war und zeigt hoch auf den Messeturm. "Ach was", sagt der mit der Sonnenbrille und lacht nur. "Von da oben nach hier unten?"
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