Ausbildungsmarkt: Wie viele Azubis doch gleich?
Der Ausbildungsmarkt ist stabil, sagt die Regierung. Sozialverbände aber warnen: Die Zahlen sind geschönt. Es kommt offensichtlich auf die Methode der statistischen Erfassung an.
BERLIN taz | Zum Beginn des Ausbildungsjahrs am 1. September ziehen die Bundesregierung und die Bundesagentur für Arbeit (BA) eine erste Bilanz über Ausbildungsmarkt und die Lage der Bewerber. Wer eindeutige Zahlen und Prognosen erwartet, stellt verwundert fest, dass unterschiedliche Angaben kursieren. Es kommt offensichtlich ganz auf die Methode der statistischen Erfassung an.
Am Dienstag vermeldete die BA in Nürnberg, aktuell fehlten noch 99.100 Lehrstellen. Unternehmen und Verwaltung hatten zwischen Oktober 2008 und August 2009 der BA insgesamt 436.200 Ausbildungsplätze gemeldet, ausbildungswillige Bewerber registrierte die BA 515.000. Das sind 85.200 oder 14 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum, die Anzahl der gemeldeten Ausbildungsplätze sank hingegen nur um 7 Prozent.
So weit, so gut, möchte man meinen: Der demografische Faktor - seit drei Jahren sinken bundesweit die Schulabgängerzahlen, weil die geburtenschwachen Jahrgänge in die Abschlussklassen rücken - scheint seinen Teil dazu beizutragen, dass die Einbrüche der Wirtschaftskrise auf dem Ausbildungsmarkt bisher nicht ganz so heftig zu Buche schlagen. Prompt zog auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) ein beruhigendes Fazit: Der Ausbildungsmarkt sei stabil.
Sieben große Sozialverbände, zusammengeschlossen im Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit, sehen das ganz anders. Sie warfen der Bundesregierung am Mittwoch vor, die Lage am Ausbildungsmarkt "zu verschleiern". Mindestens 780.000 "ausbildungsreife" Jugendliche würden in diesem Jahr einen Ausbildungsplatz suchen. Der Kooperationsverbund bezieht sich unter anderem auf aktuelle Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Demnach würden in diesem Jahr rund 348.000 und nicht "nur" knapp 100.000 Lehrstellen fehlen.
"Die Messung der Nachfrage wird traditionell zu niedrig angelegt, die Bilanzierung ist sehr reformbedürftig", kritisiert Joachim Gerd Ulrich, Berufsbildungsexperte des BIBB, die offizielle Statistik. Der Grund: Nur der Schulabgänger, der am 30. 9. - dem Tag, an dem die BA ihre endgültige Bilanz vorlegt - komplett auf der Straße steht, geht als "unversorgt" in die Ausbildungsplatzstatistik ein. Das ist aber nur eine Minderheit. Die Mehrzahl der Ausbildungswilligen landet jedes Jahr, wenn zum 1. September kein Ausbildungsplatz zur Hand ist, im sogenannten Übergangssystem, zum Beispiel in einjährigen Berufsfachschulen. Einmal in solch einem kurzfristigen Bildungsangebot "geparkt" - Kritiker sprechen von einer Warteschleife - zählen solche Jugendlichen nicht mehr als ausbildungsuchend. Einen Ausbildungsplatz haben sie trotzdem nicht. Und so drängt jedes Jahr eine beachtliche Zahl von Altbewerbern auf den Ausbildungsmarkt, 2007 waren es laut BA 320.000 Personen.
Im Bildungsministerium sieht man darin kein Problem: "Das ist nichts Neues", so ein Sprecher. Man betont dort lieber, der demografische Faktor lasse die Zahlen sogar noch besser aussehen als im Vorjahr. Ulrich empfiehlt hingegen, die statistische Erfassung zu ändern. Erst dann würde das Ausmaß der Probleme sichtbar - etwa, dass immer Hauptschulabgänger keinen Ausbildungsplatz finden und in die Warteschleife rutschen.
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