Aufwind für Ungarns Rechtsextreme: Rechte randalieren in Budapest
Straßenschlachten bei Demonstrationen gehören in Budapest fast schon zur Normalität. Doch nun krachten offen rechtsextreme Gruppen und deren Gegenbewegung in Budapest auf einander.
An die 5000 Demonstranten, die die Demokratische Charta unterstützen, marschierten am Samstag über die Kettenbrücke zum Parlament am Donauufer und vereinigten sich dort mit einem Marsch der Roma bevor sie vor dem Parlament auf eine Demonstration gegen „Ungarnfeindlichkeit“ stießen. Die teils vermummten Glatzköpfe warfen Steine und Molotow-Cocktails. Mehreren Hundertschaften Polizei gelang es nur unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern, die Randalierer auseinanderzutreiben.
Die Demokratische Charta, eigentlich schon 1993 gegründet, wurde vor wenigen Wochen vom sozialdemokratischen Premier Ferenc Gyurcsány wiederbelebt und inzwischen von über 4500 Menschen unterzeichnet. Sie richtet sich gegen gesellschaftliche Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit und versteht sich als Selbstschutzorganisation gegen die zunehmende rechte Gewalt. Zahlreiche bekannte Künstler und Intellektuelle, darunter auch der Schriftsteller György Konrád, haben das Manifest unterzeichnet. Weil die Initiative vom Regierungschef kommt, verweigert aber die rechtsoppositionelle Fidesz die Unterstützung - obwohl deren Chef seinerzeit die ursprüngliche Charta mitgetragen hatte.
Inzwischen hat sich aber das politische Klima polarisiert. Seit der berüchtigten „Lügenrede“ Gyurcsánys vor rund zweieinhalb Jahren, in der er zugegeben hatte, die Wirtschaftslage im Wahlkampf geschönt zu haben, mobilisiert die Fidesz gegen die Regierung. Dabei grenzt sich Orbán nicht deutlich genug von den rechtsextremen Gruppen ab. Seit den Krawallen vor zwei Jahren sind mehrere extremistische Gruppen entstanden. Vor einem Jahr gründete die rechte Jobbik Partei mit der Ungarischen Garde eine eigene Miliz. Inzwischen sind so eindeutig faschistoide Organisationen wie „Die Pfeile der Ungarn“ entstanden, die in an die SS gemahnenden Phantasieuniformen durch Roma-Siedlungen marschieren, von Groß-Ungarn in den Grenzen vor 1918 träumen und in geheimen Ausbildungszentren den Nahkampf trainieren.
Regierung und Justiz reagieren hilflos. Der Verbotsprozess gegen die Ungarische Garde musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden, seit die Richterin telefonisch bedroht wurde.
Menschenrechtsorganisationen klagen, dass in Ungarn stärker als in jedem anderen Reformland rechtsextreme und xenophobe Tendenzen Aufwind verspürten. Ernö Kállai, der Ombudsmann für Minderheitenrechte, zog anlässlich des internationalen Roma-Gedenktages im August sogar Parallelen zu Deutschland in den 1930er Jahren: „In Ungarn scheinen die gegen die Minderheiten gerichteten Kampagnen, das Suchen nach Sündenböcken und die breite gesellschaftliche Unterstützung dieser Denkweise sich genau so zu entfalten, wie seinerzeit in Deutschland. Der Grund ist vermutlich, dass die Politiker die Gefahr dieser Entwicklung und die Notwendigkeit, diese aufzuhalten, nicht erkannt haben“. Der Soziologe, der selbst aus einer Roma-Familie stammt, zitierte Umfragen, wonach 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung Aktionen gegen eine der Minderheiten gutgeheißen hätten.
Eine letzte Woche in der Tageszeitung Népszabadság veröffentlichte Telefonumfrage kann zwar nicht Entwarnung geben, zeigt aber, dass extremistische Gewalt abgelehnt wird. Immerhin 55% der Befragten begrüßten die antirassisistsiche Bewegung, die Premier Gyurcsány nach den Ausschreitungen bei der Budapester Gay Pride Parade ins Leben gerufen hatte. Insgesamt 28% würden die Demokratische Charta gegen extremistische Ideologien, Gewalt und Intoleranz unterschreiben.
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