„Ausreisezentrum“ in Brandenburg: Im Abseits
Auf einer kleinen Oder-Insel in Brandenburg sollen Geflüchtete in einem Ausreisezentrum untergebracht werden. Die Pläne sind wenig willkommen.
Trotz der Nähe zu Berlin wirkt der Ort an der Oder etwas abgekoppelt. Zur Hauptverkehrszeit sind hier zwar viele polnische Pendler unterwegs, jetzt, an einem sonnigen Mittwochvormittag Ende Juni, aber ist es auf der Hauptstraße ruhig. Nur die Vögel zwitschern.
Ein Mann auf einem eisblauen Mifa-Fahrrad fährt vorbei, ein altes DDR-Modell. Von der Seite wird er zum Gruß angehupt, hier in dem Ort mit 750 Menschen kennt man sich. Wenn es nach dem Landkreis Märkisch-Oderland und dem Land Brandenburg geht, sollen in der Gegend bald noch mehr leben: Geflüchtete, die man abschieben will. Die Anwohner:innen sind dagegen und organisieren sich in einer Bürgerinitiative.
Geplant ist eine Sammelunterkunft für Geflüchtete, die Deutschland bald verlassen sollen. Als „Ausreisezentrum“ wird so eine Unterkunft bezeichnet, praktisch handelt es sich um eine Abschiebeeinrichtung. Der vorgesehene Standort dafür findet sich mitten im Grenzfluss: die Oder-Insel zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn nad Odrą auf der polnischen Seite.
Historischer Ort
Auf der Insel stehen historische Kasernen, die ersten wurden 1903 erbaut. Ab den dreißiger Jahren wurden sie von der Wehrmacht verwendet, nach dem Krieg dann bis 1991 von sowjetischen Truppen. Nun, mehr als 30 Jahre später, ist alles zugewachsen, die einst mal durchaus ansehnlichen Liegenschaften gammeln vor sich hin.
Wolfgang Henschel ist 68 Jahre alt und hat sein ganzes Leben in Küstrin-Kietz verbracht. Seit der Kommunalwahl am 9. Juni ist der frühere Diplomsportlehrer der neue Ortsvorsteher. Henschel ist parteilos, er gehört der Wählergruppe „Schöner leben in Küstriner Vorland“ (SLK) an. Gemeinsam mit der SLK-Vereinsvorsitzenden Katrin Balk spricht er bei einem Rundgang über die Insel mit der taz.
Der Ortsvorsteher erinnert sich noch gut an die Zeit, in der die Sowjets auf der Insel gelebt haben. Manchmal, erzählt er, habe er Lkws gesehen, auf denen Atomraketen gelagert wurden: „Das werden schon keine Badewannen gewesen sein.“ Früher, als er mit seinen Freunden in Faltbooten um die Oder-Insel rumgeschippert ist, habe man oft dort angelegt. „Dann haben die Freunde uns mit Zigarettenpapierchen versorgt“, erzählt Henschel über die sowjetischen Soldaten. Das Verhältnis sei gut gewesen.
Große Hoffnung nach der Wende
Seit 1991 ist auf der Insel nichts passiert. Nach der Wende gab es große Hoffnung: Man wollte ein Gewerbe aufbauen, deutsch-polnische Kooperationen waren geplant. Natürlich alles unter Berücksichtigung des Naturschutzes. Blühende Landschaften eben. „Damals wurde uns das Schlaraffenland angekündigt“, sagen Henschel und Balk.
Daraus sei aber nie etwas geworden, wohl aus finanziellen Gründen. „Wir haben dann im Prinzip auch einfach irgendwann aufgegeben.“ Aber jetzt, wo es um das Abschieben von Geflüchteten gehe, sei auf einmal Geld für die Insel da.
Zu den 750 Menschen, die heute in Küstrin-Kietz, leben – darunter auch ein paar polnische Familien –, sollen gut 200 junge Männer dazukommen. Geflüchtete ohne Pässe, die man aus Deutschland ausweisen möchte, sollen in der Unterkunft auf der Oder-Insel untergebracht werden.
Ohne Papiere ist eine Abschiebung aber nicht ohne Weiteres möglich. Die Bewohner:innen solcher Zentren dürfen sich, anders als in der richtigen Abschiebehaft, frei bewegen, werden aber durch Isolation und „beratende Gespräche“ zur Ausreise gedrängt.
Ein Teil der Insel steht unter Denkmal- und Naturschutz, in einem nichtgeschützten Bereich sollen die Container für die Unterbringung der Geflüchteten aufgebaut werden. Das Geld dafür soll aus dem Landeshaushalt 2025 kommen, rund 10 Millionen Euro sind eingeplant.
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Kritik vom Flüchtlingsrat Brandenburg
Auch abseits der Region gibt es Kritik an den Plänen für die Insel. Kirstin Neumann vom Flüchtlingsrat Brandenburg sagt auf Anfrage der taz: „Das sogenannte Ausreisezentrum auf der Oder-Insel lehnen wir ab. Die Leute werden in die Perspektivlosigkeit verbannt“, das Vorhaben sei ein „menschenfeindliches Abschottungsprojekt“. Sie verweist auch auf einen bedeutsamen Punkt, der den Landkreis zu dem Projekt motiviert.
Denn mit einer Unterbringung von Geflüchteten auf der Oder-Insel käme der Kreis Märkisch-Oderland seinem vom Land Brandenburg vorgegebenen Aufnahmesoll näher. Das „Praktische“ für den Landkreis an der Sache: Die Geflüchteten in dieser Unterkunft müssten nicht integriert werden, da sie sowieso bald abgeschoben würden. Der Landkreis bestätigt gegenüber der taz die Anrechnung der Geflüchteten, sollte das Ausreisezentrum Realität werden.
Offiziell informiert darüber wurden die Anwohner:innen in einer Gemeinderatssitzung Ende März. Der Landrat des Landkreises Märkisch-Oderland Gernot Schmidt (SPD) und der Sozialdezernent Friedemann Hanke (CDU) waren anwesend. „Wir haben uns einen der unattraktivsten Orte rausgesucht, damit die Leute einfach nur noch wegwollen“, sagte Hanke dabei.
Nach diesem Kommentar über Küstrin-Kietz sei die Stimmung gekippt, berichtet Katrin Balk. Wut sei aufgekommen, bei einigen Anwesenden auch Furcht vor kriminellen Geflüchteten.
Sprungbrett für die AfD
Nach der Sitzung sei es so richtig zur Sache gegangen, erzählt Ortsvorsteher Henschel. „Die AfD dachte, sie kann das Ganze als Sprungbrett nutzen.“ Sofort stellte sie in Küstrin-Kietz eine Veranstaltung auf die Beine, zu der auch gut 100 Leute gekommen seien. Zwar ist die AfD in der Gemeindevertretung bisher nicht vertreten, bei der Europawahl im Juni wählten allerdings 50 Prozent AfD.
Henschel sagt: „Ich möchte mich nicht am Ende bei der AfD dafür bedanken müssen, dass das Ding gestoppt wird.“ Er bedauert, dass die Linke vor Ort leider nicht mehr so stark sei. Und über die SPD müsse man ja gar nicht erst reden.
Henschel und die anderen Bürger:innen waren nicht in die Entscheidung involviert: „Wir hatten nur formell zuzustimmen.“ Henschel und Balk sind anders als einige der Anwohner:innen aus humanitären Gründen gegen das Abschiebeprojekt, sagen sie. Außerdem sei der Oder-Insel-Standort für ein solches Zentrum ungeeignet. „Es sind verschiedene Nationalitäten, zusammengepfercht, perspektivlos, deprimiert“, meint Balk.
Auch wenn die Menschen sich frei bewegen könnten, gäbe es vor Ort nichts für sie. Der nächste Supermarkt ist gut sieben Kilometer entfernt. Die Küstrin-Kietzer gehen immer in Polen einkaufen. Nur einmal über die Brücke rüber, dort reiht sich ein Supermarkt an den anderen, auch Tankstellen gibt viele. Dort sei man „super ausgestattet“, sagt Henschel. Geflüchtete ohne Papiere allerdings dürfen nicht die Grenze überqueren.
Auch auf der polnischen Seite fühlen sich die Anwohner:innen übergangen. Sie seien auf offiziellem Wege nicht über das Ausreisezentrum informiert worden, berichtet Wolfgang Henschel. Erst durch Medienberichte habe man im Rathaus in Kostrzyn nad Odrą von dem Projekt erfahren. Kurz vor dem Gespräch mit der taz war Henschel dort und hat mit dem polnischen Bürgermeister geredet. Zusammen wolle man sich nun grenzübergreifend organisieren.
Hochgezogene Augenbrauen
Denn auf der polnischen Seite habe man „mit hochgezogenen Augenbrauen reagiert“. Der polnischen Verwaltung passe die geplante Flüchtlingsunterkunft gar nicht in den Kram. Man will nämlich gerade mit einem Sportboothafen den Oder-Tourismus stärker ausbauen.
Dass die deutsche Seite im Vergleich zur polnischen strukturell hinterherhänge, sagt Henschel auch. Drüben hätte man EU-Gelder sinnvoller eingesetzt. Mit Mitteln aus entsprechenden Fonds soll in Kostrzyn nad Odrą ein Sportschwimmbad gebaut werden, zu dem dann selbst Schüler aus dem 30 Kilometer entfernten Frankfurt (Oder) zum Schwimmunterricht anreisen sollen.
Trotz des Gegenwinds hat der Landkreis aber weiterhin „großes Interesse an dem Projekt“. Auf Nachfrage der taz heißt es über den Zeitplan: „Vor dem ersten Halbjahr 2025 wird nicht viel passieren.“ Höchstens eine Überprüfung des Bodens auf der Insel könnte noch dieses Jahr stattfinden.
SLK-Vorsitzende Katrin Balk und Ortsvorsteher Wolfgang Henschel wären glücklich über ein Scheitern des Projekts. Vielleicht, so hoffen sie, fällt nach der Landtagswahl in Brandenburg im September auf, dass das nötige Geld doch nicht da ist.
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