Aus für „Sirplus“-Läden: Rettung in die Rhetorik
Die „Retterläden“ des Unternehmens „Sirplus“ sind Geschichte. Angeblich hat Corona dem Erfolgsmodell ein Ende bereitet.
Rhetorisches Talent kann man Raphael Fellmer nicht absprechen. Der Gründer des kommerziellen Foodsharing-Unternehmens Sirplus hat nicht nur ein Händchen dafür, innovative Projekte zu verkaufen, sondern auch deren Scheitern. Was er gerade mit einer fünfseitigen Pressemitteilung getan hat. Deren Inhalt: Alle fünf „Retterläden“ – an der Wilmersdorfer, Schloss-, Karl-Marx- und Bergmannstraße sowie in der East Side Mall – sind bis Monatsende dicht, die MitarbeiterInnen verlieren ihre Jobs.
Verfolgte man Fellmers Geschäfts-PR über die vergangenen vier Jahre, bekam man den Eindruck, dass seine Idee schlicht durch die Decke ging: Das Start-up kaufte Lebensmittel-Restposten, auch Abgelaufenes, bei Herstellern günstig auf, bewahrte sie vor der drohenden Vernichtung und gab sie mit gutem Rabatt an seine KundInnen weiter. Eine Win-win-win-Situation, sozusagen.
Dass sich das nach stetigem Filial-Zuwachs nun plötzlich nicht rechnet, schiebt der Sirplus-Chef allein auf die Coronapandemie. So hätten „die Konsument:innen ihr Einkaufsverhalten stark verändert: Um Kontakte zu vermeiden, wird vermehrt auf Vorrat in einem einzelnen Supermarkt eingekauft“, heißt es in der Mitteilung. Oder aber andersrum: „Im Juni diesen Jahres kam hinzu, dass durch die Lockerungen nach einem sechsmonatigen Lockdown Möglichkeiten wie Restaurantbesuche sowie Reisen wieder genutzt wurden – und deshalb weniger eingekauft wurde.“
Da mag was dran sein. Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass das Sortiment der Sirplus-Läden nicht gerade zum Großeinkauf verführte. Viele „gerettete“ Dinge waren in ihrem früheren Leben offensichtlich Ladenhüter – Schokoladentafeln mit bitteren Lakritzsplittern, na ja. Oder es handelte sich um vegane Nischenprodukte, die man sich zum gewöhnlichen Preis wohl nie geleistet hätte und die nur durch die Ausweisung des gewährten Rabatts „günstig“ erschienen. Obst und Gemüse wiederum waren angesichts ihres mäßigen Frischegrads auch nicht wirklich billig.
Supercoole Weltretter?
Vielleicht würde man gar nicht so süffisant über einen Business-Fail berichten, versuchten Fellmer und Co. nicht immer, sich nicht nur als Lebensmittel-, sondern gleich als supercoole Weltretter darzustellen. Was ihnen vor zwei Jahren auf die Füße fiel, als sie mit einem Pitch in der TV-Show „Höhle der Löwen“ Millionen einsammeln wollten – und von einem Investor als „obergierige Kapitalisten“ gedisst wurden, die mit „moralisierendem Schöngerede“ ein Profitmodell als edle Tat verkaufen wollten.
Glaubt man Fellmer weiterhin, geht nun der weiter bestehende Sirplus-Onlineshop durch die Decke. Seit dem ersten Lockdown habe sich dessen Umsatz mehr als vervierfacht, erfährt man – aber nicht, wie hoch er damals war. Ein paar wohlklingende Jobs hat das Restunternehmen schon: Neben CEO Fellmer gibt es nun einen CRO (Chief Revenue Officer), einen COO (Chief Operating Officer) und einen CTO (Chief Technical Officer). Da kann ja nichts mehr schiefgehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!