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Ausbeutung bei der Deutschen PostDer Weihnachtsmann hat ausgedient

Für das Weihnachtsgeschäft wirbt DHL ausländische Arbeitskräfte an und serviert sie danach wieder ab. Von falschen Versprechen, Druck und Kakerlaken.

Der Stress für Zu­stel­le­r*in­nen in der Vorweihnachtszeit ist immens Foto: Jonas Walzberg/dpa

Hamburg taz | „Fairness. Sicherheit. Verbindlichkeit.“ – Mit diesem Slogan wirbt die Firma ESG Solutions Arbeitskräfte für die Deutsche Post DHL Group an – besonders vor dem Weihnachtsgeschäft. Doch Fairness, Sicherheit und Verbindlichkeit sind genau das Gegenteil von dem, was die Saisonarbeitskräfte bei DHL erfahren – so legen es Berichte der Ar­bei­te­r*in­nen gegenüber der taz da.

„Sie behandeln uns, als wären wir dumm oder würden kein Recht und Gesetz kennen“, sagt Ana Da Cruz, eine ehemalige DHL-Mitarbeiterin aus Brasilien, die zuletzt in Portugal gelebt hatte. Über eine portugiesische Website für Jobinserate war sie auf die Anzeige von ESG gestoßen, die für einen Job als Paketbotin in Hamburg warb. Da Cruz bewarb sich und wurde genommen, sie brachte sogar noch fünf Bekannte aus Portugal mit.

Am 2. Juli begannen sie den Vollzeitjob, unbefristet, mit einer Probezeit von sechs Monaten. Man habe ihr in Aussicht gestellt, dass sie langfristig dort arbeiten könne, wenn sie gute Arbeit leisten würde, sagt Da Cruz. Auch könnte sie verantwortungsvollere Aufgaben übernehmen und einen Deutschkurs an der posteigenen Akademie machen, sei ihr gesagt worden.

Nichts davon wurde eingelöst – stattdessen habe die Firma extremen Druck auf die Arbeitskräfte ausgeübt. „Wenn man nicht völlig außer Gefecht gesetzt ist, soll man auch mit einer Verletzung oder Krankheit arbeiten“, sagt Da Cruz. Eine portugiesische Kollegin etwa sei bei der Arbeit von einem Hund gebissen worden. Als sie am nächsten Tag zu ihrer Vorgesetzten gegangen sei um den Vorfall zu berichten und sich krank zu melden, habe man ihr gesagt „Kannst du laufen? Dann kannst du auch arbeiten!“

Zweieinhalbmal so viele Pakete wie normal

Vor allem kurz vor Weihnachten ist die Arbeitsbelastung für Pa­ket­zu­stel­le­r*in­nen extrem. Die tägliche Paketanzahl steige um das Zweieinhalbfache, berichtet der Hamburger Betriebsratsvorsitzende der Deutschen Post, Ingo Freund. Festangestellte verzichteten in der Zeit auf freie Tage und leisteten viele Überstunden. Weil man den Kol­le­g*in­nen aber keine unendliche Mehrbelastung zumuten könne, setze die Post eben auf die Sai­son­ar­bei­te­r*in­nen, die durch Agenturen aus dem Ausland geholt würden. „Da mag nicht immer alles so laufen, wie man es sich vorstellt“, sagt Freund. Auch in normalen Zeiten sei der Job ein hartes Geschäft.

Während ihres Arbeitsverhältnisses sind die ausländischen Arbeitskräfte über DHL gesetzlich krankenversichert – haben aber laut Berichten keinen Zugriff auf entsprechende Nachweise der Krankenkasse. DHL bestreitet das auf Nachfrage. „Informationen zur Krankenversicherung sind jederzeit einsehbar“, schreibt DHL-Sprecher Tobias Buchwald der taz. „Auch in Zeiten mit besonders hohem Sendungsaufkommen stehen die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Kolleginnen und Kollegen an erster Stelle.“

Das Gefühl hatte Ana Da Cruz nicht: Kurz vor dem regulären Ende ihres Arbeitsverhältnisses habe sie einen Anruf von ihrem Vorgesetzten erhalten. „Wir würden dich gern behalten, du machst gute Arbeit“, habe man ihr gesagt –, „aber leider warst du zwei Mal krank.“ Ob das Arbeitsverhältnis nun verlängert werden würde oder nicht, sei dabei nicht klar geworden, sagt Da Cruz. „Ich hatte das Gefühl, sie wollten nur Druck aufbauen, damit ich mich nicht noch mal krank melde“, sagt Da Cruz.

Drei Tage vor Weihnachten seien sie und zwei andere Kol­le­g*in­nen erneut von den Vorgesetzten kontaktiert worden – sie müssten sich zum ersten Januar eine neue Unterkunft suchen, oder ab sofort den doppelten Preis für das ­Hostel bezahlen. Die DHL Group hat eine Kooperation mit einem Hostel in Hamburg-Billstedt, an der bezeichnenden Adresse „Letzter Heller 11“. Der Betriebsratsvorsitzende Ingo Freund bestätigt, dass von dort viele Beschwerden über die Unterkunft kämen.

Wanzen, Schaben und Wasser im Keller

Der taz liegen Berichte und Videos einer anderen DHL-Saisonarbeiterin vor, die Bettwanzen und einen überschwemmten Wäschekeller zeigen, außerdem Küchenschaben und einen extrem dreckigen Kühlschrank. Eine Nacht habe sie aus Ekel vor den Bettwanzen im Badezimmer geschlafen, berichtet eine Kollegin.

DHL subventioniert die Unterkunft für die dort untergebrachten Sai­son­ar­bei­te­r*in­nen. Während der normale Preis 705 Euro pro Monat für ein Bett im Dreibettzimmer beträgt, zahlen die DHL-Arbeiter*innen lediglich 350 Euro – zumindest einige, darunter auch Ana Da Cruz. Dass die Subvention kurz vor Weihnachten plötzlich enden sollte, während noch nicht klar war, ob der Vertrag verlängert werden würde, habe sie massiv unter Druck gesetzt, sagt die Brasilianerin. Sie habe nicht nur Angst vor dem Jobverlust, sondern auch vor der Obdachlosigkeit gehabt.

Vier Tage vor Silvester habe DHL die Drohung zurückgenommen und die Subvention noch bis zum 15. Januar bezahlt. Ebenfalls teilte man ihr mit, dass das Arbeitsverhältnis binnen zwei Wochen, am 13. Januar enden würde. „Ein Einzelfall“, sagt DHL-Sprecher Buchwald. „Generell beschäftigen wir Kolleginnen und Kollegen, die für das Weihnachtsgeschäft eingestellt werden, darüber hinaus weiter.“ In diesem Fall sei die Arbeitsleistung ungenügend gewesen, deshalb habe man mit Ablauf der Probezeit gekündigt – das Hostel aber sogar noch zwei Tage länger anteilig bezahlt.

Der Betriebsratsvorsitzende schildert die grundsätzliche Situation etwas anders: Sicher würden jedes Jahr ein paar Kol­le­g*in­nen aus dem Weihnachtsgeschäft übernommen, schließlich gehe auch ab und an jemand in Rente. Doch der Konkurrenzdruck sei extrem hoch und die Kommunikation vermutlich nicht immer klar. Ein Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte, formuliert es deutlicher: „Den Kolleginnen und Kollegen werden Versprechungen gemacht, aber die allermeisten werden nach dem Weihnachtsgeschäft eiskalt abserviert. Das ist eine extrem rücksichtslose Personalpolitik.“

Ana Da Cruz will nicht lange arbeitslos bleiben, schließlich habe sie Verpflichtungen gegenüber ihrem zehnjährigen Sohn und ihrer restlichen Familie in Brasilien. Sie hat schon den nächsten Job gefunden – leider bei Amazon.

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