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Aus dem Rahmen fallen

Vorsicht, Kunst! Beim Pinkelngehen kann es in den neuen Wohnungen von Berlin schon zu musealen Begegnungen kommen. Der opulent bebilderte Band „Berlin Interiors“ führt in das Innerste der Stadt

von BRIGITTE WERNEBURG

Wenn schon alle Welt nach Berlin umzieht, wie wohnt dann eigentlich alle Welt in Berlin? Wer das gern wissen möchte, dem ist mit dem Bildband „Berlin Interiors“, der jetzt im Kölner Taschen-Verlag erschien, ein prominent besetztes Stück weitergeholfen. Die opulenten Fotografien von Eric Laignel zeigen indes einmal mehr – und das ist ganz Berlin-unspezifisch –: Das Traumhaus unserer Tage ist das Museum für zeitgenössische Kunst. Eine Kunsthalle möchte jedenfalls die Mehrzahl der Wohnungen und Villen in ihrem Innersten sein: egal ob Anne Maria Jagdfeld, die Chefin des „Quartier 206 Departmentstore“ ihre Wohnung herzeigt, oder Udo Walz, der Kanzler Schröder die Haare nicht färbt, und schließlich Paul Maenz. Bei ihm hat das Arrangement allerdings berufsbedingte Gründe. Er war einmal Galerist in Köln.

Noch radikaler geht es Ingeborg Wiensowski an, Journalistin beim KulturSpiegel und Autorin des Einleitungstextes zu „Berlin Interiors“. Sie hat mit ihrem Lebensgefährten Rudolf Harbord die gemeinsame Wohnung gleich in einen Ausstellungsraum umfunktioniert. Jonathan Meese wiederum ist der Mann, der die Kunst macht. Wild, mit Leinwänden an Wänden wie am Boden und einer schönen Nackten auf dem Sofa, ganz so wie man es sich in seinen altmodischsten Träumen vorstellt, schaut seine Atelierwohnung denn auch aus. Die Rahmen für die Kunst stellt Stephan Landwehr her. Wer bei ihm zu Hause pinkeln muss, ist bestimmt versucht, Sarah Lucas’ funktionsfähige Toilette zu benutzen, ein Kunstobjekt, das mitten in Landwehrs Loft Platz gefunden hat. Obwohl genauso mit Rahmen befasst, fällt Olaf Lemke dann doch aus demselben. Denn seine Wohnung ist zwar auch ein Museum, aber bestimmt nicht für heutige Kunst. Der Händler für antike Rahmen bevorzugt auch in seiner Einrichtung frühere Jahrhunderte.

Manchen Leuten in „Berlin Interiors“ gelingt es tatsächlich, einfach nur zu wohnen. Die Abwege, die auf Wohnschiffe, Wagenburgen und in Schrebergärten führen, machen den Bildband dann doch perfekt. Hier kommt endlich ein Stück Berliner Besonderheit ins Bild. Der Berliner übrigens, der bedauert, dass er kein Museum für Gegenwartskunst zu Hause hat, sollte sich das Krankenbett von Elmgreen & Dragset im Museum Hamburger Bahnhof genau anschauen. Womöglich könnte man statt der Puppe mal Probe liegen.

„Berlin Interiors“. Hrsg. Angelika Taschen, Taschen-Verlag, Köln 2002, 32 €

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