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■ Aus polnischer SichtAlle Ausländer sind Menschen. Fast überall.

Der Prozeß gegen Honecker und Co. gilt stellvertretend der – für die Deutschen so typischen – Prinzipientreue. Während der Altkommunist Gorbatschow Liebling des Westens ist und der kommunistische Altfunktionär Jelzin ein Staatsmann, während Jaruzelski seine Verbrechen rechtzeitig mit einer Wende ausgeglichen hat und Iliescu, Meciar, Brasauskas weiter (oder wieder) an der Macht sind, muß sich Honecker mit seinen Komplizen für das Unrecht verantworten. Er hat eben das Pech gehabt, ohne es zu wollen, die ganze Zeit auch ein Bürger eines Rechtsstaates zu sein, der zu ihm kam. Wie der Berg zu Mahomet.

Warum aber hängen die nunmehr befreiten Völker ihre früheren Henker nicht auf? Würden die DDR-BürgerInnen ihre Eriche aufhängen? Ich glaube kaum.

Weil nämlich auch Völker Schuldgefühle haben und sich mit ihrer eigenen Vergangenheit wenigstens teilweise identifizieren. So war der Nürnberger Prozeß von Ausländern gemacht und der Honecker-Prozeß auch nicht von den Untertanen, die sich im – mehr oder weniger freiwilligen – Verzicht auf Freiheit zu Mitläufern, oft zu Mitschuldigen gemacht haben.

Die Osteuropäer „schreien“ nach Diktaturen. Sie scheinen psychologisch noch lange nicht reif zu sein, mit der Freiheit zu leben. Die Wahlen in Litauen und Rumänien, die Bürgerkriege auf dem Balkan und im Kaukasus sind Beweise für eine große Akzeptanz paternalistischer Strukturen, für eine spontane Bereitschaft, auch die unsinnigsten Befehle selbsternannter Führer auszuführen. Auch hier haben die Ostdeutschen Pech: Eine Diktatur in Deutschland, die ihnen Sicherheit vor Freiheit und Verantwortung für eigenes Tun und Lassen gäbe, ist nicht in Sicht. Sie verlangen nach ihr, wie ein Waisenkind nach einem Klaps des Vaters – vergebens, der Vater sitzt, der Stiefvater ist kühl: Im Zweifelsfall gibt es Geschenke oder eine Entschuldigung an die Nachbarn für den Radau der Bengel, nie aber eine echte Zuwendung. So müssen sie die anderen Waisenkinder, die Stiefvaters Lieblinge zu sein scheinen, mit dem Buddelzeug hauen und aus dem Sandkasten vertreiben.

Und nur die prinzipientreuen Autonomen wollen den Stiefvater dafür bestrafen, daß sich seine Stiefkinder ungeliebt fühlen. (Wegen der Salmonellengefahr sollten sie aber die Verwendung von faulen Eiern unterlassen.) Piotr Olszowka

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