Ausblick auf die Berlinale '09: Kürbis, Möhre, Ingwer
Das Programm der Berlinale steht fest: In diesem Jahr treiben Finanzkrise und Globalisierung Dieter Kosslick um. Filmästhetiker haben es schwer.
Wenn es ums Essen geht, wird Dieter Kosslick leidenschaftlich. Als er gestern bei einer Pressekonferenz im Bundespresseamt in Berlin-Mitte das Programm der kommenden Berlinale präsentierte, schwärmte er am meisten von dem Film "Food, Inc.", einer Dokumentation über Nahrungsmittelproduktion und Agrarindustrie in den USA. Sie stammt von den Regisseuren Robert Kenner und Eric Schlosser, läuft in der Programmsektion "Kulinarisches Kino" und zeigt neben vielem anderem, wie eine genmanipulierte Tomate in Kalifornien angebaut, in Uruguay verpackt und in New York verkauft wird. "Food, Inc.", sagte Kosslick, decke diese "komplexen Zusammenhänge" auf und "nennt die Marken und die Firmen". Das klingt, als hätte der Film alle Zutaten für einen typischen Berlinale-Film: das politisch und lebensweltlich bedeutsame Sujet, den aufklärerischen Gestus und die entscheidende Dosis Empörung. Damit einem bei so viel thematischer Relevanz nicht die Laune vergeht, wird Tim Raue im Anschluss an die Vorführung ein Stew von Kürbispulp, Möhre und Ingwer mit Winterkräutern zubereiten.
Nichts gegen gutes, regional angebautes Essen. Doch wer sich von einem Internationalen Filmfestival der A-Kategorie zuallererst erwartet, es möge Filme zeigen, die als solche überzeugen, wer sich von den Veranstaltern Begeisterung für die Schönheit und Kenntnis der Möglichkeiten des Kinos erhofft, wer mehr will als Filme, die die Missstände der Gegenwart anprangern, der tut sich etwas schwer mit dem, was Kosslick präsentiert. Wenn er gerade keinen Witz macht, spricht der Festivalleiter von Globalisierung und von Finanzkrise und davon, wie die Filme beides reflektieren. Filmspezifische Fragen kommen eher am Rande auf, etwa dann, wenn Rainer Rother, der Kurator der Retrospektive, die sich unter dem Motto "Bigger than Life" dem 70mm-Format widmet, vom Zustand der Kopien spricht und glücklich ist, weil "sieben ganz rare, alte Archivkopien" unter den 22 Lang- und Kurzfilmen sind.
Selbst Christoph Terhechte, als Leiter des Internationalen Forums des Jungen Films für experimentellere Formen und ungewohnte Filmästhetiken zuständig, freut sich zunächst einmal darüber, dass 90 Prozent der Forums-Filme bereits einen Weltvertrieb haben. "Das Forum ist keine Nische für Unverkaufbares, im Gegenteil." Dann führt auch er einen globalisierungsskeptischen Film in seinem Programm an, Hans-Christian Schmids Dokumentation "Die wundersame Welt der Waschkraft". Sie handelt davon, wie Berliner Luxushotels ihre Bettwäsche in Polen waschen lassen. Die Protagonistinnen des Films, die polnischen Wäscherinnen, dürfen zur Premiere anreisen und ausnahmsweise in den Hotels übernachten, für die sie normalerweise arbeiten.
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