Berliner Szenen: Ausflug
Die XXL-Keule
Am Sonntag fuhr ich zum Baden an den Liepnitzsee. Ein See, der laut Beschreibung nach Jackpot klingt. Naturbelassene, einsame Buchten, glasklares, sauberes Wasser, umgeben von dichten Mischwäldern. Nur war ich bisher noch nie dort gewesen. Zu weit weg, zu schwer zu erreichen. Nun aber!
Auf der langen Fahrt nach Wandlitz dachte ich an die versprochenen paradiesischen Zustände. Einsame Buchten, glasklares Wasser, Wald. Dort angekommen, musste ich all dem zustimmen. Nur nicht der Einsamkeit. Bei dem Traumwetter war jede einsame Bucht besetzt, was zur Folge hatte, dass es eine ganze Stunde dauerte, bis ich ein freies schattiges Plätzchen fand. Auf meiner Suche durch den Wald wurde ich von einer Bremse in den Unterarm gestochen. Eigentlich keine wilde Sache, würde ich auf die Dinger nicht allergisch reagieren. Schon in der Nacht wurde ich halbstündlich von Juckattacken befallen. Und das Resultat am nächsten Morgen war verheerend. Mein Unterarm war zu einer überdimensionalen Hühnerkeule mutiert. Kein Witz – das Emoji der Hühnerkeule glich in der Form exakt meinem Arm. Die Hitze am Tag ließ die Mutation natürlich nicht schwinden. Die Keule wuchs auf XXL-Restaurant-Größe. Also ließ ich am Nachmittag den Stift fallen und setze mich in ein stickiges Wartezimmer. Als der Arzt meinen Arm musterte, musste er lachen. „Der ist ja dicker als Ihr Oberarm!“ Danke. Dann wurde mir ein Antiallergikum verschrieben, das ich sofort einnehmen sollte. Binnen weniger Sekunden wurde ich so müde, dass ich das Gefühl hatte, nicht mehr Frau meines Fahrrades zu sein. Ich stieg ab und ging schlafwandelnd nach Hause ins Bett. Wenn ein Tag am See so bestraft werden muss, mache ich vielleicht das nächste Mal doch einen auf Herr Lehmann und gehe wieder ins Prinzenbad.
Eva Müller-Foell
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