Aus taz FUTURZWEI: Wer sind die 2018er?
Die 68er sind alt geworden. Was aber machen die zwischen 1990 und 2000 Geborenen? Und: Können sie die Krise der deutschen Linken lösen?
Wer sind sie, die Revolutionäre, Reformisten, Opportunisten? Die Karrieristen, Politiker, falls es die Politik, so wie wir sie kennen, dann überhaupt noch geben wird?
Wer sind die, die zwischen 1990 und 2000 geboren sind, Kinder des Internets und der Krise, der digitalen Möglichkeiten und der wirtschaftlichen und vor allem gedanklichen Stagnation, aufgewachsen im Zeitalter der Alternativlosigkeit und des allumfassenden Kapitalismus?
Wer sind sie, deren Bild von Politik sich aus der kalkulierten Politiklosigkeit der Kanzlerin Merkel speiste, einer SPD, die zu einer Schatten-CDU wurde (und nicht umgekehrt), und einer marginalisierten Linken, nicht die Partei, sondern die Denkrichtung, während die Rechte in allen Formen und Schattierungen, vom Feuilleton bis zu Fackelmärschen, von Protestkundgebungen bis zum Parlament, von Brandanschlägen bis zum Bombengedenken von Dresden immer lauter und damit immer mehr zu werden schien?
Es war, um es vorsichtig zu sagen, keine Zeit des Optimismus, und doch waren die Bedingungen ja da, sie waren günstig, wer wollte, wer will, konnte und kann sich aus dem Denken der Disruption das Neue bauen, denken, umsetzen, was fünfzig Jahre vorher schon einmal, ganz anders, gedacht und versucht wurde: Was also ist die Verbindung von 2018 und 1968, als sich die Wut auf das Establishment ihren Weg suchte und ihre Form, ganz anders und in gewisser Weise doch ähnlich im Vergleich zu der Wut auf die Eliten heute? Was waren das für Ideen einer anderen Gesellschaft, anderer Eigentums- und Lebensformen, Wohnexperimente, Gemeinschaftsprojekte, direktes Engagement und direkte Aktionen?
Die Notwendigkeit zum radikalen Umdenken ist gegeben
Was ich sagen kann, als jemand, der ziemlich dazwischen hängt, 1969 geboren, in den hedonistisch-konsumistischen 1980er-Jahren aufgewachsen, in den individualistisch-konformistischen 1990er-Jahren im Beruf angekommen, den Epochenbruch von 2001 im Kopf und die Krisen- und Protestjahre, seitdem zwischen Euphorie und Ratlosigkeit pendelnd, ist jedenfalls dies: Der Blick ist doch wieder klarer, die Notwendigkeit zu radikalem Umdenken, eine Lieblingsformel der Kopfrevolutionäre, ist evidenter als in den im Nachhinein so dubiosen 1990er-Jahren etwa, als die Lethargie noch mit Leichtigkeit verwechselt wurde.
De Autor wurde ein Jahr nach 1968 in München geboren. Er ist Kolumnist für Spiegel und Spiegel Online, Teil des hybriden Thinktanks Disrupt Democracy und Mitgründer der digitalen Journalismusplattform 60pages.
Das Problem bleibt: Weil die Herausforderungen so groß sind, Klimawandel, Artensterben, künstliche Intelligenz, die alternde Gesellschaft, Hunger, immer noch, jetzt auch wieder in Ländern wie den USA, deshalb ist der Blick aufs Ganze eher einschüchternd. Das war in gewisser Weise auch die Geschichte von 68, als die Weltrevolution jedenfalls für Westdeutsche kaum ein Thema war, Revolution an sich, wenn man ehrlich ist, eher nicht in der Praxis und mehr in der Theorie – und die Wege der Veränderung im Privaten gesucht wurden.
Für die 2018er, sollten sie links sein, würde das bedeuten, dass sie etwa den Erfolg wie die Limitationen einer Bewegung wie Occupy Wall Street genau studieren sollten. Auch hier ging es um beides, die Revolution in den direkten persönlichen Beziehungen einerseits, das Zuhören, die Gruppendynamik, die Suppenküche, die kleine Bibliothek, Bildung also als Weg aus dem Dilemma – und andererseits der globale Kapitalismus als Gegner, dem man nicht mit Waffen, sondern mit Worten und Konzepten begegnete, das Narrativ der One Percent als bewusstseins- und damit weltverändernde Mind Bomb.
Eine reaktionäre Utopie
Die ganz andere und deutlich unangenehmere Frage, die man in diesem Zusammenhang stellen muss, ist allerdings, ob das, was 1968 von links kam, 2018 von rechts kommt: die außerparlamentarische Opposition also, die von der Straße in die Politik drängt, die Wut auf das, was früher als Establishment und heute als Elite bezeichnet wird, der umfassende Gegenentwurf. Eine reaktionäre Utopie, die von der homogenen Nation ausgeht und weitgehend die Moderne verweigert, wobei erst die kommunikativen Mittel der Techno-Moderne aus ein paar Radikalen eine breite Bewegung jedenfalls im Bewusstsein der immer fragmentierteren Öffentlichkeit ermöglichten.
Ist der Zeitgeist wirklich rechts, wie es heute oft und fast reflexhaft heißt? Oder verwechselt man damit das, was als Oberflächenerscheinungen auftritt, mit dem, was der Kern von Veränderung und Emanzipation ist?
Wenn also 2018 ein Krisenmoment in den westlichen Gesellschaften markiert, genauso wie es 1968 war, dann geht es darum zu definieren, was diese Krise ist – und vor allem, was die Antwort darauf. Die Frage ist außerdem, woher die Veränderungen kommen sollen.
Keine Erneuerung aus den Parteien
Aus den Parteien selbst, das ist das Problem der Parteiendemokratie jedenfalls deutscher Prägung, werden die Energie und die Erneuerung kaum kommen, dafür sind die Strukturen von Karriere und Macht zu starr, dafür ist der Anpassungsdruck zu stark, dafür ist die Mutlosigkeit zu groß. Ironischerweise sind es ja gerade späte Brüder von 1968, die die Jugend 2018 begeistern, Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in Großbritannien. Eine andere Art von Bewegung ist die von Emmanuel Macron in Frankreich, auch hier sortieren sich die politischen Allianzen neu und losgelöst von den bisherigen Parteibindungen.
In Frankreich gab es auch das Beispiel einer linken Bewegung, die von der Straße ins Parlament drängte, es waren die Jungen und die Studenten, die sich wochen- und monatelang an dem Place de la République trafen. Die grundsätzlich darüber diskutierten, wie sie leben wollten und das das für eine Politik zur Folge hätte. Die als „Nuit debout“ – die Aufrechten der Nacht – von unten oder von der Seite das System neu denken und verändern wollten. Und die sich schließlich in der Unterstützung des Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon und seiner Parteigründung La France Insoumise trafen, das unbeugsame Frankreich also, wo es tatsächlich unterstützt von Intellektuellen wie Aktivisten den Versuch gab, vom Bedingungslosen Grundeinkommen bis zum Strafrecht die Bedingungen der Gesellschaft wie der Ökonomie anders zu definieren.
2018 – Aufbruch oder Scheiße? Die einen rennen zu den neuen Rechten, die anderen suchen im Jubiläumsjahr Trost bei den 68ern, wir suchen die "2018er"- Menschen, Politik, Liebe. Jetzt in der neuen Ausgabe von taz.FUTURZWEI, auch als Digitalausgabe im taz eKiosk erhältlich. Mit Beiträgen von Jan Böhmermann, Susanne Wiest, Arno Frank, Adrienne Goehler, Tom Strohschneider, Harald Welzer und vielen mehr.
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Das Drama oder Dilemma der deutschen Linken wiederum ist es, dass es keinen Ort oder keine Bewegung gibt, wo sie sich finden könnten – und Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht sind sicher nicht die Figuren, die so eine Bewegung braucht. Die Frage ist auch, was diese Generation der 2018er, also die, die zwischen 1990 und 2000 geboren sind, eigentlich ausmacht, was sie will und was sie bewegt.
Kevin Kühnert in der Zeitmaschine
Die Prognosen der Soziologen sind da oft pessimistisch. Die 2018er werden als angepasst bezeichnet, „wenn man Kevin Kühnert in eine Zeitmaschine setzen würde und nach vierzig Jahren die Tür öffnet, würde einem Martin Schulz entgegenkommen“, sagt jemand wie der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier, wobei sich die Frage stellt, wie sehr sich die Jugend als Objekt der Forschung wirklich dem Forscher offenbart.
Wenn man wirklich verstehen will, was die 2018er mit den 1968ern verbindet, glaube ich, dann muss man genauer auf die Bedingungen schauen, die unsere Gegenwart ausmachen – und da ist natürlich vor allem die Technologie zu benennen, die radikale Veränderung der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik, des Lebens überhaupt durch die Digitalisierung und das Internet.
Es wäre dabei zu einfach und letztlich auch zu deprimierend zu sagen, dass die Utopien heute aus dem Silicon Valley kommen, nicht weil die Technologie vor allem das Problem ist, sondern weil die Technologie in vielem die Lösung ist – aber die Techno-Utopisten selbst eine oft sehr reduzierte oder überindividualisierte Vorstellung davon haben, welche gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Modelle die Folge sein könnten oder wenigstens wünschenswert.
Der Ursprung des heutigen Internets aber, das ja in die kybernetische Weltsicht der späten 1960er-Jahre zurückreicht und damit in die Denkweisen des antihierarchischen, vernetzten Blicks auf Gesellschaft, bietet einen Ansatz dafür, woraus sich auch heute eine Revolution des Denkens speisen könnte. Es geht dabei eben nicht nur um die Technologie selbst. Die kann, das haben die vergangenen Jahre gezeigt, zum Nutzen wie zum Schaden der Demokratie eingesetzt werden. Es geht vielmehr um das, was um diese Technologie an Lösungen und Modellen existiert für eine andere, gerechtere Gesellschaft.
Das Material für eine andere Zukunft
Da geht es zum Beispiel um andere Arbeits- und Eigentumsformen, was in einer Welt der Roboter eine besondere Bedeutung bekommen wird und ganz generell eine Befreiung aus bisherigen Denk- und Abhängigkeitsverhältnissen ermöglichen würde. Und in den Räumen des MIT, in den Cafés von Berlin, in den Büros von Tel Aviv wird ja schon in diese Richtung gedacht. Es sind Ideen von damals mit den technologischen Möglichkeiten und Zwängen von heute, es ist das Material, aus dem die 2018er eine andere Zukunft formen könnten.
Werden sie das auch tun? Treibt sie etwas an, das mehr ist als Sicherheit und Karriere, eine Wut auf die Eltern, das Hinnehmen, das Schweigen? Damals wie heute ging es um eine Kritik am Kapitalismus als Lebensform, nur dass 1968 noch im Zeichen des Wohlstands passierte, 2018 dagegen die Abwicklung der Wohlstandsgesellschaft absehbar ist.
Die Bedingungen also haben sich geändert; die Fragen nicht.
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