Außenministerin Livni vor Karriereschub: Israels neue Hoffnung
Während Premier Olmert sich gegen Korruptionsvorwürfe wehrt, würde sich Außenministerin Livni nicht mal Kaffee spendieren lassen. Sie soll ihn als Parteichefin beerben.
Im eleganten Anzug betritt Zipi Livni den Saal. Zielstrebig geht sie auf den für sie freigehaltenen Platz zu und setzt sich, darum bemüht, nicht allzu viel Unruhe zu stiften. Ihre zwei Bodyguards bleiben diskret an der Tür stehen. Das Truman-Zentrum an der Hebräischen Universität in Jerusalem feiert sein 40-jähriges Bestehen, es spricht der frühere US-Senator George Mitchell. Nach ihm ist Livni dran. Sie schaut sich um, verschafft sich einen Eindruck von der Zuhörerschaft, es sind vorwiegend amerikanische Gäste da. Livni streicht das Haar hinter ihr linkes Ohr, prüft kurz die Notizen und konzentriert sich dann auf ihren Vorredner.
Der Auftritt im Truman-Institut gehört zu den angenehmeren Terminen der israelischen Außenministerin. Zwischen Regierungssitzungen, dem Empfang von Staatsbesuchern und den Friedensverhandlungen geht es in diesen Tagen vor allem um ihre Partei. Gerade so hat Kadima die Regierungskrise noch entschärft: Am Mittwoch hat der schwer angeschlagene Ministerpräsident Ehud Olmert der Arbeitspartei nachgegeben und zugesagt, bis Ende September einen neuen Parteivorsitzenden wählen zu lassen. Besser gesagt: eine Vorsitzende. Denn Zipi Livni will diese Wahl für sich entscheiden. Sie hat die mit Abstand besten Chancen.
"Kadima muss sich entscheiden", appellierte sie an die Parteifreunde, kurz nachdem Ehud Barak, Chef des Koalitionspartners Arbeitspartei, den Rücktritt des Regierungschefs gefordert hatte. Olmert müsse gehen, hatte Barak gesagt, weil er sich nicht gleichzeitig um seine privaten Probleme und die Staatsangelegenheiten kümmern könne. Livni schloss sich dieser Kritik an.
Ähnlich wie nach der Veröffentlichung des Winograd-Berichts, der Olmerts Verantwortung für das Debakel des Libanonkrieges nachwies, ist sie vielen Israelis zu zögerlich. Bei den Korruptionsvorwürfen etwa sagt sie, es ginge nicht nur um eine Rechtsangelegenheit oder die Privatsache des Premierministers, sondern um "Werte und Normen und ihren Einfluss auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die israelische Politik". Damit hatte die ambitionierte Politikerin schon ihre stärkste Karte ausgespielt. Sie hat eine weiße Weste und würde sich vermutlich noch nicht einmal einen Kaffee bezahlen lassen. Ehrlich, anständig, klug und gründlich - das sind die Attribute, die mit ihrem Namen verbunden sind. Livni ist genau das, was die der Korruptionsaffären müden Israelis brauchen. Sie ist "wie ein neues Produkt", schreibt die Tageszeitung Jediot Ahronot: "Man kennt es noch nicht, aber es glänzt, also kauft man es, um es auszuprobieren."
Ob jedoch allein die Tatsache, dass sie nicht korrupt ist, ausreicht, um sie an die Spitze zu bringen? Ihre politischen Gegner bezweifeln das. Im Konkurrenzkampf zwischen den Sauberen und den Erfahrenen setzen sowohl Benjamin Netanjahu vom Likud als auch Ehud Barak und Schaul Mofas, ehemals Stabschef und ihr stärkster Kadima-Konkurrent, auf das krisenerprobte Volk. Das werde, wenns drauf ankommt, doch eher einem der alten Hasen vertrauen.
Dass Livni eine Frau ist, verschärft vielleicht den Unterschied zwischen "Mrs Clean", wie Haaretz sie nennt, und den korrupten Männern an der Spitze. Im Vergleich mit Golda Meir, der ersten Frau im Amt der Außenministerin und später erste Regierungschefin, ist Livni geradezu feminin. Die ehemalige Hobby-Basketballerin achtet bis heute auf ihre gute körperliche Verfassung, regelmäßig walkt sie am Strand. Sie schminkt sich behutsam, die dunklen Hosenanzüge betonen die blonden Haare. Die Füße stecken in Schuhen mit Absätzen, die stabil genug sind, um ihr einen flotten, festen Schritt zu ermöglichen. An Zipi Livni scheint alles zu stimmen, schon äußerlich.
Der "aufsteigende Stern", wie Newsweek sie nennt, macht sich aber auch sonst auffallend gut. Mit ihrer selbstbewussten Freundlichkeit kommt sie gut an bei ihren Kollegen im Ausland. Binnen fünf Jahren war sie Chefin von insgesamt sieben Ministerien, zeitweilig sogar mehreren gleichzeitig. "Nicht, weil ich so universell begabt bin", wie sie zugibt, sondern wegen der "Instabilität der israelischen Regierungen". Die erneut wacklige Koalition in Jerusalem und die sich abzeichnende vorgezogene Neuwahl könnten sie bald, vielleicht zu bald, auf den Stuhl der Regierungschefin katapultieren.
Wenn sie schon nicht "universell begabt" ist, so fühlt sich Livni zumindest auf dem diplomatischen Parkett zu Hause. Ohne auch nur einen einzigen Fehler zu machen, meisterte sie den Aufgabenmarathon, nachdem die Hamas Anfang 2006 die palästinensischen Wahlen für sich entschieden hatte: Einen solidarischen Staatsgast nach dem anderen empfing sie in Jerusalem. Die USA, die Bundesrepublik und andere westliche Staaten lasen der forschen Chefdiplomatin, die sowohl Englisch als auch Französisch fließend beherrscht, das Mantra von den Lippen ab und übernahmen im Wortlaut Israels Bedingungen an die Hamas: Anerkennung Israels, Abkehr von der Gewalt und Anerkennung aller bisher von der PLO unterzeichneten Abkommen. Der neue Stern an Israels Polithimmel war umgeben von einer Wolke internationaler Solidarität.
Die charmante Juristin, die seit früher Jugend engagierte Tierschützerin ist und aus Überzeugung auf den Verzehr von Fleisch verzichtet, wie ihre Jugendfreundin Mira Gal berichtet, hat indes auch harte Seiten und damit nicht nur Freunde. Als der libanesische Regierungschef Fuad Siniora in Gedenken der Opfer des Krieges 2006 mit seinen Gefühlen rang, riet sie ihm, sich die Tränen vom Gesicht zu wischen, und kritisierte den Ausbruch als pathetischen Versuch der "Propaganda".
Unter dem Titel "Die Terroristen-Jägerin" berichtete Anfang Juni die Sunday Times über Livni als Mossad-Agentin. Tatsächlich hatte die damalige Jurastudentin in den 80er-Jahren eine Auszeit von der Uni genommen, um im Dienst des Staates Israel nach Europa zu gehen. Dort arbeitete die "kluge Frau mit dem IQ von 150" zusammen mit ihren männlichen Kollegen an der Mission, "arabische Terroristen zu töten". Eine Feststellung, die der israelische Geheimdienstexperte Jossi Melman für "weit übertrieben" hält. Fest steht, dass Livni eine "riesige Verantwortung" trug, wie ihre Freundin Mira Gal bestätigt, die damals selbst beim Mossad arbeitete. Der große Druck war es schließlich, der sie den Geheimdienst verlassen ließ. Livni selbst spricht über diese Erlebnisse nicht viel, nur dass es eine Zeit war, in der "ich viele Dinge gelernt habe, die ich überhaupt nicht gebrauchen kann". Für ihr Image bei den israelischen Wählern ist die geheimnisumwobene Phase als Agentin allemal hilfreich.
Ob sie sich damals nur deshalb zum Mossad gemeldet hat, um es ihren Eltern in Sachen Heldentum nachzutun? Möglich wäre es. Beide waren in den Jahren vor der Staatsgründung militante Untergrundkämpfer und gehörten zur Führungsriege des Irgun, einer zionistischen Terrorgruppe, die Anschläge sowohl auf die britische Besatzungsmacht als auch auf Araber in Palästina verübte. "Hier liegt der Kopf der Operationen des Irgun", steht auf dem Grabstein von Livnis Vater, der auch eine Karte von Großisrael zeigt - inklusive großer Teile des heutigen Jordaniens.
Die Tochter der beiden Revisionisten von einst ist indes klug genug, die Zeichen der sich verändernden Zeit zu erkennen und sich vom Großisrael-Traum zu verabschieden - selbst wenn es heute ohnehin "nur" noch um das westlich des Jordan liegende Land geht. Gemeinsam mit ihrem Mentor, dem seit zweieinhalb Jahren im künstlichen Koma liegenden ehemaligen Regierungschef Ariel Scharon, verließ sie im Sommer 2005 ihre politische Heimat Likud, um mit der neuen Partei Kadima den einseitigen Abzug aus dem Gazastreifen voranzutreiben. Zuvor waren die Verhandlungen mit den Palästinensern gescheitert. Es müsse, erkannte sie damals, eine Gebietsteilung und zwei Staaten geben, wenn Israel als jüdischer Staat weiterexistieren will.
Gemeinsam mit Olmert versprach sie den schrittweisen Abzug aus dem Westjordanland. Dieses Engagement brachte ihr große Sympathie unter den Mitte-links-Wählern, vor allem, weil sie als erste Ministerin eine klare Linie zwischen Terroristen und Widerstandskämpfern zog: "Jemand, der gegen israelische Soldaten kämpft, ist ein Feind, gegen den wir zurückschlagen", sagte sie, "trotzdem glaube ich, dass man nicht von Terror reden kann, wenn das Ziel ein Soldat ist."
Livnis Tonfall ändert sich indes schlagartig, wenn die Rede auf die Hamas kommt. Mit der islamistischen Palästinenserorganisation geht sie keine Kompromisse ein, so wenig wie mit dem Iran oder der libanesischen Hisbollah. "Wir sollten uns nichts vormachen", räumt sie ein, "Verhandlungen ändern nichts an der Realität im Gazastreifen." Dennoch werde jeder Erfolg der Moderaten die Extremisten schwächen, wie umgekehrt jeder Erfolg der Extremisten eine Niederlage der Pragmatiker sei.
Zu vorschnellen Kompromissen treibt die 49-Jährige diese Einsicht trotzdem nicht. "Dieser Prozess braucht Zeit", sagt sie, "wir können uns kein weiteres Scheitern erlauben". Nach Ansicht der Außenministerin ist weder die Frage über den Grenzverlauf noch die Zukunft Jerusalems entscheidend. Für sie ist das Schlüsselproblem in der Region der Konflikt zwischen Extremisten und Moderaten. In solchen Momenten gleicht ihre Rhetorik der von George W. Bush. Erstaunlich.
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