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Ausflug ins Lagerelend

Ein Buch beschreibt die Perspektivlosigkeit der Palästinenser im Libanon. Trotzdem will Bundesinnenminister Kanther dorthin abschieben lassen  ■ Von Thomas Dreger

Etwa zehntausend palästinensische Flüchtlinge will Manfred Kanther am liebsten sofort aus Deutschland in den Libanon abschieben lassen. Ein kleines, kürzlich erschienenes Buch könnte den Bundesinnenminister eines Besseren belehren. Der ehemalige Mitarbeiter der Hilfsorganisation medico international, Ronald Ofteringer, beschreibt, was den Abgeschobenen in ihrer angeblichen Heimat blüht: eine Zukunft in überfüllten Flüchtlingslagern. Verlegt wird das Buch vom Berliner Verlag „Das Arabische Buch“. Dahinter steht das „Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e. V.“ (INAMO) – eine vorwiegend akademische Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, auch Nichtwissenschaftlern die aktuellen Probleme der Region verständlich zu machen. Mit dem Paperback ist ihnen das gelungen.

Verschiedene Autoren beschreiben, wie die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon aus dem Nahost-Friedensprozeß ausgegrenzt werden. Ihre Probleme werden seit dem in Oslo ausgehandelten Autonomieabkommen für die Palästinenser in sogenannten multinationalen Verhandlungen beraten – Gesprächsrunden, die praktisch nicht mehr stattfinden. Der Grund: Die überwiegende Mehrheit der derzeit im Libanon lebenden Palästinenser sind sogenannte 48er Flüchtlinge und deren Nachkommen. Sie stammen aus dem heutigen Israel – aus Tel Aviv, Haifa und Akko. Ihre Rückkehr schließt die israelische Regierung – und mit ihr die Sponsoren des Nahost-Friedensprozesses – rigoros aus. Folglich brauchen sie eine neue Heimat.

Doch im Libanon sind diese Menschen unerwünscht. Von dem libanesischen Minister Nikolas Fattusch stammt der Satz, sein Land sei „keine Halde für Menschenmüll“. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) erklärt sich für ihre im Libanon lebenden Landsleute spätestens nicht mehr zuständig, seit Jassir Arafat seinen Hauptwohnsitz in den Gaza-Streifen verlegt hat. Und selbst das UN-Palästinenserhilfswerk UNWRA behandelt die im Libanon zusammengepferchten Palästinenser als Nebensache. Seit die Organisation als Antwort auf die israelisch-palästinensischen Autonomieabkommen von Wien nach Gaza umzog, ist ihr der dortige Aufbau attraktiver als die Verwaltung des anscheinend unlösbaren Elends im Libanon.

Ofteringers Buch ist ein Ausflug ins Elend. Beschrieben wird die Rechtlosigkeit der Flüchtlinge im Libanon (für die meisten gilt ein weitreichendes Berufsverbot), aber auch die Situation ihrer Landsleute in Jordanien und anderen arabischen Staaten. Fast fünf Millionen Menschen werden von der internationalen Öffentlichkeit ignoriert.

Die libanesische Regierung, die die von ihr beherbergten etwa 500.000 Palästinenser lieber heute als morgen loswerden würde, ist nun geneigt, dennoch ein Rückführungsabkommen mit der Bundesregierung zu schließen (taz 11. 6.). Ihr Motiv sind lukrative Kredite und Aufträge für den Wiederaufbau des kaputtgeschossenen Landes. Einzige Perspektive für die in Kauf genommenen „Heimkehrer“ ist ein Leben in Lagern, wie den vor fast eineinhalb Jahrzehnten durch Massaker der mit Israel verbündeten Milizen berüchtigten Ghettos Sabra und Schatila. Schon damals waren diese Orte Brutstätten unversöhnlicher Ideologen, die Israels Juden am liebsten ins Meer treiben wollten.

Der letzte Teil des Buches umfaßt Statistiken über die Verstreuung palästinensischer Flüchtlinge weltweit, einschlägige UN-Resolutionen und ein Memorandum der palästinensischen Führung an die libanesische Regierung. Material also, das auch auf Rechtsstaatlichkeit bedachten Lesern eine Argumentationsgrundlage liefert. Nur schade, daß Manfred Kanther zu den Unverbesserlichen gehört – und er durch die angekündigten Abschiebungen den Friedensprozeß noch ein Stück mehr sabotiert.

Ronald Ofteringer (Hrsg.): „Palästinensische Flüchtlinge und der Friedensprozeß – Palästinenser im Libanon“. Das Arabische Buch, Berlin 1997, 155 S., 19.80 DM

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