Ausbildung: Leerstellen bei den Lehrstellen
Ein Drittel der Jugendlichen findet bislang keinen Ausbildungsplatz. Die Wirtschaft will dafür nicht verantwortlich sein. Sie moniert die fehlende Qualifikation der Bewerber.
Die Situation ist paradox: 6.966 Berliner Jugendliche stehen einen Monat vor dem Beginn des Ausbildungsjahrs am 1. September ohne Lehrstelle da. Zeitgleich suchen laut Agentur für Arbeit 4.760 Betriebe noch Auszubildende. Doch so richtig kommen Jugendliche und Ausbildungsplätze nicht zusammen - auch dieses Jahr werden viele Schulabgänger leer ausgehen. Arbeitssenatorin Carola Bluhm (Linke) fordert daher die Unternehmen zur Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen auf.
Schon im vergangenen Jahr blieben 1.500 junge Menschen ohne einen Ausbildungsplatz zurück. Dieses Jahr sind bislang mehr als ein Drittel der rund 18.000 suchenden Jugendlichen ohne Ausbildungsstelle. Zwar sei die Zahl der Lehrstellen im Vergleich zum Vorjahr um 8 Prozent gestiegen, das werde jedoch von den um 10 Prozent höheren Bewerberzahlen ausgeglichen, sagte Erik Benkendorf, Sprecher der Regionaldirektion der Arbeitsagentur. "Die Unternehmen müssen sich anstrengen und ihrer ureigenen Aufgabe nachkommen", sagte Bluhm. Nur so sei auch dem durch die Betriebe beklagten Fachkräftemangel beizukommen. Bis Juni seien 10.775 Lehrstellen durch die Wirtschaft geschaffen worden, 15.000 seien vereinbart gewesen, kritisierte auch Bluhms Sprecherin Anja Wollny.
Grund für die frei bleibenden Lehrstellen sei aus Sicht der Unternehmen die unzureichende Qualifikation vieler Berliner SchulabgängerInnen, erklärt Wolfgang Rink, Sprecher der Berliner Handwerkskammer. "Man muss den jungen Leuten erst mal klarmachen, dass sie nicht Popstar oder Rennfahrer werden können", bemängelte er. Dass die Anforderungen an Auszubildende gestiegen seien und viele diese nicht erfüllen könnten, sagt auch Heiko Pohlmann vom Landesverband der LehrerInnen an beruflichen Schulen (BLBS). Er fordert die verstärkte Schaffung von Berufsfachschulen durch den Senat, um "unterqualifizierte Jugendliche" besser ausbilden zu können. Die Berliner Handwerkskammer wirbt derweil speziell bei Abiturienten für ihre Ausbildungsberufe. Hier sei der Anteil seit 2007 von 12,3 auf 14,9 Prozent in den betrieblichen Ausbildungen gestiegen. Auch Bernhard Schodrowski, Sprecher der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK), bekräftigt die Notwendigkeit, Jugendliche für betriebliche Ausbildungsplätze fit zu machen: "Wir können keinen verloren geben."
Dagegen meint Dieter Pienkny, Sprecher des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), dass die Betriebe in ihrer Verantwortung versagt hätten: "Das ist schon die letzten Jahre immer das selbe Schwarze-Peter-Spiel gewesen." Die bestehende Lücke zwischen Ausbildungsplätzen und Bewerberzahlen würde sich bis zum 1. September nicht schließen lassen, wenn die Betriebe nur auf die Zeugnisnoten der Bewerber schauen würden. "Die Betriebe haben nun mal das Privileg auszubilden. Dann sollen sie dem auch nachkommen und nicht den Jugendlichen ihre Zukunft verbauen."
Auch die seit Mai dieses Jahres bestehende Freizügigkeitsregelung der EU habe nichts an der Situation geändert, heißt es aus den Brandenburger Verbänden der Handwerkskammer. Beispielsweise wurden in der Region Frankfurt (Oder) lediglich neun Ausbildungsverträge mit polnischen Staatsbürgern unterschrieben, 90 hatten sich beworben. Die meisten wurden wegen unzureichender Sprachkenntnisse oder zu schlechter Abschlussnoten abgelehnt. "Unsere Betriebe brauchen hochqualifizierte Mitarbeiter, keine Hilfsarbeiter", sagte dazu Wolfgang Zithier, Geschäftsführer der Handwerkskammer Frankfurt (Oder).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja