Auslosungsverfahren NSU-Prozess: „Ebru TV“ und „Brigitte“ statt „FAZ“
In München sind die Presseplätze für den NSU-Prozess verlost worden. Viele deutsche Medien gingen leer aus, darunter die „SZ“ und die „Welt“. Auch die taz ist raus.
BERLIN taz | Nach wochenlangen Streitereien um die Vergabe von Journalistenplätzen beim NSU-Prozess in München hat nun der Zufall entschieden. Am Montagvormittag hat ein Notar vor den Augen eines Zeugen - der frühere Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel - ausgelost, welche Medien einen festen Sitzplatz in dem Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer der Terrorzelle NSU bekommen.
Aus drei Körben mit weiteren Unterkörben wurden die gelben, blauen und pinkfarbenen Zettel gezogen. Dabei gab es feste Kontingente für Nachrichtenagenturen, ausländische Medien und inländische Medien. Ein „angemessenes und gerechtes Verfahren“ wie der Präsident des Münchner Oberlandesgerichts, Karl Huber, befand.
Tatsächlich ist im Ergegbnis der zentrale Fehler des verkorksten ersten Zulassungsverfahrens für Journalisten behoben worden: Nun werden auch türkische und griechische Medien einen festen Platz im Gerichtssaal bekommen. Vermutlich wird die Kritik am Münchner Oberlandesgericht trotzdem nicht verstummen. Denn während der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland mit allen maßgeblichen Anstalten im Prozess dabei ist, gingen fast alle überregionalen deutschen Tageszeitungen bei der Verlosung der 50 sicheren Presseplätze leer aus.
Nötig geworden war das Verfahren, weil im ersten Anlauf keinerlei türkische und griechische Medien auf den festen Plätzen gelandet waren - und das, obwohl eines der zehn NSU-Opfer griechische und acht türkische Wurzeln hatten. Außerdem musste das Oberlandesgericht München technische Fehler einräumen: Nicht alle Journalisten waren gleichzeitig informiert worden.
Am Freitag vor zwei Wochen erließ das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung und gab dem Münchner Gericht zwei Möglichkeiten: Mindestens drei zusätzliche Plätze sollten "an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern" vergeben werden. Alternativ könne das Oberlandesgericht die Sitzplatzvergabe an Journalisten aber auch noch mal ganz von vorne beginnen.
Der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenats, Manfred Götzl, entschied sich für letztere Variante, den Neustart. Da dies allerdings nicht innerhalb von zwei Tagen bewerkstelligt werden konnte, musste der Prozessbeginn um knapp drei Wochen auf den 6. Mai verschoben werden.
Ging es beim ersten Anlauf noch allein nach der Geschwindigkeit der Journalisten-Anmeldungen, entschied nun das Los. 927 Journalisten von 324 verschiedenen Medien versuchten sich dabei für den Jahrhundertprozess anzumelden. Herausgekommen ist nun eine Liste mit 50 fest akkreditierten Medien, die noch zu Diskussionen führen wird.
Fast nur kleinere Regionalzeitungen
Wenn am kommenden Montag in München der NSU-Prozess beginnt, werden nun zwar die türkischen Tageszeitungen Hürriyet und Sabah einen garantierten Sitz auf der Pressetribüne haben. Dasselbe gilt für den griechischen Rundfunksender ERT.
Auf die sicheren Plätze für deutsche Tageszeitungen wurden dagegen fast ausschließlich kleinere Regionalzeitungen wie die Allgäuer Zeitung und die Lübecker Nachrichten gelost. Mit dabei sind auch kaum bekannte Medien wie der Onlinedienst hallo-muenchen.de.
Leer aus gingen dagegen große überregionale Blätter wie die FAZ und die Welt. Auch die taz, die im ersten Anlauf noch auf dem ersten Platz der Presseplätze gelandet war, hatte kein Losglück.
Er könne verstehen, wenn nun bei manchen Enttäuschung herrsche, sagte Gerichtspräsident Huber am Montag. Gleichzeitig nahm er jedoch seine Richter in Schutz und verwahrte sich gegen die aus seiner Sicht viel zu harschen „Angriffe“ der vergangenen Wochen. Diese seien „ohne Beispiel“, sagte Huber.
Er hoffe, dass das NSU-Verfahren nun am kommenden Montag nun beginnen könne, „ein Prozess mit großen Herausforderungen und großen Schwierigkeiten“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben