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Ausbeutung hinter Gittern

Schreinern, Sortieren, Schweißen. Für Arbeit im Gefängnis soll es ab Juli mehr Lohn geben, das haben Gefangene erkämpft – und sind unzufrieden

Kapitalismus braucht Knäste: hier die Justizvollzugsanstalt Werl in Nordrhein-Westfalen von außen Foto: Robert Poorten/imago

Von Johanna Treblin

Wenn ein Lkw auf den Hof gefahren kommt, stehen die Männer bereit. Die Sattelschlepper haben tonnenweise Kabel geladen, teils ordentlich aufgerollt und gut erhalten, teils wirr durcheinander geworfen, abgerissen, dreckig, verbogen, verschlissen. Die Lkw laden die Kabel im Hof ab, die Männer trennen die guten von den schlechten. Die schlechten werden in handgerechte Stücke von ungefähr eineinhalb Metern Länge geschnitten und auf einen Gitterwagen geworfen. Die bekommt Klaus Waschinewski.

Er nimmt ein Kabel in die Hand und schlägt ein Ende mit Wucht auf die Erde. Dann knallt es einmal richtig. Das Kabel bricht auf. Nun kann er es auseinandernehmen, Stahl und Aluminium trennen, den Stahl klein schneiden. Dafür nutzt er eine Maschine, „meine Maschine“, sagt er, „so groß wie eine Musiktruhe in der Kneipe ungefähr“. Das Aluminium biegt er auf einen halben Meter zusammen und stapelt die Teile aufeinander, anschließend kommen sie in eine Presse. Dann kommen andere Lkw und holen die Wertstoffe ab. Der Kreislauf kann wieder beginnen.

Waschinewski ist in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl in Nordrhein-Westfalen untergebracht. Auf dem Kabelhof hat der heute 66-Jährige rund 15 Jahre verbracht, immer während seiner Gefängnisstrafen, die erste war in den 80er Jahren, erzählt er am Telefon.

Manchmal hatte er im Gefängnis andere Jobs, bis wieder ein Platz im Kabelhof frei war, es gibt eine Warteliste. Waschinewski hat auch schon Karton gefaltet, „aber das war katastrophal“. Die Arbeit auf dem Kabelhof sei genau das Richtige für ihn. „Ich bin ein Typ, der viel Bewegung braucht.“

Für die „Knochenarbeit“, wie er sie nennt, bekommt er zu diesem Zeitpunkt noch 28,76 Euro pro Tag, ohne Zulagen. Das ist mehr als andere, die den gleichen Job machen, weil Waschinewski in der Sicherungsverwahrung untergebracht ist, in die Menschen nach dem Absitzen ihrer Strafe kommen, wenn ein Gericht davon ausgeht, dass weiterhin eine Gefahr von ihnen ausgeht. Da die Untergebrachten nicht mehr strafgefangen sind, müssen ihre Haftbedingungen besser sein als die der regulär Gefangenen. Die bekommen für die gleiche Arbeit in Nordrhein-Westfalen zu dem Zeitpunkt nur 14,67 Euro pro Tag. Ein Bruchteil vom Mindestlohn ist es für beide Gruppen. Dieser liegt aktuell bei 12,82 Euro brutto pro Stunde.

Ungerecht, fand Waschinewski das bereits vor zehn Jahren und klagte dagegen. Der Fall lief durch mehrere Instanzen, und Jahre später, im Juni 2023, entschied schließlich das Bundesverfassungsgericht, dass die Gefangenenvergütung in Nordrhein-Westfalen reformiert werden muss.

Auch in Bayern hat ein Gefangener geklagt, Peter Roth. Auch er bekam Recht, auch Bayern musste sein Gesetz überarbeiten. Ab diesem Monat bekommen Gefangene und Untergebrachte in den beiden Bundesländern nun mehr Geld. Die anderen Bundesländer ziehen mit, die meisten aber erst 2026. Lediglich Hamburg zahlt Gefangenen auch schon seit Juli mehr Geld. Sachsen-Anhalt hat seinen Gesetzentwurf bereits veröffentlicht, die anderen sind noch unter Verschluss.

Waschinewski verdient nach der neuen Regelung pro Tag nun 39,55 Euro, das sind 37 Prozent mehr als vorher. Strafgefangenen bringt die Anhebung etwa 70 Prozent zusätzlich.

Immer noch zu wenig, findet Waschinewski. Außerdem gehe die Umsetzung am Kern des Urteils vorbei: Oberstes Ziel sowohl des Strafvollzugs als auch der Sicherungsverwahrung ist die Resozialisierung: Gefangene sollen dazu befähigt werden, sich nach Entlassung in die Gesellschaft zu integrieren und ein straffreies Leben zu führen. Das soll auch durch Arbeit erreicht werden, bei der die Gefangenen eigenes Geld verdienen und Wertschätzung erfahren. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesländer aufgefordert, Arbeit in Haft als Maßnahme der Resozialisierung zu stärken.

Im Gefängnis ist Arbeit Pflicht. Das Grundgesetz erlaubt Zwangsarbeit für Gefangene. Nur vier Bundesländer – Sachsen, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und das Saarland – stellen es Gefangenen frei, ob sie arbeiten oder nicht. Insgesamt gibt es rund 60.000 Gefangene in Deutschland. Ihre Beschäftigtenquote liegt je nach Bundesland bei 50 bis 65 Prozent.

Die Jobs sind vielfältig: Die Insassen waschen, putzen und schrubben die Böden. Oder sie arbeiten in einem gefängniseigenen Betrieb: Schreinerei, Schlosserei, Polsterei. Auch externe Unternehmen lassen im Gefängnis produzieren. Auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalten stehen große Fabrikhallen, die Häftlinge müssen nur wenige Schritte gehen. Die meisten Aufgaben sind einfach – Kugelschreiber zusammenschrauben, Kartons falten, Schrauben sortieren. Viele Jobs sind körperlich anstrengend, zum Beispiel lange, schwere Seekabel oder Oberleitungen auseinandernehmen, um sie zu recyclen, wie das Waschinewski macht. Technisch herausfordernder sind Jobs, bei denen Einzelteile für Maschinen hergestellt werden. Da heißt es Fräsen oder Schweißen – Präzisionsarbeit. Dafür gibt es etwas mehr Geld. Doch auch das nur im Centbereich. Seltener sind Jobs in den Bereichen Medien oder Kultur, etwa Bibliotheksaufsicht, oder die Redaktion einer Gefangenenzeitung.

Der Durchschnittsstundenlohn lag in Nordrhein-Westfalen bisher bei 1,83 Euro. In Bayern waren es 1,78 Euro. Die bestbezahlten Jobs, beispielsweise in der Schreinerei, brachten in Bayern 2,22 Euro pro Stunde ein. Die Sätze waren in den Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer festgeschrieben. Sie waren auf 9 Prozent des Durchschnittslohns aller Rentenversicherten in Deutschland festgelegt. Künftig sollen sie in allen Bundesländern auf 15 Prozent des Durchschnittswertes erhöht werden. Diese 9 beziehungsweise 15 Prozent werden Eckvergütung genannt.

Tariflohn, Mindestlohn, Branchenmindestlohn – das alles gilt für Gefangene nicht. Arbeit in Haft wird nicht als Arbeit im klassischen Sinne anerkannt. Regelmäßig führen Politik und Gericht an, Arbeit sei ein Mittel der Resozialisierung. Gesetzlich festgeschrieben ist das aber nirgends; geregelt ist nur die Höhe der Vergütung.

Bis 2001 betrug der Haftlohn sogar nur 5 Prozent des allgemeinen Durchschnittslohns. Auch die damalige Erhöhung ging auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurück, auf ein Urteil von 1998. Damals erklärte das Gericht, dass sich aus dem Grundgesetz ein „Resozialisierungsgebot“ ergebe. Strafgefangene haben den Anspruch, auf ein straffreies Leben vorbereitet zu werden. Waschinewski und Roth fanden, dass auch 9 Prozent vom Durchschnittslohn gegen dieses Resozialisierungsgebot verstießen.

Dem stimmte das Bundesverfassungsgericht 2023 zu. Es forderte nicht explizit, die Vergütung zu erhöhen, sondern verpflichtete die Länder, die Bedeutung der Arbeit festzulegen. Wenn die Arbeit hinter Gittern eine wichtige Rolle bei der Resozialisierung spielen soll, dann müsse geleistete Arbeit auch „angemessene Anerkennung“ finden. Der Gefangene müsse „den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortetes und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils“ sehen.

Arbeitspflicht für Gefangene

Das Grundgesetz erlaubt Zwangsarbeit in Gefängnissen in Artikel 12: „Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“ Rheinland-Pfalz schaffte die Arbeitspflicht aber bereits 2013 ab. Auch im Saarland, in Sachsen und Brandenburg müssen Gefangene nicht mehr zwingend einer Beschäftigung nachgehen.

Die Arbeitspflicht Nachdem Rheinland-Pfalz die Pflicht zur Arbeit für Gefangene abgeschafft hatte, veränderte sich die Zahl der Beschäftigten dort kaum. Meist wollten mehr Häftlinge arbeiten als es Jobs gibt: „um Langeweile zu bekämpfen, aus dem Haftraum herauszukommen und Geld für den Einkauf zur Verfügung zu haben“, so das dortige Justizministerium.

Kann man das bei einem Stundenlohn von 1,83 Euro? Kann man das bei einem Stundenlohn von nun 3,14 Euro besser?

Ein künftiges straffreies Leben „nach Entlassung“ aus dem Gefängnis – wie soll das gehen, wenn man Schulden hat, die teils in die Zehntausende gehen? Wie mit solchen Schulden eine Wohnung finden? Wie bekommt jemand einen Job, der nicht einmal eine Wohnanschrift hat? Wie soll man seinen Lebensunterhalt bestreiten, wenn man über Jahre, möglicherweise Jahrzehnte, im Gefängnis einer 40-Stunden-Arbeitswoche nachgegangen ist, aber in der Zeit weder die Gerichtskosten noch etwaige Entschädigungszahlungen abbezahlen konnte?

Peter Roth kam mit knapp 100.000 D-Mark Miese in den Knast. 1997 wurde er nach einem Gewaltverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt seitdem in der JVA Straubing. „Ich habe das mal überschlagen: Ich müsste 50 Jahre arbeiten, um mit dem Gefängnislohn diese Schulden bewältigen zu können“, sagt Roth, heute 64 Jahre alt, der taz bei einem Besuch in Straubing im April 2023.

Roth hatte schon viele Jobs: Als erstes stellte er im Auftrag der Firma MTU Teile her, die für Turbinen gebraucht werden. „Selbst mit Gehörschutz war das schwer auszuhalten“, erzählte Roth bei einem Besuch der taz vor zwei Jahren in der JVA Straubing. Er wechselte den Job, wurde Redakteur einer Schachzeitung, später fräste er für den gefängniseigenen Betrieb Holz für Tische, Stühle und Schränke, weitere Jobs folgten.

Als das Bundesverfassungsgericht acht Jahre nach seiner Erstklage entschied, dass die Vergütungsregeln in Bayern nicht grundgesetzkonform sind, freute er sich natürlich. Aber was Bayern zwei Jahre später aus dem Urteil gemacht hat, entspricht aus seiner Sicht nicht dem Gedanken, den die Rechtsprechung im Sinn hatte: „Von 9 auf 15 Prozent – das ist lächerlich“, sagt er der taz bei einem Telefonat Mitte Juni 2025. „Nur 100 Prozent dienen der Resozialisierung.“ Das hält sogar er für utopisch. Deshalb fordert er zumindest 40 Prozent des Mindestlohns.

Die Zahl hat er sich nicht selbst ausgedacht. 1977 hatte der Bund, der, nicht wie heute die Bundesländer, für die Justiz zuständig war, erstmals überhaupt eine Lohnhöhe für Gefangene festgelegt: 5 Prozent des Durchschnittslohns. Der Gesetzgeber wollte, so der Plan, den Satz stufenweise auf 40 Prozent erhöhen, das wurde jedoch nie umgesetzt. Roth findet: Das sollen die Länder endlich nachholen. Und dann sagt er doch noch: „Tief in meinem Innersten geht es mir aber um 100 Prozent.“

Roth weist außerdem darauf hin, dass die neue Regelung einige Fallstricke bereithält, aufgrund derer nicht alle gleich von der Lohnerhöhung profitierten. Unter anderem werden die bisher gültigen fünf Vergütungsstufen – ähnlich den Lohnstufen im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes – auf sieben gestreckt. Gleichzeitig gibt es für Lohnstufe I künftig anteilig weniger Geld; dafür auf Lohnstufe VII allerdings mehr als jetzt.

„Ziel der Arbeit in Haft ist doch zu vermitteln, dass sich ehrliche Arbeit auszahlt. Aber mit dem Lohn, den man jetzt bekommt, zahlt sich ehrliche Arbeit einfach nicht aus“

Manuel Matzke, Gefangenen-Gewerkschaft GG/BO

Ein weiterer Fallstrick: Gefangene, die nicht arbeiten, erhalten stattdessen ein „Taschengeld“, das sich an der Eckvergütung orientiert. Dieses Taschengeld soll nach dem neuen Gesetz nicht steigen. Warum nicht? Das Bundesverfassungsgericht habe sich nur mit Arbeitsentgelt befasst, das Urteil gelte daher nur für die Vergütungssätze.

Roth ist damit nicht einverstanden. „In der JVA Straubing gibt es 800 Gefangene, aber nur 500 Arbeitsplätze.“ 300 Gefangene können – trotz Arbeitspflicht – also gar nicht arbeiten, selbst, wenn sie wollten. Sie bekommen den Taschengeldsatz, profitieren aber nicht von der durch Roth herbeigeführten Neuregelung. Der kommentiert: „Alles was kürzbar und verschlechterbar ist, wird gekürzt und verschlechtert.“

Auch andere Gefängnisinsassen mit denen die taz gesprochen hat, sind unzufrieden – sowohl mit der jetzigen als auch der künftigen Regelung. „Wir werden ausgebeutet“, sagt einer. Eine andere sagt, auch mit der geplanten Erhöhung werde das Vollzugsziel der Resozialisierung verfehlt. Sie fürchtet außerdem, dass andere Kosten steigen werden, die das Lohnplus wieder auffressen.

Einer, der sich schon lange mit dem Thema beschäftigt, ist Manuel Matzke. Er ist Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO, die seit 2014 die Rechte von Gefangenen vertritt. Ihre Mitglieder sitzen in Gefängnissen in ganz Deutschland. Trotz der Missstände fallen klassische Gewerkschaften nicht mit großangelegten Arbeitskämpfen in Gefängnissen auf. Matzke saß selbst einmal im Gefängnis, er kennt das Leben in Haft. Zur Erhöhung der Eckvergütung von 9 auf 15 Prozent sagt er: „Das ist einfach zu wenig.“ Im Telefonat Mitte Juni mit der taz benutzt er später noch andere Formulierungen, spricht von einer „Farce“, einem „Witz“. „In Summe bekommt man etwa 8 Euro mehr pro Monat.“ Schulden und Opferentschädigungen seien damit immer noch schwer abzubezahlen. „Das versetzt dich nicht in die Lage, für dich einzustehen.“

Zudem sei das Leben in Haft nicht günstig. „Telefonieren willst du ja auch mal.“ Auch das, den Kontakt mit Familie und Freunden außerhalb der Mauern halten, dient der Resozialisierung, und selbst dafür müssen Insassen selbst aufkommen. Und das kostet im Gefängnis nicht 5,99 Euro, was man draußen aktuell für eine Handy-Flat zahlt. Auf Gefängnisse spezialisierte Telefonanbieter rechnen noch Minutenpreisen ab, die je nach Bundesland, Anstalt und Orts- oder Ferngespräch oder Anruf auf ein Handy bei 23 oder sogar 48 Cent liegen.

„Ziel der Arbeit in Haft ist doch zu vermitteln, dass sich ehrliche Arbeit auszahlt. Aber mit dem Lohn, den man jetzt bekommt, zahlt sich ehrliche Arbeit einfach nicht aus. Das ist Ausbeutung. Und die paar Euro mehr im Monat ändern daran auch nichts“, sagt Matzke.

Viele Gefangene wollen arbeiten, doch es gibt nicht für alle genug Ausbeutungsplätze: hier eine Knast-Fabrik in Essen Foto: imago

Viele Fremdfirmen, die in Knästen arbeiten lassen, müssten außerhalb des Gefängnisses den Mindestlohn an die Beschäftigten zahlen. Die Tatsache, dass die Firmen, teils seit Jahrzehnten, Produktion in Haftanstalten auslagerten, sieht Matzke als Beleg dafür, dass dort gute, produktive Arbeit geleistet werde. Auch deshalb wäre der Mindestlohn also angemessen.

Matzke hat aber noch andere Probleme mit der politischen Umsetzung des Gerichtsurteils. Da die Arbeit in Haft nicht als sozialversicherungspflichtig anerkannt wird, zahlen die Beschäftigten weder in die Kranken- noch in die Rentenversicherung ein. Das hätten – dem Ressozialisierungsgedanken folgend – die Bundesländer spätestens mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2023 ändern müssen, findet er. „Rente ist das A und O – gerade für Menschen, die viele Jahre im Gefängnis gearbeitet haben, ohne dass es ihnen angerechnet wird. Sie trifft Altersarmut besonders hart.“

Ein weiterer Grund, warum Gefangenenarbeit nicht rentenversichert ist, ist der Föderalismus: Weil Justiz inzwischen Ländersache ist, die Rentenversicherung aber eine Einrichtung des Bundes. Die Länder wollen, dass der Bund zahlt, der Bund, dass die Länder zahlen. Tatsächlich hatte der Bundestag, als er 1976 das Strafvollzugsgesetz verabschiedete, beschlossen, dass die Einbeziehung von Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung gesetzlich geregelt werden soll. Ein solches Gesetz wurde jedoch bis heute nicht verabschiedet.

Der Bund befürwortet sogar die Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung, wie die damals noch rot-grün-gelbe Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken vom Mai 2024 erklärte. Aber: „Für die Bundesregierung kommt eine Tragung der Kosten nicht in Betracht.“ Selbst ein „gemeinsames Finanzierungsmodell mit den Ländern“ sie in ihrer Antwort aus. Warum? Weil Justiz Ländersache sei.

Auch die Länder sähen Gefangene gerne in der gesetzlichen Rentenversicherung, wie eine Umfrage der taz bei den Justizministerien ergeben hat, verweisen aber auf die hohen Kosten, die sie ohne den Bund nicht bewältigen könnten. Ein Sprecher aus Nordrhein-Westfalen ergänzt: Müssten die Länder Gefangenen im Alter eine Rente zahlen, würden sich diese Mehrausgaben für den Landeshaushalt „weder während der Inhaftierung noch perspektivisch nach der Entlassung substantiell in für die einzelnen Gefangenen spürbaren Vorteilen widerspiegeln“. Wie sein Ministerium zu dieser Einschätzung kommt, lässt er offen.

Das Grundgesetz erlaubt Zwangsarbeit für Gefangene

Bayern verweist lediglich darauf, der Bund solle zahlen, wolle aber nicht, obwohl er dadurch an anderer Stelle sparen könne: zum Beispiel bei der Sozialhilfe.

Ein Sprecher des Justizministeriums in Sachsen erklärt: „Die Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung ist sinnvoll, um eine spätere Bedürftigkeit der betroffenen Personen zu minimieren und so mittelbar zu einem straffreien Leben beizutragen.“

Ob sich Klaus Waschinewski gegen die Reform wehren und noch einmal vors Gericht ziehen wird? Beim Telefonat Mitte Juni sagt er: „Das weiß ich noch nicht. Schließlich kosten solche Verfahren Geld, Kraft und Ausdauer.“

Am 30. Juni, einen Tag, bevor die neue Regelung in Kraft tritt, meldet er sich noch einmal: Die neue Lohnhöhe sei ihm nun offiziell mitgeteilt worden. „Ich habe gegen die neue Regelung ein Beschwerdeverfahren eingeleitet“, erklärt er. Seine Beschwerde an die JVA Werl liegt der taz vor. Darin rechnet er vor, dass er künftig unterm Strich sogar weniger verdient als bisher: Pro Monat verliere er 130 Euro. Denn Gefangene können für ihre Arbeit bestimmte Zulagen bekommen – die fallen nach dem neuen Gesetz allerdings wesentlich niedriger aus. Während es bisher „für Arbeiten unter arbeitserschwerenden Umgebungseinflüssen“ 5 Prozent Zulage gab – die bekam Waschinewski bisher – sind es künftig nur noch 3 Prozent. Zudem gab es Zulagen für besondere Leistungen, eine Art Bonus für gute Arbeit, von bis zu 30 Prozent – Waschinewski bekam 15 Prozent. Die fallen künftig komplett weg. Insgesamt hatte Waschinewski also Zulagen von 20 Prozent – ab Juli nur noch 3 Prozent. „Das ist eine Schweinerei!“

Gefangene versuchen, an ihren Löhnen zu schrauben: hier eine Knast-Fabrik in Essen Foto: Studnar/Funke/imago

Auch in Bayern sinken die Zulagen. Peter Roth betrifft das als Taschengeldbezieher nicht. Ob er gegen die Neuregelung rechtlich vorgehen will, zum Beispiel mit einer Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof? „Ich bin so müde“, antwortet er, noch unentschieden. Er habe schon so viele Gerichtsverfahren geführt, einige liefen auch noch.

Manuel Matzke setzt einerseits auf das Bundesverfassungsgericht selbst. Dessen Aufgabe sei sowieso, zu prüfen, ob die Gesetzesreformen seinem Urteil entsprechen. Andererseits werde die GG/BO auch selbst Experteneinschätzungen einholen, ob die neuen Regelungen dem Resozialisierungsgebot entsprechen. „Wenn nicht, werden wir das in einem gerichtlichen Verfahren prüfen lassen.“

Klaus Waschinewski ist mit seinen 66 Jahren schon fast im Rentenalter – und macht sich bereits Gedanken über das Ende des Lebens. Mit dem Geld, das man im Gefängnis verdiene, könne man sich keine Sterbegeldversicherung leisten, kritisiert er im Gespräch mit der taz. „Menschen, die im Vollzug sterben, werden unwürdig bestattet.“

Noch aber arbeitet Waschinewski weiter auf dem Kabelhof. Bei Regen, Kälte und auch bei über 30 Grad. „Wer nicht mehr kann, soll sich hinsetzen, in den Schatten gehen. Da achten wir untereinander drauf.“ Im Winter würden sie auch mal bei Minus zehn Grad rausgehen. „Da waren die Hände so kalt gefroren, da habe ich vormittags erst mal meine Arme ein paar Runden geschleudert, damit die Hände wieder warm wurden. Sonst hätte ich kaum zupacken können.“

Die Kabel riechen nach Teer, nach Chemie. Und dann ist da noch der ganze Dreck. Oberlandleitungen sind jahrzehntelang Wind und Wetter ausgesetzt. Über die Jahre sammelt sich Dreck auf ihnen, die Sonne brennt ihn fest. Wenn Waschinewski die Kabel auf die Erde schlägt oder mit dem Hammer drauf haut, löst sich der Dreck und wirbelt staubig durch die Luft. „Ich freue mich immer, wenn es regnet“, sagt Waschinewski. Denn dann sinkt der Staub zu Boden und die Luft wird klar.

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