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Aussöhnungsabkommen mit NamibiaProtest vor Parlament in Windhoek

Am Dienstag sollte das Parlament über die Einigung mit Deutschland abstimmen. Der Deal ist hochumstritten, auch auf der Straße regt sich Widerstand.

Mahnmal zur Erinnerung an die Verbrechen der Kolonialzeit in Windhoek, Namibia Foto: G. Thielmann/imageBROKER/imago

Berlin taz | In der namibischen Hauptstadt Windhoek haben am Dienstag Geg­ne­r*in­nen des Aussöhnungsabkommens zwischen Deutschland und Namibia protestiert. Die Demonstration startete wie geplant im Township Katutura und bewegte sich dann in Richtung des namibischen Parlaments. Die Tageszeitung Namibian Sun veröffentlichte auf Twitter Videoaufnahmen davon, wie Demonstrierende die Zäune zu den Gärten des Parlaments überwanden, und berichtete davon, dass Menschen auch das Parlamentsgebäude, den sogenannten Tintenpalast, gestürmt hätten.

Auslöser für die Proteste war die für den Nachmittag vorgesehene Ratifizierung der umstrittenen Einigung durch die Abgeordneten. Bis Redaktionsschluss lag das Ergebnis noch nicht vor. Die Regierungspartei Swapo belegt allerdings im Parlament 63 von 71 Sitzen, weshalb die Opposition die Ratifizierung erwartete.

Mit dem Aussöhnungsabkommen werden die brutalen Verbrechen der deutschen Kolonialtruppen an den Herero und Nama als Völkermord anerkannt. Die Deutschen schlugen im damaligen Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 die Widerstände der Volksgruppen gegen die Kolonialherren nieder. Die Truppen ermordeten mehr als 80.000 Menschen oder vertrieben die Menschen in die Wüste, wo sie verdursteten.

Die Einigung beinhaltet nun eine an die Nachkommen gerichtete Entschuldigung sowie deutsche Wiederaufbauhilfen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro. Rechtliche Ansprüche auf Entschädigung sollen sich daraus aber nicht ableiten lassen – das Abkommen verzichtet auf den Begriff der Reparationen. Diese hatte die namibische Seite gefordert, Windhoek bezeichnete die Geldzahlungen auch bei Abschluss der Einigung dem Parlament gegenüber als „reparations package“.

Kritik an der Höhe der Entschädigungszahlungen

Unter anderem die Höhe der Wiederaufbauhilfen kritisieren Geg­ne­r*in­nen harsch. Sie werden im Abkommen einzelnen Bereichen zugewiesen und sollen über 30 Jahre ausgeschüttet werden. Auch die namibische Regierung hatte auf mehr gepocht: „Wir sind nicht stolz über die Höhe, aber wir können sagen, dass unsere Verhandler unter den ihnen gegebenen Umständen ihr Bestes gegeben haben“, sagte Namibias Vizepräsident Nangolo Mbumba von der Regierungspartei Swapo (South-West Africa People’s Organisation) nach Berichten im Juni bei einer Pressekonferenz und gestand ein, dass diese Geldsumme „nicht genug“ sei.

Zuletzt habe sich auch der Eindruck verstärkt, das Abkommen solle nach den Verzögerungen durch die Coronapandemie schnell durchgebracht werden, schreibt der Soziologe Reinhart Kößler in der Zeitschrift iz3w: „Dabei hat die namibische Seite offenkundig umfassend nachgegeben. Sie hat den innernamibischen Konsens über die Notwendigkeit von Reparationen stillschweigend kassiert und sich mit einer sehr viel geringeren Summe zufriedengegeben, als in ihrer zwischenzeitlich durchgesickerten ursprünglichen Forderung veranschlagt worden war.“

Doch nicht nur die Höhe der Zahlungen sorgt für Unmut, auch kritisieren Nachfahren der Opfer seit Jahren, dass sie nicht an den Entscheidungen beteiligt würden. Die Vertreter, die die Mehrheit der Herero und Nama repräsentierten, seien ausgeschlossen von den Verhandlungen.

Zusätzlich hatte sich die Coronalage in Namibia tragisch zugespitzt. Auch wichtige Akteure im Ringen um Aussöhnung waren einer Covid-19-Erkrankung zum Opfer gefallen: Im Juni starben sowohl einer der erbittertsten Kritiker des Abkommens, Vekuii Rukoro, Chef des traditionellen Rates der Herero, als auch der namibische Chefunterhändler für die Einigung, Zed Ngavirue.

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