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taz FUTURZWEI

Aus dem Magazin taz FUTURZWEI Darf man das eigentlich noch sagen?

taz FUTURZWEI-Chefredakteur Peter Unfried fragt sich, ob man „Darf man das eigentlich noch sagen?“ eigentlich noch sagen darf.

„Die Frage, ob man etwas eigentlich noch sagen dürfe, ist nicht kritisch, mutig oder kontrovers.“ Foto: Zeloot

taz FUTURZWEI | „Darf man das eigentlich noch sagen?“ Diese Frage oder besser Pseudofrage wird nachgeschoben, nachdem man „das“ bereits gesagt hat. Sie bezieht sich zu 99 Prozent auf etwas, das man selbstverständlich in einer freien Gesellschaft sagen darf, wie alles, was nicht justiziabel ist. Justiziables, etwa Holocaustleugnung darf man nicht sagen. Kann man aber auch, man muss sich dann halt nur den rechtsstaatlichen Konsequenzen stellen. Wenn Worte oder Sätze potenzielle oder tatsächliche existenzielle Relevanz für andere Menschen haben (Verleumdungen, Todesdrohungen, Aufruf zu Gewalt), darf man das auch nicht sagen.

Das aber ist in den seltensten Fällen der Kontext der Frage, ob man etwas eigentlich noch sagen dürfe, die man leider ständig hört in irgendwelchen Gesprächen – wenn man den Scheiß nicht sogar selbst sagt. Wären wir noch oder wieder in einer autoritären Diktatur, im Faschismus oder auch Sozialismus, dann wäre es sehr sinnvoll, sich zu fragen, was man sagen darf. Allerdings, bevor man etwas sagt und nicht hinterher, denn dann wäre es zu spät und man schon auf dem Weg nach Sibirien oder Bautzen.

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Da wir aber Gott sei Dank nicht in einem autoritären Staat leben, soll die Frage, ob man „das eigentlich noch sagen“ dürfe, ja wohl eine Kritik an einem angeblichen Zeitgeist sein, der versucht zu verhindern, dass man manches sagt, was man immer gesagt hat und stattdessen gefälligst etwas anderes, etwa Native American oder Inuit, um hier mal den Boomer rauszuhängen. Diesen Versuch gibt es, keine Frage. Zum einen steht dahinter der emanzipatorische Anspruch, ein minderheitensensibleres Sprechen zu etablieren, zum anderen der autoritär-gesprächsverweigernde Anklagemodus einiger Superwokies.

Wie formuliert man etwas, um Leute nicht für ein weiteres Gespräch zu verlieren?

Ernst wird es, wenn es nicht um einzelne Wörter geht, sondern um eine größere und komplexe Dimension, etwa den militärischen Umgang mit dem Überfall auf die Ukraine und die Konsequenzen daraus für die EU, die Impffrage während der Corona-Pandemie, Israel-Palästina. Da kann man wirklich und ernsthaft überlegen, was man eigentlich sagt, wie man es sagt und was man nicht sagt, um Leute nicht für ein weiteres Gespräch zu verlieren (und zwar in beide Richtungen). Wenn man sich nicht sicher sein kann, dass die anderen am Tisch in einer Sache im Großen und Ganzen denken, wie man selbst, wird kaum jemand die Darf-man-das-Floskel anbringen.

Die Frage, ob man etwas eigentlich noch sagen dürfe, ist eben nicht kritisch, mutig, kontrovers, sondern affirmativ, weil die Formulierung nicht auf Widerstand, sondern auf eine larmoyante Unterwerfung unter den vermeintlichen Zeitgeist hinausläuft, den man erst durch diese Frage herstellt. Ihre Verwendung ist zudem ein starkes Indiz, dass es sich um Pillepalle-Zeug handelt.

Fazit: Man kann und darf den Satz, ob man etwas eigentlich noch sagen dürfe, selbstverständlich weiterhin sagen. Das ist halt nur total lahm.

Dieser Artikel ist im September 2024 in unserem Magazin taz FUTURZWEI erschienen. Wenn Sie zukünftig regelmäßig Leser:in von taz FUTURZWEI sein wollen, sichern Sie sich jetzt das Abo für nur 34 Euro im Jahr. Lösungen für die Probleme unserer Zeit – alle drei Monate neu in ihrem Briefkasten. Jetzt bestellen!